Wahlkampf in der Schützenhalle Ein Merz für fast alle

Arnsberg-Oeventrop · In der ersten öffentlichen Rede seit seiner Kandidatur als CDU-Bundesvorsitzender präsentiert sich Friedrich Merz als vielfach kompatibel. Mit einer Ausnahme: Die AfD will er auf Abstand halten.

Friedrich Merz: Porträt des CDU-Politikers
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Das ist Friedrich Merz

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Für fast jeden hier hat Friedrich Merz ein kurzes Kopfnicken, für manche ein Lächeln, für wenige einen Händedruck. Schlicht unmöglich ist es, allen 500 Parteifreunden gerecht zu werden, die sich an diesem Samstagmorgen in der Schützenhalle von Oeventrop zum Kreisparteitag versammelt haben. Sogar aus Baden-Württemberg sind sie gekommen, um den Kandidaten für den CDU-Bundesvorsitz zu hören, den sie zuletzt vor zehn Jahren erlebt haben.

Die Halle der „Sankt Sebastianus Schützenbruderschaft Oeventrop 1766 e.V.“ könnte passender kaum sein, um der Parteibasis zu zeigen, wie viel Merz für sie übrig hat: An der Stirnseite prangt in Frakturschrift „Glaube - Sitte - Heimat“, die langen Holztische sind mit orangefarbenen Papierservietten und weißen Weihnachtssternen dekoriert und ein Wandbild mit dem obligatorischen röhrenden Hirsch ziert die Längsseite. Schon vor einem halben Jahr, lange bevor er seine Kandidatur bekanntgab, hatte Merz den heutigen Auftritt zugesagt.

Nun ist daraus die erste öffentliche Rede des Kandidaten Merz geworden, seit er vor 14 Tagen Anspruch auf den Parteivorsitz erhob. Und es trifft sich ausgesprochen gut, dass diese Schützenhalle im sauerländischen Arnsberg liegt - wo Merz auch wohnt. Die Sympathien sind ihm hier gewiss, da redet es sich leichter. Trotzdem gibt es einige, die er überzeugen muss. Ein älterer Herr aus Brilon im waidgrünen Pulli etwa, Parteimitglied seit über 60 Jahren, tendiert zu Merz‘ Rivalin Annegret Kramp-Karrenbauer, genannt AKK: „Der Merkel-Kurs war absolut gut“, meint er.

AKK ist im Kampf um den Parteivorsitz vermutlich eine härtere Konkurrenz als der dritte Kandidat Jens Spahn. Die Frauenunion hat sich bereits für AKK ausgesprochen, in Umfragen liegt sie zurzeit knapp vorn. Merz weiß das und spricht in seiner Rede mehrfach über frauenpolitische Themen. Doch da unterläuft ihm ein Fauxpas: Der 63-Jährige will explizit Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Prompt meldet sich eine Parteifreundin zu Wort, die ihn fragt, ob dies nicht auch für junge Väter gelte oder ob das allein Frauensache sei. Merz muss nachlegen: Selbstverständlich seien Frauen und Männer gemeint. Die Wirtschaft könne sich auch gar nicht leisten, qualifizierte Frauen als Fachkräfte zu verlieren.

Es ist nicht die einzige Charmeoffensive, die Merz an diesem Samstag startet. Es gilt die vielen verschiedenen Parteirichtungen einzubinden. Hinzu kommt, dass in nächster Zukunft in Berlin diverse Konstellationen für Koalitionen denkbar sind, sollte es zu Neuwahlen kommen. Wie kompatibel Merz sich zeigt, wird über seine Wahlchancen entscheiden.

So stellt er zunächst eine gewisse Verbundenheit zum Groko-Partner SPD her. Wenn die SPD als Volkspartei gefährdet sei, dann sei es auch die CDU: „Volkspartei gibt‘s nur im Plural“. Dabei müsse es der Anspruch sein, dass die CDU als Volkspartei in der Mitte stehe und die verschiedenen Richtungen integriere. Mit der Kanzlerin werde er loyal, fair und anständig zusammenarbeiten, sagte er und bekräftigt damit, was er in einem Interview mit unserer Redaktion angekündigt hatte.

Merz muss aber auch die CSU zur Räson zu rufen, denn ohne die Verstärkung aus dem Süden sieht es für die Mehrheiten der Union mau aus: „Es gibt nichts und niemanden, was wichtiger ist als die Fraktionsgemeinschaft der CDU und CSU. Fast schon eine kongeniale Konstellation sei das, so Merz. Aber aus seiner Sicht wohl ohne Horst Seehofer: „Man lässt einen Bundeskanzler der CDU Deutschlands nicht neben einem Rednerpult der CSU strammstehen“, sagt er mit Blick auf die berühmte Szene Seehofers und Merkels auf dem CSU-Parteitag und erntet dafür den kräftigsten Zwischenapplaus der gesamten Rede.

Doch zugleich blinkt Merz auch ein wenig in Richtung der Grünen, im Fall von Neuwahlen gilt Schwarz-Grün immerhin als eine mögliche Option: Umwelt-, Naturschutz, Klimawandel erwähnt er denn auch gleich im ersten Teil seiner Rede, wenn auch nur kurz. Schließlich nährt Merz noch die Hoffnung jener, die in ihm den Politiker sehen, der die AfD auf Abstand halten kann und für die CDU verlorene Wähler zurückgewinnt. Es müsse der Anspruch sein, „wenigstens die Hälfte der zur AfD abgewanderten CDU-Wähler wieder zurückzuholen“. Und Merz legt sogleich los: „Es stört unser aller Rechtsempfinden, dass kriminelle Clans Gelder abkassieren und uns auf der Nase herumtanzen.“ Die NRW-Landesregierung sei da auf gutem Wege, lobt er bei der Gelegenheit gleich noch ein wenig Ministerpräsident Armin Laschet.

Für alle Fälle gibt Merz auch sein europapolitisches Credo schon mal zum Besten und zitiert Henry Kissingers Bonmot: „Deutschland ist für die Welt zu klein und für Europa zu groß“. Die deutsche Regierung müsse sich in Europa sehr viel stärker engagieren und auch auf Frankreichs Präsidenten mehr zugehen als bisher, kritisierte er.

Merz spricht flüssig, eindringlich, 45 Minuten lang fast ohne Versprecher. Von seinem handschriftlich beschriebenen Blatt liest er kaum ab. Zu aktuellen politischen Themen allerdings will er an diesem Samstagvormittag in der Schützenhalle auf Fragen von Parteifreunden nicht äußern. Das macht nichts. Sie spenden ihrem neuen Hoffnungsträger auch so minutenlang stehende Ovationen - und nominieren ihn einstimmig.

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