Wettkampf um CDU-Parteivorsitz Der Machtverein

Berlin · Die CDU will kein Kanzlerwahlverein mehr sein. Parteichef wird aber trotzdem, wem die Delegierten das Kanzleramt am ehesten zutrauen. Halbzeitbilanz nach und vor vier Regionalkonferenzen.

CDU: Halbzeitbilanz im Ringen um Parteivorsitz
Foto: dpa/arifoto UG

Wer auch immer von den drei Kandidaten die CDU nach Angela Merkel führen wird – die Partei schreibt gerade Geschichte. Nach der Wahl der oder des neuen Vorsitzenden im Dezember in Hamburg wird sich die letzte große Volkspartei radikal verändern. Ob mit Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz oder Jens Spahn. Denn alle vier – Merkel hat den Prozess durch ihren beispiellosen Rückzug von der Spitze überhaupt erst möglich gemacht - ermöglichen den Mitgliedern gerade etwas, was diese künftig nicht mehr hergeben werden:  miterleben, mitfiebern, mitmachen. Unabhängig von den Sympathien für die einzelnen Bewerber eint die Zuhörer bei den Regionalkonferenzen von Lübeck und Mainz bis Seebach und Halle dies: ihre Begeisterung über die neue Basisdemokratie und das wohltuende Gefühl, auch als „einfaches“ Mitglied wichtig zu sein. Das hat Merkel in ihren harten Jahren als Kanzlerin oft vernachlässigt. Die Basis will aber gehört und informiert werden, was an der Spitze vor sich geht. Das ist nach vier von acht Regionalkonferenzen ganz klar. Zeit für eine Halbzeitbilanz.

Welche Chancen die Kandidaten bei den 1001 Delegierten, die in ihrer Mehrheit Mandatsträger sind und bleiben wollen, tatsächlich haben werden, ist auch nach vier Konferenzen nicht sicher zu sagen. Denn die Teilnehmer gehen überwiegend  höflich mit den Gästen um. Ihre Fragen zeugen in der Regel von echtem Erklärungsbedürfnis und Interesse an den Antworten. Und als müsste der Applaus gerecht verteilt werden, bekommen alle drei Beifall.

Dem 38-jährigen Bundesgesundheitsminister und Präsidiumsmitglied Jens Spahn werden weiterhin nur Außenseiterchancen eingeräumt. Allerdings sollte sich niemand auf Umfragen, nach denen Kramp-Karrenbauer vorne liegt, verlassen. Viel wird auf die Tagesform beim Parteitag ankommen, um die Unentschlossenen für sich zu gewinnen. Spahn nimmt inzwischen das Mikro in die Hand und wandert auf der Bühne hin und her während Merz und Kramp-Karrenbauer hinter dem Pult  bleiben. Er wirkt lebendig, experimentierfreudig, angriffslustig. Er ist der Kandidat, der am wenigsten zu verlieren hat. Wenn er jetzt nicht Parteichef wird, kann er es in zehn Jahren immer noch werden. Sein Mut gegenzuhalten, trägt ihm Respekt ein.

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Spahn polarisiert mit seiner Kritik am UN-Migrationspakt und wird dafür vom rechten Flügel der Partei sowie von der AfD beklatscht. Hier überschneidet er sich mit Merz. Sie mischen die Bundestagsfraktion von CDU und CSU damit auf. Nach Informationen unserer Redaktion wollen die Pakt-Gegner in den Unionsreihen erwirken, dass in einen geplanten Antrag der Fraktion an das Parlament zur grundsätzlichen Zustimmung zu dem UN-Vorhaben Einschränkungen durch eine Protokollnotiz gemacht werden. Dadurch sollen über die bereits feststehende völkerrechtliche Unverbindlichkeit des Paktes hinaus alle möglichen Verpflichtungen für Deutschland ausgeschlossen werden.

Ein Textvorschlag lautet: „Die Bundesrepublik Deutschland wird solchen Personen (Migranten) grundsätzlich auch keinen, insbesondere gleichberechtigten Zugang zu ihrem Sozialsystem, ihren Ausbildungs- und Wissenschaftseinrichtungen sowie zu dem Arbeitsmarkt gewähren.“ Das zielt auf die Intention des UN-Pakts ab, Migranten ungeachtet ihres Migrationsstatus Zugang zu Grundleistungen zu gewähren und menschenwürdig zu behandeln. In Deutschland gilt diese Verpflichtung allerdings bereits aufgrund des Grundgesetzes und seiner Garantie der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip. Dennoch sagt der Vorsitzende der Werte Union, Alexander Misch: „Ohne zusätzliche Erklärung des Bundestags für das Protokoll der Konferenz, dass die Verpflichtungen des Pakts keine rechtliche Wirkung für Deutschland entfalten, wird es keinen konsensfähigen Antrag der CDU/CSU geben.“

Die große Welle, die Merz (63) mit seiner überraschenden Kandidatur Ende Oktober ausgelöst hatte, wird inzwischen flacher. Dass sich der Millionär nur in der oberen Mittelschicht verortet hatte, kam nicht gut an. Seine Fans sehen auch mit Sorge, dass er in manchen Themen nicht sattelfest ist. So hatte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock dem einstigen Bundestagsfraktionschef (2000 bis 2002) vor einer Woche in der Sendung „Anne Will“ den Unterschied zwischen dem Schengen-Raum ohne Grenzen und dem Dublin-Abkommen zur Aufnahme von Asylbewerbern erklären müssen. Und am Mittwoch sprach er erst davon, dass man zur Debatte darüber bereit sein müsse, ob das Grundrecht auf Asyl in seiner jetzigen Form fortbestehen könne. Nach parteiübergreifender scharfer Kritik erklärte er dann am Donnerstag, er sei für die Beibehaltung, und gab Journalisten die Schuld an der Verwirrung. Für manche ist da der Schritt zum AfD-Vorwurf der „Lügenpresse“ nicht mehr weit. AfD-Anhänger sehen Merz wiederum einknicken wie CSU-Chef Horst Seehofer, der auch die AfD bekämpfen wollte, indem er ihr Thema besetzt, und daran scheiterte.

Kramp-Karrenbauer, die Abschiebungen syrischer Straftäter zurück in ihre Heimatland fordert, wird gerade ausgerechnet von Seehofer gebremst. Der Innenminister lehnt das ab. Und ihre Devise, politische Prozesse gingen von der Partei aus und reichten dann von der Fraktion in die Regierung, sehen die Bundestagsabgeordneten ganz anders.

Bei ihrer Wahlentscheidung werden die Delegierten aber ganz unabhängig von den Positionen der Kandidaten abgleichen, wer von ihnen die größten Chancen hätte, die nächste Bundestagswahl zu gewinnen. Denn auch wenn die CDU von nun an kein Kanzlerwahlverein mehr sein will - an der Macht will sie bleiben.

(kd)
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