Zustimmung für Prämienmodell CDU beschließt radikalen Kurswechsel
Leipzig (rpo). Beim Bundesparteitag in Leipzig hat sich die CDU für einen radikalen Systemwechsel in der Sozialpolitik entschieden. Mit breiter Mehrheit wurde das Modell einer prämienbezogenen Krankenversicherung verabschiedet. Die Debatte über den Ausschluss von Martin Hohmann sorgte für Missstimmung.
Für das nach dem Alt-Präsidenten Roman Herzog benannte Gesamt-Konzept stimmten nach einer ganztägigen und von Kontroversen in der Sache weitgehend freien Debatte 1.001 Delegierte bei nur vier Gegenstimmen und einer Enthaltung. Die Diskussionen über eine neue Sozialpolitik waren nach der Rede von CDU-Chefin Angela Merkel vorübergehend von der Affäre um den aus der Fraktion ausgeschlossenen Abgeordneten Martin Hohmann geprägt worden.
Als eines der wichtigsten Kernbereiche des Herzog-Konzepts wurde das Modell einer prämienbezogenen Krankenversicherung mit breiter Mehrheit verabschiedet. Danach sollen anstatt der bisher lohnbezogenen Versicherung feste Prämien in Höhe von 200 Euro eingeführt werden. Abgelehnt wurde dagegen die von der Bundesregierung favorisierte Bürgerversicherung.
Nach einer mehrstündigen Debatte hatte auch der Arbeitnehmerflügel nach den Nachbesserungen am ursprünglichen Herzog-Konzept Zustimmung signalisiert. Merkel hatte zum Auftakt des Parteitags eindringlich für diese Reform geworben, die den umfassendsten Kurswechsel in der CDU-Programmatik der vergangenen Jahre bedeutet. Es sei nötig, eine der Säulen der sozialen Sicherungssysteme vom Lohn abzukoppeln. Nur dann könne es zu neuem Wachstum und mehr Beschäftigung kommen. Nach einem Regierungswechsel wollen die Christdemokraten "so schnell wie möglich" das einkommensunabhängiges Prämienmodell einführen und mittelfristig das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöhen.
Tosender Beifall
Herzog hatte die Debatte über sein Konzept in seiner mit tosendem Beifall bedachten Ausführungen eingeleitet, Grundlage für ein gemeinsames Programm mit der CSU ist. Eindringlich sprach er sich für eine Konzentration aller Kräfte auf eine Familienförderungspolitik aus. "Warum sagen wir nicht, der Staat habe die Familie und die in ihr aufwachsenden Kinder zu fördern, nicht aber zwingend die Ehe?" Die Umsetzung dieser Idee würde - "selbst wenn dazu eine Verfassungsänderung nötig wäre" - neue finanzpolitische Spielräume zu Gunsten von Familien mit Kindern eröffne. Zu Beginn des Parteitags hatte Merkel nachdrücklich für den Reformkurs geworben, zu dem auch das Steuerkonzept von Fraktionsvize Friedrich Merz gehört. Darüber soll an diesem Dienstag abgestimmt werden.
In ihrer eineinhalbstündigen Rede sagte Merkel, von Leipzig müsse in der Sozial- und Steuerpolitik ein Signal ausgehen, dass die Union die Kraft und den geistigen Führungsanspruch für den politischen Wechsel habe. Im Gegensatz dazu sei vom SPD-Parteitag in Bochum nur die Äußerung Gerhard Schröders Schröders in Richtung von parteiinternen Kritikern in Erinnerung: "Euch mache ich fertig".
Die Debatte um den Fraktionsausschluss trübte vorübergehend das Klima auf dem Parteitag. Merkel hatte erneut dessen Fraktions- Ausschluss verteidigt und unabhängig davon die Patriotismus-Debatte angestoßen. Bei der Entscheidung über Hohmann habe die CDU ihre Grundwerte als Maßstab angelegt, weshalb man so entscheiden musste. In der anschließenden Aussprache über die Merkel-rede übte der nordrhein-westfälische Delegierte Leo Lennartz scharfe Kritik an dem Vorgehen.
"Klima der Vorverurteilung"
Gegen Hohmann, der sich mit einer als antisemitisch empfundenen Rede ins Abseits gestellt hatte, sei "ein Klima der Vorverurteilung" erzeugt worden. "Der Betroffene hatte nicht die Chance eines fairen Verfahrens." Während dieser Ausführungen riefen mehrere Delegierte "Aufhören, Aufhören". In einer improvisierten Pressekonferenz sagte Lennartz, es gehe ihm nur um das Verfahren. "Zur Sache habe ich auch eine Meinung, aber die sage ich hier nicht."
Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende und CDU-Vize Jürgen Rüttgers entgegnete dem Redner mit einer bei CDU-Parteitagen selten erlebten Schärfe: "Gott sei Dank ist dies ihr letzter Parteitag", sagte er, "ich will mit solchen Leuten wie Ihnen nicht in einer Partei sein."
Merkel warf dem Bundeskanzler vor, den Patriotismus-Begriff umgedeutet zu haben. Aus der Sicht Schröders sei nur Patriot, wer seinen Reformen zustimme. "Da kann er lange warten", sagte die CDU- Chefin. "Für eine Partei wie die CDU gründet Patriotismus sich auf Geschichtsbewusstsein". Rüttgers meinte, es sei "höchste Zeit", diese Debatte zu beginnen.