Ethikerin Christiane Woopen „Liberalisierung ist für mich die falsche Kategorie“

Interview | Berlin · Sind Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafrechts zu regeln? Eine Kommission, in der auch die Ethikerin Christiane Woopen sitzt, befasst sich derzeit mit dieser Frage. Im Interview spricht sie über diese Arbeit und erklärt, warum es nicht nur um die Selbstbestimmung der Frau geht.

 Ethikerin Christiane Woopen spricht auf dem RP Digital Ethik Summit: „Wichtig, dass wir aus der polarisierten und teils ideologisch geführten Diskussion herauskommen.“

Ethikerin Christiane Woopen spricht auf dem RP Digital Ethik Summit: „Wichtig, dass wir aus der polarisierten und teils ideologisch geführten Diskussion herauskommen.“

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Frau Woopen, in einer Expertenkommission diskutieren Sie derzeit den Paragrafen 218, der den Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch regelt. Auf welche Aspekte achten Sie bei Ihrer Arbeit?

Woopen Wir versuchen, die gesellschaftliche Situation zu berücksichtigen und zu den nationalen und internationalen rechtliche Rahmenbedingungen in Beziehung zu setzen. Wichtig scheint es mir bei allen ethischen Kontroversen in der Gesellschaft, nicht zu polarisieren, sondern letztlich eine gute Empfehlung zu erarbeiten.

Es gibt Kritiker, die bezüglich der Regelung im Paragrafen 218 von einem mühsam errungenen Kompromiss sprechen und davor warnen, diesen aufzubrechen.

Woopen Diese Befürchtung kommt aus zwei Richtungen. Die einen haben Angst vor einer Aufweichung des Paragrafen, die anderen haben Angst davor, dass er noch strenger wird. Ob man dieses Thema unbedingt hätte aufgreifen müssen, kann man in der Tat skeptisch betrachten. Gleichwohl gibt es im Alltag gesellschaftliche Probleme, die besprochen werden müssen. Die Frage nach dem Paragrafen 218 ist nun aber aufgeworfen und muss deshalb diskutiert werden.

Hätten Sie persönlich die Frage nach 218 gestellt?

Woopen Als Politikerin wäre das nicht meine erste Priorität gewesen.

Sind Sie für eine Liberalisierung bei Schwangerschaftsabbrüchen?

Woopen Liberalisierung ist für mich die falsche Kategorie. Man ist ja nicht liberaler, wenn man bei einer Abwägung im Schwangerschaftskonflikt die Rechte der Schwangeren stärker gewichtet als es jetzt der Fall ist. Je länger ich darüber nachdenke, und ich befasse mich schon sehr lange mit dem Thema, desto deutlicher wird mir die Komplexität der Situationen und Fragestellungen. Ich habe Ideen, die ich diskutieren möchte, ich bin aber auch sehr gespannt auf andere Vorschläge und ihre Begründungen. Sehr wichtig ist mir, dass wir aus der polarisierten und teils ideologisch geführten Diskussion herauskommen. Klar muss aus meiner Sicht werden, dass Fragen um den Schwangerschaftsabbruch einem Dilemma ähneln, aus dem man, egal wie, nicht ohne Konflikt herauskommt. Egal welche Lösung man wählt: Ein schwerer Konflikt ist damit in jedem Fall verbunden.

Können Sie das konkretisieren?

Woopen Es geht zum einen um die Selbstbestimmung, die Gesundheit und das Leben der Frau, aber nicht ausschließlich, denn mit dem ungeborenen Leben ist immer ein zweites Lebewesen beteiligt. Und damit ist die Bestimmung der Frau über sich selbst immer auch die Bestimmung über ein anderes Leben. Nur von der sogenannten Reproduktiven Selbstbestimmung zu sprechen, greift zu kurz. Diese spielt eine große und wichtige Rolle, aber es ist eben nicht nur die Selbstbestimmung der Frau über sich selbst. Diesen Konflikt hat man unausweichlich vor sich, egal ob es sich um eine von vorne herein ungewollte Schwangerschaft handelt oder um eine eigentlich gewollte Schwangerschaft, während derer die Frau von einer zu erwartenden Krankheit oder Behinderung des Kindes erfährt und dadurch in einen Konflikt gerät.

Wissen Sie, ob das alle in Ihrer Untergruppe so sehen?

Woopen Das haben wir bisher nicht abgefragt. Ich kann nur sagen, dass ich alle Beteiligten so erlebe, dass sie offen in die Diskussion gehen und wir um ein differenziertes Gutachten ringen. Es gibt Fragen, zu denen man unterschiedliche Haltungen vertreten kann. Und trotzdem muss man in einer solch vielfältigen Gesellschaft eine gesetzliche Regelung finden.

Für Diskussionen sorgt die Fristenregelung, laut der eine Abtreibung unter gewissen Bedingungen bis zur 14. Schwangerschaftswoche straffrei möglich ist. Können Sie erklären, weshalb diese Frist sinnvoll ist – oder warum sie es nicht ist?

Woopen Diese Frist ist historisch entstanden. Eine solche Frist ist ja nicht biologisch zu begründen, weil aus biologischen Sachverhalten noch nicht automatisch ethische oder rechtliche Regeln folgen. Mit zwölf Wochen – juristisch gerechnet, medizinisch gerechnet sind das 14 Wochen – hat das Ungeborene alle Organe angelegt, auch wenn alles noch sehr klein ist. Welchen biologischen Anknüpfungspunkt man für Schutzansprüche als richtig erachtet, kann man diskutieren. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt für den Gesetzgeber ist sicherlich auch der Zeitpunkt, ab dem das Ungeborene außerhalb des weiblichen Körpers zumindest mit intensivmedizinischen Maßnahmen überlebensfähig ist.

Wann wäre das?

Woopen Mit 22 Wochen. Zum Vergleich: Die frauenärztlich gerechnete Schwangerschaftsdauer beträgt 40 Wochen. Ab 22 Wochen hat das Kind zunehmend gute Lebenschancen, wenn keine weiteren Beeinträchtigungen vorliegen und die intensivmedizinische Versorgung gegeben ist.

Welche Fragen beschäftigen Sie neben der Fristenregelung?

Woopen Zu nennen ist hier zum Beispiel die Pflicht zu einer psychosozialen Beratung für Frauen, die in den ersten zwölf Wochen eine straffreie Abtreibung vornehmen möchten. Es gibt Stimmen in der Gesellschaft, die diese Pflichtberatung ablehnen. Auch hier muss zwischen den Vor- und Nachteilen abgewogen werden. Außerdem beschäftigen wir uns mit den Schwangerschaftsabbrüchen nach einer auffälligen Pränataldiagnostik. Und natürlich ist das Thema der Prävention ungewollter Schwangerschaften auch ein ganz wichtiger Punkt. Am besten entsteht ein Konflikt ja gar nicht erst.

Wie genau sieht Ihre Arbeit in der Kommission eigentlich aus?

Woopen Wir sind in der Kommission mit zwei Arbeitsgruppen tätig sind. Die eine, in der auch ich bin, beschäftigt sich mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch und der Frage, ob man ihn auch außerhalb des Strafrechts regulieren könnte. Die andere befasst sich mit Fragen der Leihmutterschaft und Eizellspende. Letztere betrifft das Embryonenschutzgesetz, unsere Fragestellung den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch. Aber bestimmte ethische Fragen überschneiden sich in beiden Gruppen.

In der Kommission sitzen drei Männer, in Ihrer Untergruppe ist keiner vertreten. Verändert das die Arbeit?

Woopen Die Arbeit ist in unserer Arbeitsgruppe nicht durch das Geschlecht der Mitglieder, sondern durch ihre Sachkenntnis aus unterschiedlichen Disziplinen geprägt. Ich hätte es aber durchaus begrüßt, wenn auch die männliche Perspektive vertreten wäre. Denn beim Schwangerschaftsabbruch ist ein Kind entstanden, an dem auch ein Mann beteiligt war. Vielleicht gibt es Männer, die Vater werden möchten und die Abtreibung nicht wollen – oder umgekehrt. Insofern finde ich diese Perspektive sehr relevant.

Gesellschaftliche Gruppen, etwa Religionsgemeinschaften, sind auch nicht in der Kommission.

Woopen Es sind nur Einzelmitglieder mit unterschiedlichem fachlichen Hintergrund in der Arbeitsgruppe und keine Vertreter gesellschaftlicher Gruppen. Wir sind als Personen berufen und sprechen nur für uns persönlich. Wenn Sie eine Kommission mit allen gesellschaftlichen Gruppen einrichten, haben Sie eine riesige Gruppe. Aber wir versuchen diese Stimmen auch zu berücksichtigen. Wir hatten bereits eine Anhörung mit den Fraktionen des Bundestages und werden demnächst eine Anhörung mit gesellschaftlichen Gruppen durchführen, sodass auch diese Gruppen zur Geltung kommen.

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