Bluttat in Chemnitz Verdächtiger hätte abgeschoben werden können

Chemnitz · Chemnitz kommt nicht zur Ruhe. Am Freitag macht sich Familienministerin Giffey ein Bild von der Lage. Gleichzeitig kommen neue Erkenntnisse über das Asylverfahren eines Tatverdächtigen ans Licht.

 Blumen und Kerzen erinnern in Chemnitz an den getöteten Mann (Archiv).

Blumen und Kerzen erinnern in Chemnitz an den getöteten Mann (Archiv).

Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Der nach einer tödlichen Messerattacke in Chemnitz festgenommene Iraker hätte nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Chemnitz bereits im Mai 2016 abgeschoben werden können. Eine Abschiebung nach Bulgarien wäre zulässig gewesen, teilte das Verwaltungsgericht Chemnitz am Freitag mit. Die Abschiebung sei in der Folgezeit aber nicht vollzogen worden, weshalb die Überstellungsfrist von sechs Monaten abgelaufen war. In Bulgarien war der Mann zunächst als Asylbewerber registriert worden. Zuerst hatten „Welt“ und „Nürnberger Nachrichten“ darüber berichtet.

Nach dem Tod des 35-Jährigen in der Nacht zu Sonntag sind zwei Asylbewerber aus dem Irak und aus Syrien tatverdächtig. Sie befinden sich in Untersuchungshaft. Sie sollen bei einer Messerattacke den Mann getötet und zwei weitere Männer verletzt haben.

Insgesamt waren beim Verwaltungsgericht Chemnitz laut dem Gerichtssprecher vier Verfahren gegen den Iraker anhängig. Zunächst hatte sich der Mann gegen einen abgelehnten Asylantrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gewehrt. Danach sollte der Mann nach Bulgarien abgeschoben werden, weil er dort zuerst registriert worden war und das Land deshalb zuständig war. Dagegen wehrte sich der Mann erfolglos vor Gericht. Das Gericht hielt die Abschiebung für zulässig. In der Folge sei die Abschiebung laut dem Gerichtssprecher aber nicht vollzogen worden.

Schließlich musste das Bamf erneut entscheiden, weil nun die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik übergegangen war. Das Bamf lehnte den Asylantrag laut dem Gerichtssprecher wieder ab. Dieses Mal war die Begründung, dass der Mann in Bulgarien bereits ein Asylverfahren erfolgreich abgeschlossen hatte. Dagegen wehrte sich der mutmaßliche Täter schließlich erfolgreich vor Gericht. Dem Gerichtssprecher zufolge konnte das Bamf nicht nachweisen, dass das Gerichtsverfahren bereits in Bulgarien abgeschlossen war.

Derweil besuchte Familienministerin Franziska Giffey als erstes Mitglied der Bundesregierung nach dem Tod des 35-Jährigen und rechten Ausschreitungen Chemnitz. Sie zeigte sich betroffen von den Ereignissen in der Stadt. „Ich habe Blumen niedergelegt und ich möchte erinnern, vor allen Dingen auch in diejenigen, die jetzt im Schmerz sind für den, der verstorben ist, aber auch für die, die verletzt worden sind“, sagte sie. Zugleich forderte die Familienministerin, die Leistungen der Menschen in Chemnitz, Sachsen und Ostdeutschland überhaupt mehr anzuerkennen.

Nach einer neuen Umfrage des ZDF-„Politbarometers“ nehmen 76 Prozent aller Befragten eine sehr große oder große Gefahr für die Demokratie durch Rechtsextreme wahr, 23 Prozent sehen das nicht so.

Bereits am Samstag steht die Polizei in Chemnitz vor der nächsten Bewährungsprobe: Die AfD und das ausländerfeindliche Bündnis Pegida wollen gemeinsam bei einem Schweigemarsch durch Chemnitz des Opfers gedenken. Die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock und der Grünen-Politiker Cem Özdemir wollen an einer Demonstration gegen Rassismus teilnehmen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und SPD-Vize Manuela Schwesig kündigten sich ebenfalls an.

Die Schweiz reagierte auf die Proteste in Chemnitz und rief in Reisehinweisen zur Vorsicht in der Umgebung von Demonstrationen in großen deutschen Städten auf.

(wer/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort