Streit um Obergrenze CDU und CSU riskieren die Scheidung

Perl/Berlin · Der Streit um die Obergrenze für Flüchtlinge zwischen CDU und CSU bleibt im Wahlkampf erhalten. Bei möglichen Koalitionsverhandlungen im Herbst könnte er zur existenziellen Bedrohung für den Zusammenhalt der Union werden.

 Sind sich in Sachen Obergrenze für Flüchtlinge nicht einig: Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer.

Sind sich in Sachen Obergrenze für Flüchtlinge nicht einig: Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer.

Foto: Patrick Seeger/Daniel Karmann/dpa

In Klausursitzungen stellen die Parteien die Weichen fürs Jahr. CDU und CSU stellten ihre Weichen für 2017 so, dass im Streit um die Obergrenze für Flüchtlinge weiter zwei Züge aufeinander zurasen. "Wir haben einen Dissens", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Abschluss der Klausur des CDU-Vorstands im saarländischen Perl. Sie betonte: "Ein solcher Dissens führt nicht dazu, dass man nicht gemeinsam Wahlkampf führen kann." Doch ob dieser Dissens auch in die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU und in eine mögliche neue Koalition eingepflegt werden kann, ist offen. Für Anfang Februar war ein Versöhnungstreffen der Schwesterparteien in München geplant. Die CSU stellt dieses in Frage. Die Kanzlerin betonte am Wochenende, dass es sich nicht um ein Versöhnungstreffen, sondern um ein "Zukunftstreffen" handele.

Zur Geschichte der Bundesrepublik gehört es, dass es in Deutschland Konservative preußischer und bayerischer Prägung gibt, die CDU und die CSU. Bislang haben die beiden Parteien trotz aller Mentalitätsunterschiede im Dienste der Machterhaltung immer zusammengehalten. Doch nun ist das Unmögliche möglich geworden: 2017 könnte die Fraktionsgemeinschaft der Union der Geschichte angehören. Ein solches Szenario hat für viele Abgeordnete in Berlin seinen Schrecken verloren. Im Gegenteil: Es gibt auch eine Reihe von Politikern in der CDU, die klammheimlich hoffen, dass man die CSU los wird.

Das Modell der Union ist immer wieder Belastungsproben ausgesetzt. Im Streit um die Obergrenze für Flüchtlinge ist es nun ins Wanken geraten. Es zeichnet sich ab, dass CDU und CSU mit diametral entgegengesetzten Aussagen dazu in den Wahlkampf ziehen werden. Schaden wird der Union dieser existenzielle Streit nicht - vorerst.

Im Wahlkampf können die verteilten Rollen der Union sogar noch einmal nützlich sein. Die Wähler nehmen wahr: Merkel hat ihre Flüchtlingspolitik korrigiert, ist sich im Kern aber treu geblieben. Die CSU wiederum erfüllt die sich selbst auferlegte Rolle, auch den politisch rechten Rand als ihr Revier zu verteidigen.

Bei den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2017 könnte aber die Scheidung ins Haus stehen. Die CSU steht dann nur wenige Monate vor ihrer Landtagswahl. Ohne Gesichtsverlust wird sie nicht von der Zusage abrücken können, dass sie nur in eine Koalition eintritt, die eine Obergrenze gesetzlich festlegen will. Weder CDU noch SPD werden dies mitmachen, die Grünen schon gar nicht.

Kompromiss ohne Gesichtsverlust kaum denkbar

Den aktuellen Umfragen zufolge wird die CDU auch ohne die Stimmen der CSU die Mehrheitsfraktion im Bundestag bilden. Daraus ergibt sich für die CDU der Anspruch, dass sie weiterhin die Kanzlerin stellen kann. Darauf wird sie nicht verzichten, nur weil die CSU eine Koalition ohne Obergrenze verweigert.

Da ein Kompromiss in dieser Frage ohne Gesichtsverlust für die CDU oder die CSU kaum denkbar ist, könnte es nach der Bundestagswahl zu einer Trennung von CDU und CSU als Fraktionsgemeinschaft kommen.

Die Folge: Die CDU wird sich in Bayern ausdehnen müssen. Diese Variante wird bei den Christdemokraten auch schon mehr oder weniger offen diskutiert. "Wenn die Attacken weitergehen, empfehle ich, in München eine Immobilie zu kaufen", sagte Volker Bouffier, Hessens Ministerpräsident und bekennender Anhänger von Schwarz-Grün bereits im September in einer Präsidiumssitzung der CDU.

Ende der Union würde politische Landschaft verändern

Die CSU wiederum wäre im Fall einer Trennung gezwungen bundesweit anzutreten, wenn sie überleben will. Die Position der Christdemokraten wäre allerdings komfortabler - schon allein, weil sie außer in Bayern bereits eine bundesweite Organisationsstruktur besitzt.

Rechnerisch könnten CDU und SPD vermutlich eine Regierung bilden. Falls dies nicht reichen sollte, wäre es möglich, die Grünen oder die FDP in ein solches Bündnis zu integrieren. Es wäre eine Regierung der Mitte: Man hätte wieder eine Koalition, die sich nicht mehr "groß" nennen könnte, aber dennoch eine breite Mehrheit im Volk vertritt. Opposition gäbe es von links und von rechts.

Ohne die Union als Union würde sich die politische Landschaft im Land auf Dauer erheblich verändern. Für die Stabilität der Demokratie wäre die Trennung der Unionsparteien allerdings keine Gefahr. Der Verdienst der CSU ist es, dass sie Bayern auch in Krisenzeiten politisch stabil und wirtschaftlich stark gehalten hat. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Existenz einer Regionalpartei mit diesem erheblichen bundespolitischen Einfluss in einer globalisierten Welt weiter in ihrer Bedeutung bestehen kann. Der Ball liegt im Feld der CSU, dies zu entscheiden.

(qua)
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