Stuttgarter Krawallnacht Bekommt die Justiz die Gewalt in den Griff?

Berlin · Nach den schweren Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt entbrennt eine Debatte über mögliche Ursachen und geeignete Reaktionen. Die Union fordert eine Spezialisierung der Staatsanwaltschaften und schnellere Verfahren.

 Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betrachtet am Montag ein Polizeiauto, das während der nächtlichen Randale beschädigt wurde.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betrachtet am Montag ein Polizeiauto, das während der nächtlichen Randale beschädigt wurde.

Foto: dpa/Marijan Murat

Nach der nächtlichen Gewaltwelle in der Stuttgarter Innenstadt ist die Frage entbrannt, welche Motive hinter den sich häufenden und immer ungehemmteren Angriffen auf die Polizei stehen und wie der Staat sie wieder in den Griff bekommen kann. Bundesinnenminister Horst Seehofer entfachte daneben eine neue Debatte über die Meinungsfreiheit in Deutschland, indem er eine Strafanzeige gegen eine Kolumnistin der linken „Tageszeitung“ (taz) ankündigte und einen Zusammenhang mit deren Wunsch, Polizisten im Müll zu entsorgen, und den Ausschreitungen in Stuttgart herstellte.

In der Nacht zum Sonntag war es in Stuttgart nach einer gewöhnlichen Drogenkontrolle zu schweren Ausschreitungen gekommen, bei denen 19 der eiligst aus ganz Baden-Württemberg zusammengerufenen Polizisten verletzt wurden. Mehrere Hundert zerstörten Schaufenster, plünderten Geschäfte, attackierten Polizeibeamte und ihre Fahrzeuge. Landesinnenminister Thomas Strobl sprach von zwei Dutzend Festgenommenen, von denen die Hälfte die deutsche Staatsbürgerschaft habe. Es gebe eine 40-köpfige Ermittlergruppe, die unter anderem die zahlreichen vorliegenden Bilder und Videos sichte, um die Beteiligten feststellen zu können. Niemand dürfe sich vor Verfolgung sicher fühlen, auch wenn er in einem „Mob“ von Hunderten Beteiligten agiere.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann erklärte, die liberale Demokratie werde sich angesichts der Gewaltorgie als „wehrhaft“ erweisen. Seehofer sagte in Stuttgart, er erwarte, dass die Justiz gegen die Täter eine „harte Strafe“ ausspreche. Es handele sich um ein „Alarmsignal für den Rechtsstaat“. Die Stuttgarter Landespolizeivizepräsidentin Stefanie Hinz sagte zu den möglichen Hintergründen der Ausschreitungen, dass es bislang keinerlei verdichtete Hinweise auf politische oder religiöse Motive gebe. Aus der Stuttgarter Polizei war zu erfahren, dass sich in den vorangegangenen Wochen viele junge Menschen in den sozialen Netzwerken in Pose gesetzt und auf Polizisten, die Corona-Auflagen durchsetzen wollten, aggressiv reagiert hätten. Aus Sicht des Unions-Innenpolitikers Thorsten Frei sind die Stuttgarter Krawalle „die Quittung für das polizeifeindliche Klima der vergangenen Wochen“. FDP-Generalsekretärin Lind Teuteberg bezeichnete die Ausschreitungen als „Symptom einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung“.

Bilder: Randalierer zerstören Geschäfte in Stuttgart
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Randalierer zerstören Geschäfte in Stuttgart

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Foto: dpa/Julian Rettig

Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic verlangte, dass die schlimmen Vorfälle von Stuttgart nun haarklein aufgearbeitet werden. „Wichtig ist vor allem die Frage, ob es eine gesteuerte Mobilisierung gab und man diese hätte früher erkennen können“, sagte Mihalic unserer Redaktion. Sie erwarte von Strobl, dass er die Aufklärung nun koordiniere, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Unions-Innenexperte Armin Schuster erklärte, Respektlosigkeit und Gewalt gegen Polizisten seien kein Stuttgarter Phänomen. „Es ist ein trauriger Höhepunkt eines bundesweiten Trends, den wir schon länger beobachten“, sagte Schuster unserer Redaktion. Deshalb habe der Gesetzgeber schon 2017 Strafverschärfungen bei Angriffen gegen Polizei- und Vollstreckungsbeamte vorgenommen und das Strafmaß auf drei Monate bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe hochgesetzt. Diese Regelungen müssten nun „noch schneller und konsequenter zu Sanktionen führen, die für den Täter spürbar auf dem Fuß folgen“. In der Praxis bedeute das nach den Worten Schusters „Schnellverfahren unter einem Monat, Strafmaß der Freiheitsstrafen nach oben verschärfen, keine Verfahrenseinstellungen, keine Strafbefehle sondern Hauptverhandlungen auch für Ersttäter und keine Deals“. Die Staatsanwaltschaften müssten dafür mit spezialisierten Dezernaten ausgestattet werden. „Ich bin überzeugt, dass sich besonders Ersttäter so von einer Wiederholung abhalten lassen“, bekräftigte Schuster.

Seehofer hatte am Wochenende angekündigt, noch am Montag Strafanzeige gegen eine „taz“-Kolumnistin zu erstatten, die Polizisten auf den „Müll“ gewünscht hatte. Sein Ministerium erklärte am Vormittag, es sei noch keine Entscheidung darüber gefallen. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Kanzlerin befinde sich darüber mit Seehofer im vertraulichen Gespräch. In Stuttgart bekräftigte Seehofer seine Absicht, weil eindeutig eine Grenze überschritten sei. Er kündigte zugleich an, darüber noch einmal mit Experten das Gespräch zu suchen.

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