Debatte in der Union CDU streitet um die K-Frage

Berlin · Es ist ein Gespräch mit Sprengkraft: CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe trifft am Dienstag Vertreter des "Berliner Kreises", die eine konservativere Union wollen. Mike Mohring, einer der Mitgründer des Kreises, schreibt in einem Gastbeitrag, worum es den Konservativen geht.

 CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Parteitag in Leipzig 2011.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Parteitag in Leipzig 2011.

Foto: dapd, Sebastian Willnow

Am Anfang standen fünf CDU-Fraktionsvorsitzende, denen das "K" in der Union zu klein geschrieben wurde: Steffen Flath (Sachsen), Mike Mohring (Thüringen), Christean Wagner (Hessen), Saskia Ludwig (Brandenburg) und Stefan Mappus (Baden-Württemberg) suchten schon vor Jahren eine Plattform, um sich darüber auszutauschen, was die CDU ihrer konservativen Stammwählerschaft noch bieten könne.

Eine breitere Öffentlichkeit erfuhr von dem Gesprächsformat erstmals, als die Gruppe der Parteivorsitzenden Angela Merkel vor der Bundestagswahl 2009 einen Brief mit dem Verlangen nach einem schärferen konservativen Profil schrieb. In der laufenden Wahlperiode bekamen die lockeren Treffen der Gruppe mit zeitweise 30 bis 40 Abgeordneten den Charakter einer innerparteilichen Sammlungsbewegung. Zu den bekanntesten gehörten Innenausschussvorsitzender Wolfgang Bosbach und die Menschenrechtspolitikerin und Vertriebenen-Funktionärin Erika Steinbach. Aber auch zahlreiche Landespolitiker waren nach Niederlagen und Rückschlägen in Landtagswahlen der Ansicht, dass der Merkel-CDU "etwas fehlt".

Ärger über "Anti-Merkel-Kreis"

Doch als der "Berliner Kreis" erstmals als "Anti-Merkel-Kreis" bezeichnet wurde, war es mit dem innerparteilichen Burgfrieden vorbei. Die Chefin war "not amused", und ihr überdeutliches Stirnrunzeln führte zu entsprechenden Abwehr-Reaktionen der Parteizentrale. Plötzlich lauteten die Kommentare von Generalsekretär Hermann Gröhe und Unionsfraktionschef Volker Kauder gar nicht mehr so freundlich. "Nur zu fordern, die CDU müsse konservativer werden, reicht nicht aus", kritisierten beide unisono.

Über die Architektur der Vertretung der Konservativen innerhalb der Partei gehen die Meinungen auch innerhalb des "Berliner Kreises", vor allem aber unter seinen Sympathisanten auseinander. Während die einen eine feste Plattform errichten wollen, die regelmäßig als solche auch mit Erklärungen in Erscheinung tritt wie Anfang letzten Jahres mit der Denkschrift "Mehr Profil wagen", halten andere wie Volker Bouffier, Hessens CDU-Regierungschef und stellvertretender Vorsitzender der Bundes-CDU, bei aller Sympathie für den Kreis nichts von einer neuen innerparteilichen Organisation.

In einem Gastbeitrag für unsere Redaktion schreibt einer der Mitgründer, Mike Mohring, worum es den Konservativen in der CDU geht:

Konservative Bewährung

Wozu konservativ? Und was heißt das heute eigentlich? Diese Frage wird CDU-Politikern oft gestellt, die für eine breit aufgestellte CDU mit erkennbaren christlich-sozialen, liberalen und konservativen Seiten werben. Die Antwort darauf ist, dass das Konservative im christlichen Menschenbild, der Wertschätzung von Freiheit, Personalität und Menschenwürde, im Sinn für Bindung, Leistung, Verantwortung und Ordnung sowie dem Subsidiaritätsprinzip grundsätzlich angelegt ist. Dies ist aber gar nicht zweifelhaft. Bewähren müssen sich derartige Grundüberzeugungen im politischen Alltag.

Eine große Hürde ist dies allerdings nicht, denn dieser Alltag hält zahlreiche Herausforderungen bereit, an denen das Profil geschärft werden kann. Beispielhaft sei eines aus jüngster Zeit angeführt: Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise offenbart einen Verlust des menschlichen Maßes. Niemals in den letzten Jahrzehnten lag offener zu Tage, dass die Marktteilnehmer starke äußere und innere, ethische Leitplanken benötigen. Niemals war offensichtlicher, dass man nicht dauerhaft mehr ausgeben als einnehmen kann.

Bildungspolitik als Feld der Bewährung

An einem erweiterten Ordnungsrahmen zu arbeiten und Schuldenbremsen in den deutschen Ländern und den europäischen Mitgliedsstaaten durchzusetzen, das ist konservativ. Dazu gehört, den wirtschaftlich Verantwortlichen ein "hörendes Herz" anzumahnen, so wie es Papst Benedikt XVI. im Bundestag sagte. Das erwähnte Beispiel steht nicht allein. Auf fast allen politischen Ebenen ist die Bildungspolitik ein Feld der Bewährung. Der Erfolg des leistungs- und begabungsgerechten gegliederten Schulsystems ist die Frucht eines realistischen Blicks auf die Menschen und ihre jeweiligen Möglichkeiten. Die richtige Schule für jeden, statt eine Schule für alle, die beharrliche Arbeit an der Schulqualität und Chancengerechtigkeit durch frühkindliche Bildung, individuelle Förderung und Durchlässigkeit: das ist konservative Bildungspolitik.

Und weiter: Da rügt die Europäische Kommission das geplante Betreuungsgeld in Deutschland und das steuerliche Ehegattensplitting. Aber kann es wirklich Aufgabe der EU sein, von Estland bis Portugal und von Irland bis Zypern ein bestimmtes familienpolitisches Modell durchzusetzen? Europa hat Zukunft, wenn es eine Einheit in Vielfalt ist und 27 Mitgliedstaaten ihre gesellschaftliche Wirklichkeit selbst gestalten können. Darauf sollten vor allem Konservative freundlich, aber bestimmt hinweisen. Ein gegliedertes Gemeinwesen von unten nach oben über Kommunen, Länder und Nationen aufzubauen, mit einer Zuständigkeitsvermutung für die jeweils untere Ebene, dass gilt nach dem Subsidiaritätsprinzip sowohl im Bund als auch in Europa. Konservativ heißt, dass nicht alle nach einer, sondern zunächst jeder nach seiner Fasson selig werden soll, um auf den großen Friedrich zu verweisen.

Wahlfreiheit in der Familienpolitik

Deshalb setzt die CDU in der Familienpolitik auf Wahlfreiheit. Um diese Wahlfreiheit tatsächlich zu ermöglichen, bedarf es selbstverständlich des Ausbaus von Krippen- und Kindergartenplätzen, nur sollte man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht alleine darauf abstellen. Entscheidend ist, Familien als kleinste Gemeinschaft und erste Sozialisationsinstanz zu stützen. Dazu muss sie selber entscheiden können, was gut für sie ist — und vor allem: an welchem Maßstab sie das misst. Das alles hat Platz in der CDU und ist handlungsleitend.

Man kann trefflich darüber streiten, wie die konservative Seite wieder besser zur Geltung gebracht werden kann. Entscheidend ist, dass sie wahrnehmbarer wird. Das wird der letzten verbliebenen Volkspartei CDU die Wähler zurückbringen, die sich im Laufe der Jahre von ihr abgewandt haben. Wenn die Union über diese Positionen gelassen einen Diskurs ermöglicht und im "Sowohl-als-auch" ihre Grundüberzeugungen abwägt, hat sie als attraktive Volkspartei Zukunft.

(RPO/caf)
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