Interview mit Christine Lieberknecht (CDU) "Steuersystem muss viel einfacher werden"

Berlin · Tütensuppen sind begünstigt, frische Ökosuppen aber mit voller Mehrwertsteuer belegt – das könne man keinem Bürger mehr erklären, stellt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht im Interview mit unserer Redaktion fest – und fordert von der großen Koalition in Berlin umgehend eine Mehrwertsteuerreform.

Das ist Christine Lieberknecht
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Tütensuppen sind begünstigt, frische Ökosuppen aber mit voller Mehrwertsteuer belegt — das könne man keinem Bürger mehr erklären, stellt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht im Interview mit unserer Redaktion fest — und fordert von der großen Koalition in Berlin umgehend eine Mehrwertsteuerreform.

Können Sie erklären, warum die CDU in der letzten Wahlperiode die Kalte Progression abbauen wollte und an der SPD scheiterte, und jetzt auf der Bremse steht, wo die SPD den Abbau will?

Lieberknecht Die Kalte Progression ist ärgerlich und eine nicht beabsichtigte Nebenwirkung im Steuersystem. Es ist eigentlich nicht gewollt, dass Lohnerhöhungen durch das Steuersystem aufgefressen werden. Das soll so nicht bleiben, und deshalb bleibt der Abbau auf der Tagesordnung. Die wichtigen Vorhaben des Koalitionsvertrages mit der Konsolidierung des Haushaltes haben aber erst einmal Vorrang. Wenn sich danach Spielräume ergeben, werden wir die Kalte Progression abschaffen.

Die SPD ist da forscher, fürchten Sie nicht, dass sie der CDU den Schneid abkauft?

Lieberknecht Ich halte viel von Ehrlichkeit und Verlässlichkeit in der Politik. Im Moment erleben wir doch ein Schwarzer-Peter-Spiel. Ich finde es nicht sehr glaubwürdig, dass diejenigen, die den Abbau der Kalten Progression aus dem Koalitionsvertrag heraushalten wollten, nun dafür sind. Diese taktischen Manöver der SPD durchschauen die Menschen, und deshalb mache ich mir da keine Sorgen.

Ihre eigene Mittelstandsvereinigung will es aber auch konkreter — und beim CDU-Parteitag im Dezember beschließen lassen. Schafft sie das?

Lieberknecht Es ist das Interesse der Mittelständler, auf Steuerungerechtigkeiten hinzuweisen. Die CDU wird beim Parteitag zum Koalitionsvertrag stehen. Das schließt nicht aus, dass es auch einen konditionierten Beschluss zum Abbau der Kalten Progression geben kann, der sich aber dann an den finanziellen Spielräumen orientieren muss.

Die Finanzexperten arbeiten ohnehin an einer langfristigen Neuaufstellung, könnte es dort hineinpassen?

Lieberknecht Die jetzigen Mehrheiten eröffnen die Chance, das Steuersystem und die Bund-Länder-Beziehungen grundlegend neu zu ordnen. Insbesondere beim Steuersystem bin ich eine Verfechterin von starker Vereinfachung und mehr Transparenz. In dieses Gesamtpaket gehört die Kalte Progression hinein.

Wird der Soli dabei überleben?

Lieberknecht Ich trete dafür ein, Solidaritätszuschlag und Solidaritätspakt in einen Deutschlandfonds zu überführen und dabei nicht mehr nach Himmelsrichtung zu verteilen. Temporäre Hilfe nicht mehr in West-Ost-Richtung, sondern überall dort, wo sie nötig ist.

Wenn man schon mal dabei ist, sollten dann auch die unsinnigen Details der Mehrwertsteuer auf den Tisch?

Lieberknecht Ja, da gibt es die größten Absurditäten. Wenn etwa Beutelsuppen begünstigt sind, schöne frische Gemüsesuppen aber mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belegt werden. Für mich steht fest: Diese große Koalition hätte die Möglichkeiten, das Mehrwertsteuersystem zu vereinfachen und für mehr Klarheit zu sorgen, deshalb sollte sie es jetzt auch tun. Das derzeitige System kann man keinem Bürger mehr erklären. Allein die eingesparten Bürokratiekosten sprechen dann für sich.

Thüringen wählt Mitte September. Sollte sich Deutschland auf den ersten linken Regierungschef einstellen?

Lieberknecht Ich führe einen engagierten Wahlkampf, um Ministerpräsidentin dieses schönen Landes zu bleiben. Die Mitte Deutschlands soll auch in Zukunft aus der Mitte heraus regiert werden.

Die SPD kann sich aber vorstellen, lieber Juniorpartner der Linken zu werden als Ihr Juniorpartner zu bleiben.

Lieberknecht Die SPD kann nicht in Abrede stellen, dass wir gemeinsam eine glänzende Bilanz vorlegen können. Wir haben fünf Jahre gestaltet und am Ende keinen Euro Neuverschuldung mehr. Wir sind auf der Überholspur und stehen in der Arbeitsmarktpolitik nicht nur im Osten auf Platz 1, sondern sind schon besser als NRW und Hamburg. Das sind Super-Daten. Und wir sind uns auch einig über Thüringens Ziele für 2020. Die Arbeit daran will ich fortsetzen. Die SPD beginge einen großen Fehler, wenn sie sich an die Linke bindet, denn sie würde es nicht schaffen, sich neben der Linken in ihren klassischen Feldern zu profilieren. Sie würde marginalisiert werden. Ich kann die SPD nur auffordern für Klarheit zu sorgen. Der Wähler hat ein Recht vor der Wahl zu wissen, was nach der Wahl passiert.

Wenn die Werte für CDU und für die Grünen noch zunehmen, könnte es auch für Schwarz-Grün reichen.

Lieberknecht Das ist nicht mein Thema, mir geht es darum, eine Gestaltungsmehrheit zu gewinnen, durch die an uns nicht vorbei regiert werden kann. Wenn sich daraus mehrere Optionen ergeben: Umso besser!

Der Landesrechnungshof hat dem Thüringer Betreuungsgeld ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt und stattdessen mehr Kita-Förderung verlangt.

Lieberknecht Was ist von einem Gutachten zu halten, das eine "mangelnde familienpolitische Wertschöpfung" kritisiert? Mit einer solchen Durchökonomisierung des Familienalltags kann ich nichts anfangen. Familien haben ihr eigenes Recht. Mir reden auch zu viele über die Bedürfnisse von Familien, obwohl sie selbst keine Kinder haben. Ich kann mitreden, weil ich eine Familien-WG mit Sohn, Schwiegertochter und zwei Enkeln zu Hause habe. Wir haben als erstes Bundesland den Anspruch auf Kita-Plätze ausgeweitet. Aber wir wollen kein Entweder-Oder. Schließlich reden wir über einjährige Kinder! Deshalb bieten wir auch ein Mischmodell an, nach dem Eltern stundenweise staatliche Angebote in Anspruch nehmen und trotzdem Betreuungsgeld erhalten können.

Was halten Sie davon, mit einem Anti-Stress-Gesetz Arbeitnehmerrechte zu stärken?

Lieberknecht Noch nie hatten wir so viele Burnout-Erkrankungen und Arbeitsausfälle wegen psychischer Probleme. Darüber dürfen wir nicht hinwegsehen. Andererseits erfordert die moderne Gesellschaft für viele Berufsgruppen Präsenz rund um die Uhr. Da müssen wir an zielführenden Lösungen arbeiten. Mir scheinen die Probleme mangelnder Orientierungspunkte und Möglichkeiten, in den Informationsfluten zur Ruhe zu kommen, auch viel tiefer zu liegen, als dass man das alles mit einem einfachen Gesetz lösen könnte. Aber moderner Arbeitsschutz gehört schon dazu, um die Dinge einzudämmen. Die Sonntagsruhe, der arbeitsfreie Sonntag für die Menschen und ihre Familien, sollte nicht weiter geschwächt werden — nur mit Ausnahmeregelungen.

Generalsekretär Peter Tauber will die CDU bunter, jünger, weiblicher machen — unterstützen Sie Ihn?

Lieberknecht Ein Blick nach Thüringen lohnt: Unsere Kandidaten waren noch nie so jung, noch nie so weiblich. Ein Drittel ist unter 40, ein Drittel ist weiblich. Die Frauen haben sich vor Ort in den Direktwahlkreisen an der Basis durchgesetzt. Das ist das Ergebnis einer Mitmachpartei in einem überschaubaren Land.

Tauber will die Basis mehr beteiligen. Soll der SPD-Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag Vorbild sein?

Lieberknecht Wir haben mit Ideenschmieden unter breiter Bürgerbeteiligung und im Internet viele Vorschläge für unser Programm, den Thüringen-Plan, bekommen und auch aufgenommen. Aber Führung muss auch Verantwortung übernehmen. Das gilt insbesondere für die Regierungsbildung. Parteien, die ihre Spitzenkandidaten durch Urwahlen bestimmten, sind damit nicht immer gut gefahren.

Als Chefin der Ministerpräsidentenkonferenz haben Sie bundesweit gut vergleich können. Läuft alles glatt in unserem Staat?

Lieberknecht Ich bin zunächst stolz darauf, als Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz wesentliche Impulse für die Energiewende, die Bund-Länder-Finanzbeziehungen und das NPD-Verbotsverfahren gegeben zu haben. Thüringens Stimme im Bund ist hörbar. Ansonsten halte ich es mit Hannah Arendt: Für mich ist Freiheit der Sinn der Politik. Aber Freiheit funktioniert nur mit guter Ordnung. Es ist nicht in Ordnung, wie sich die Dinge zwischen Bund und Ländern entwickelt haben. Eigentlich sollten die Länder für ihre Aufgaben auch die erforderlichen Einnahmen haben. Doch der Bund betrachtet viele Steuereinnahmen als seine eigenen und versucht dann etwa im Hochschulbereich, mit eigenen Programmen die Länder zu beglücken. Wir werden uns zwar daran beteiligen, das Kooperationsverbot zu streichen, aber ordnungspolitisch überzeugender wäre es, wenn der Bund den Ländern einfach mehr Anteile an den Mehrwertsteuereinnahmen überließe und die ihre Aufgaben selbst finanzieren könnten.

Wie reagiert eine Christdemokratin auf das brutale Vorrücken der Islamisten im Irak, in Syrien, im Libanon, wo ein christenfreies Kalifat entstehen soll?

Lieberknecht Es muss einen weltweiten Aufschrei über dieses unsägliche und menschenverachtende Vorgehen geben. Ich verurteile diese Verbrechen der islamistischen Terroristen auf das Schärfste, ich bin auf der Seite der verfolgten Christen, ich bete für sie und werbe dafür, noch mehr dieser verfolgten Christen in Deutschland aufzunehmen.

Gregor Mayntz führte das Interview.

(may-)
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