Der Iran und das Netz "Chamenei ist ein Lügner, gebt nicht auf!"

Teheran (RPO). Auch am Dienstag werden in der iranischen Hauptstadt Teheran mehrere hunderdtausend Menschen zu Protestmärschen gegen das Regime Ahmadinedschad und das angeblich gefälschte Wahlergebnis erwartet. Die Regierung scheint überrascht: Trotz massiver Zensur sind die Protestler bestens organisiert. Am Dienstag verbot das Regime sogar Berichterstattung auf offener Straße. Die Protestler halten indes via Internet Kontakt. Über Blogs, Twitter und das Video-Portal Youtube verbreiten sie ihre Informationen.

Juli 2009: Hunderttausende protestieren gegen Wahl im Iran
19 Bilder

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Teheran (RPO). Auch am Dienstag werden in der iranischen Hauptstadt Teheran mehrere hunderdtausend Menschen zu Protestmärschen gegen das Regime Ahmadinedschad und das angeblich gefälschte Wahlergebnis erwartet. Die Regierung scheint überrascht: Trotz massiver Zensur sind die Protestler bestens organisiert. Am Dienstag verbot das Regime sogar Berichterstattung auf offener Straße. Die Protestler halten indes via Internet Kontakt. Über Blogs, Twitter und das Video-Portal Youtube verbreiten sie ihre Informationen.

"Chamenei ist ein Lügner und will zehn Tage, um uns zu demoralisieren. Gebt nicht auf!", schreibt der Twitter-Nutzer "28kasperjd" im Internet. Der User nimmt Bezug auf den Vorsitzenden des Wächterrates Ayatollah Ali Chamenei, der eine Überprüfung des Wahlergebnisses binnen zehn Tagen ankündigte. "28kasperjd" und viele andere vermuten: Die Regierung spielt auf Zeit und hofft, dass der Protest in wenigen Tagen abflaut.

Nur eine Nachricht unter vielen Hundert, die im Minutentakt auflaufen. "Iraner können eine Neuzählung nur akzeptieren, wenn sie von unabhängiger dritter Seite durchgeführt wird", mischt sich Nutzer "SharBowers" ein. Andere User kündigen ihre Teilnahme an Protesten und veröffentlichen Handy-Fotos auf dem Bilderportal flickr.com.

Informationen austauschen und Mut machen

Der Mikro-Blog Twitter, bei dem sich Nutzer in aller Welt 140 Zeichen lange Nachrichten schreiben, ist mittlerweile zum wichtigsten Kommunikationsmittel der iranischen Demonstranten geworden. Die Menschen nutzen den Dienst, um sich auf dem Laufenden zu halten, sich zu verabreden, gegenseitig Mut zuzusprechen und zu diskutieren.

Twitter und vergleichbare Dienste machen deutlich, wie schnell staatliche Zensur im 21. Jahrhundert an ihre Grenzen stößt. Denn natürlich versucht das Regime alles, um Information und Kommunikation zu verhindern. Am Dienstag verbot die Regierung allen Journalisten ausländischer Medien Berichterstattung auf offener Straße. Der Anordnung vom Dienstag zufolge dürfen die Reporter nur noch aus ihren Büros berichten und damit keine Augenzeugenberichte senden. Dem britischen Sender BBC wurde die Arbeit zwischenzeitlich mit einem Störsender unmöglich gemacht. Auch Online-Dienste wie Twitter und Youtube sind offiziell gesperrt. Versiertere Nutzer umgehen die Sperre jedoch relativ einfach über ausländische Server.

Bei allem Hype um das Mikro-Blog werden in diesen Tagen jedoch auch die Grenzen deutlich. Denn wie es um den Wahrheitsgehalt der Nachrichten bestellt ist, kann nicht ohne Weiteres bestimmt werden. Auch über die Verfasser der Nachrichten ist kaum etwas bekannt. So berichten User "kworkman" und andere über angebliche Putschvorbereitungen des iranischen Militärs. Handfeste Indizien werden kaum oder gar nicht geliefert. Andere Nutzer forderten prompt, die Verbreitung von Gerüchten zu unterlassen.

Twitter verschiebt Wartungsarbeiten

Auch den Betreibern des Dienstes ist die Bedeutung für den Iran in diesen Tagen sehr bewusst. Twitter verschob für diese Nacht angestezte Wartungsarbeiten, um den Informationsfluss in Teheran und Umgebung nicht zu unterbrechen. Auch die Bemühungen der Regierung, den Zugang zum Netz deutlich zu verlangsamen, zeigt kaum Wirkung. Für die Benutzung von Twitter ist ohnenin nur eine geringe Bandbreite nötig.

Dass sich Mussawis Anhänger in dieser Form der neuen Technik bedienen, überrascht nicht. Der Reformkandidat ist der Hoffnungsträger der urbanen Jugend. Westlich orientierte Frauen, Studenten und Intellektuelle bilden die Basis seiner Wählerschaft. Ihr Markenzeichen (grüne Tücher und der Slogan "Wo ist meine Stimme?") sind auch im Netz allgegenwärtig.

Ahmadinedschads Unterstützer leben vielfach auf dem Land und sind stark religiös geprägt. Einen nennenswerte Bewegung gegen die Mussawi-Anhänger im Netz gibt es daher kaum. Ob sich das virtuelle Übergewicht der Mussawi-Anhänger auch in reale politische Erfolge umwandeln lässt, bleibt abzuwarten.

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