Wahl von Paul Ziemiak löst Fragen aus Diese Politiker haben trotz Studien-Flop richtig Karriere gemacht

Berlin · Nach der Wahl von Paul Ziemiak zum CDU-Generalsekretär wird die Frage nach den Folgen laut, wenn Politiker ohne einen vorangehenden erfolgreichen Abschluss oder Beruf eine Spitzen-Karriere machen

 Kreißsaal - Hörsaal - Plenarsaal? Die politische Karriere ohne Studienabschluss oder Berufserfahrung wird immer wieder hinterfragt. Neues Beispiel: Der neue CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.

Kreißsaal - Hörsaal - Plenarsaal? Die politische Karriere ohne Studienabschluss oder Berufserfahrung wird immer wieder hinterfragt. Neues Beispiel: Der neue CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.

Foto: dpa/Rainer Jensen

Paul Ziemiak hat eine Menge Prüfungen in seinem Leben bestanden. Die schwerste mit 22 Jahren, als seine Mutter an Krebs starb.  Nur eines hat Ziemiak nicht: Einen Berufsabschluss. Das heißt, die große Volkspartei CDU hat einen Mann in vorderster Reihe, der vor seiner politischen Karriere keinen anderen Beruf erlernt hat. Wenn er in der CDU scheitert, steht er beruflich mit leeren Händen da. Ist er deshalb ein schlechter Politiker?

Andreas Mattfeldt aus Niedersachsen, gelernter Industriekaufmann und seit 2009 CDU-Bundestagsabgeordneter, nennt Ziemiaks Namen nicht.  Aber seine Botschaft ist eindeutig. „Wer in Deutschland  politische Verantwortung für die Menschen in unserem Land übernehmen möchte, sollte einen anständigen Beruf erlernt oder studiert haben. Mehrere Jahre bewiesen haben, dass man erfolgreich zum Wohl des Unternehmens tätig war, und auch größere Personalverantwortung definitiv nicht schaden kann“, twitterte er sprachlich nicht ganz fehlerfrei, aber prägnant. Mattfeldt zeigte sich sicher, es „wird uns auf die Füße fallen“, dass immer mehr Abgeordnete „nur das politische Geschäft mit ihren Netzwerken kennengelernt haben“. 

Ziemiak hatte nach dem Abitur zunächst Rechtswissenschaft studiert, blieb an der Seite seiner sterbenden Mutter und fiel nicht nur emotional in ein tiefes Loch, sondern auch durch die erste juristische Staatsprüfung. Er gab das Studium ohne Abschluss auf. Danach schrieb er sich für Unternehmenskommunikation an der Business and Information Technology School in Iserlohn ein. Auch dieses Studium hat er nicht beendet. Bis zum Einzug in den Bundestag verdiente er Geld als Werkstudent unter anderem für eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

2014 gewann der gebürtige Pole die harte Kampfkandidatur gegen Benedict Pöttering um den Vorsitz der Jungen Union, weil er Monate lang bei Mitgliedern um Unterstützung gebeten hatte und dann beim Deutschlandtag der Jugendorganisation in Inzell eine glänzende Rede hielt. Locker, frei, verbindlich. Im Laufe von vier Jahren als Chef der mit 120 000 Mitgliedern größten Jugendorganisation in Europa steigerte er seine Wahlergebnisse auf 91 Prozent im Oktober in Kiel – das jemals beste Resultat eines JU-Chefs.

Ein Jahr zuvor war er mit 32 Jahren in den Bundestag eingezogen. Vor einer Woche wurde der Vater eines kleinen Sohnes trotz des Richtungsstreits in der CDU und seiner Nähe zum rechten Flügelmann Jens Spahn der jüngste Generalsekretär in der Parteigeschichte unter der neuen christlich-sozialen Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, wenn auch mit einem zu erwartenden schlechten Ergebnis. 

Auf Augenhöhe mit Ziemiak befindet sich bei den Berufsabschlüssen sein roter Gegenspieler. Der Chef der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, vom Time Magazin bereits zum „Führer der nächsten Generation“ gekürt, studierte zunächst Publizistik und Kommunikationswissenschaften, dann Politik und Soziologie, und beides ohne Abschluss. Das hindert ihn nicht daran, ein besonderes Gespür für die Bauchgefühle der SPD-Basis zu entwickeln und die verbreiteten Bedenken in einer klaren Sprache zu artikulieren. Es bleibt die Frage, ob er das besser könnte, wenn er als Magister, Bachelor oder Doktor bereits theoretisch bewiesen hätte, dass er weiß, worauf es ankommt.

 Bei allem Respekt für die Bedeutung der wissenschaftlichen Ausbildung relativiert selbst Kanzlerin Angela Merkel, ausgebildete und promovierte Physikerin, die Bedeutung von Abschlüssen. Als der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg von einer Plagiatsaffäre zu seiner Doktorarbeit überrollt wurde, stellte sich Merkel anfangs vor ihn mit der Feststellung, sie habe einen Verteidigungsminister bestellt und keinen wissenschaftlichen Assistenten.

In der aktuellen Regierung fällt nicht weiter auf, dass im Kanzleramt Staatsministerin Annette Widmann-Mauz und im Verkehrsministerium Staatssekretär Enak Ferlemann ihr Studium ohne Abschluss abbrachen. Auch bei SPD-Bundesschatzmeister Dietmar Nietan dreht sich alles um die Frage, wie er die Finanzen im Griff hat und nicht darum, weshalb er sein Biologie-Studium nicht zum Abschluss brachte. Ähnlich ist es beim IT- und Raumfahrtexperten Thomas Jarzombek, der kein Studienzertifikat hat, aber eine eigene IT-Service-Firma aufbaute.

Als die Grünen 1994 in den Bundestag kamen, häuften sich auch die Biografien der aufstrebenden Studienabbrecher. Wer zur 68er Generation gehörte, musste häufig gewichten, was ihm gerade wichtiger war: Hörsaal oder Straßenkampf, Pauken oder Politik. So kam es auch, dass einer der heute begehrtesten Gastdozenten an internationalen Universitäten und mehrfacher Inhaber von Ehrendoktortiteln, nie richtig studierte: Joschka Fischer, sieben Jahre lang Außenminister und Vizekanzler, machte einen Taxischein als einzigen Abschluss. Die Frage, ob er deshalb als Spitzenpolitiker weniger geeignet sei, stellte sich angesichts seiner herausragenden Rolle im ersten rot-grünen Projektes auf Bundesebene nicht mehr.

Und was sagt die Parteienforschung? „Als Politiker braucht man unter anderem eine schnelle Auffassungsgabe, die Fähigkeit, sich rasch in neue Aufgabenbereiche einzuarbeiten, das Gespür für gesellschaftliche Veränderungen, das Einfühlungsvermögen in andere Lebenswelten, rhetorische Fähigkeiten, Verhandlungsgeschick, Führungsqualitäten und einen ausgeprägten Machtinstinkt“, analysiert der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer auf Anfrage unserer Redaktion. Und er folgert daraus: „Bei all dem ist eine Berufsausbildung, die Lebenserfahrung außerhalb der Politik vermittelt, sicher hilfreich aber nicht absolut notwendig.“   

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