Konferenz der Entwicklungsminister Corona in Afrika – Minister warnt vor Fluchtbewegung

Berlin · Hinter den Corona-Zahlen in Afrika lauert eine riesige Dunkelziffer mit fatalen Folgen nicht nur für den Kontinent selbst. Entwicklungsminister Gerd Müller warnt seine Kollegen in der EU davor, die bedrohliche Lage aus dem Blick zu verlieren.

 Entwicklungsminister Gerd Müller bei einer Pressekonferenz im Mai in Berlin.

Entwicklungsminister Gerd Müller bei einer Pressekonferenz im Mai in Berlin.

Foto: dpa/Tobias Schwarz

Ist Afrika nicht nur später, sondern auch sanfter vom Coronavirus betroffen worden? Die aktuelle Zahl von rund 7200 Neuinfektionen täglich in allen 54 Ländern des Kontinents scheint das nahezulegen, zumal fast die Hälfte davon allein auf Südafrika entfällt. Doch die vergleichsweise niedrige Zahl hängt vor allem damit zusammen, dass nur wenige Tests gemacht werden und deshalb auch nur wenige Infizierte offiziell festgestellt werden können. Die anfängliche Hoffnung, dass der junge Kontinent mit vielen Kindern und Jugendlichen an der Krankheit vorbeikommen könnte, wird zunehmend ersetzt durch Warnungen vor verheerenden Entwicklungen.

So mahnte Entwicklungsminister Gerd Müller seine europäischen Amtskollegen vor den Folgen von Corona, die sich danach sehr massiv auch wieder auf die europäischen Staaten auswirken könnten. „Brüssel darf nicht warten, bis ganze Staaten zusammenbrechen und es zu Unruhen und unkontrollierbaren Fluchtbewegungen kommt“, sagte Müller unserer Redaktion vor Beginn einer Videokonferenz der EU-Entwicklungsminister an diesem Montag.

Es gehe in Afrika nicht nur um die Frage, wie Covid-19-Erkrankte trotz schwacher Gesundheitssysteme gerettet werden können. „In Afrika herrscht bereits eine dramatische Hunger- und Wirtschaftskrise“, warnte der CSU-Politiker. Millionen Menschen seien arbeitslos – und ohne Kurzarbeitergeld. Transportwege seien unterbrochen, es fehle an Lebensmitteln und Saatgut. Hinzu komme in Ostafrika, dass eine dramatische Heuschreckenplage die Ernte vernichte. „Millionen Menschen hungern, bevor das Virus ankommt“, unterstrich Müller.

Die Voraussetzungen sind in vielen Ländern Afrikas denkbar schlecht. Sie verfügen über nur marginal ausgebaute Gesundheitssysteme, die bereits von den Herausforderungen des „Normalbetriebes“ oft an den Grenzen ihrer Möglichkeiten arbeiten. Nach einer Studie der Vereinten Nationen ist von jeder dritten Krankheit weltweit ein Afrikaner betroffen, doch von den weltweit für die Gesundheit ausgegebenen Summen fließen nur zwei Prozent in die afrikanischen Gesundheitssysteme.

War auch Deutschland zunächst kaum auf einen drohenden massiven Ansturm auf intensivmedizinische Behandlungen vorbereitet und ergriffen die Regierungschefs von Bund und Ländern auch deshalb Kontakteinschränkungen, um in der Zwischenzeit die Zahl der Intensivbetten und den Bestand an Beatmungsgeräten aufstocken zu können, so sind viele Regionen in Afrika völlig ohne derartige Behandlungsmöglichkeiten. In Deutschland gibt es für 82 Millionen Einwohner mehr als 30.000 Intensivbetten und inzwischen auch ähnlich viele Geräte zur künstlichen Beatmung. In Kenia verfügte das Gesundheitssystem für die derzeit rund 50 Millionen Einwohner zuletzt über knapp 80 Intensivbetten und 120 Beatmungsgeräte.

Müller kritisiert vor diesem Hintergrund, dass die europäische Solidarität bislang nur nach innen gerichtet sei. Die EU habe noch keinen Cent zusätzlich zur Bewältigung der Wirtschafts- und Hungerkrise in Afrika investiert. Nötig sei umgehend, dass die Europäische Union ein Sofortprogramm für Afrika und den Nahen Osten auflege. Dabei müsse es sowohl um Nothilfen als auch um Stabilisierungskredite gehen.

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