CDU 70 Jahre Volkspartei
Berlin · Die CDU wird oft als "Kanzlerwahlverein" geschmäht. Heute feiert die Partei, die mehr innerparteiliche Demokratie wagen will, ihr Jubiläum.
Um zu erklären, wie Parteien funktionieren, werden üblicherweise Soziologen, Politologen, Historiker und, wenn es sein muss, auch mal Psychologen herangezogen. Den Christdemokraten kann man sich aber auch mit dem Naturforscher Charles Darwin nähern. Er vertrat bekanntermaßen die Theorie, dass sich die besonders anpassungsfähigen Lebewesen auf Dauer durchsetzen. Und Anpassungsfähigkeit legt auch die CDU an den Tag. Im Zweifel siegt bei ihr die Fähigkeit zum Wandel über das Konservative. Genau diese Eigenschaft ist vielleicht der Grund, warum die CDU auch in Zeiten sich auflösender parteipolitischer Milieus eine Volkspartei geblieben ist.
Seit mehr als 15 Jahren wird die Partei von einer Frau geführt, die das naturwissenschaftliche Prinzip der Anpassungsfähigkeit in der Politik geradezu perfektioniert hat. Unter Angela Merkel haben die Christdemokraten ihr Familien- und Frauenbild revolutioniert. Die Laufzeitverlängerung für die Kernkraft, die für die CDU lange identitätsstiftend war, verkehrte Merkel kurzerhand in einen verkürzten Atomausstieg. Und auch die Wehrpflicht, ohne die sich insbesondere Konservative die Bundesrepublik nicht vorstellen konnten, gehört der Geschichte an. Gerade weil Merkel im neuen Jahrtausend jene Prinzipien der Partei über Bord warf, die sie stark gemacht hatten, steht die Partei zu ihrem 70. Geburtstag in den Umfragen bei satten 40 Prozent.
Hervorgegangen ist die CDU wenige Wochen nach Kriegsende 1945 aus der katholisch geprägten Zentrumspartei und einer Sammlung evangelischer Christen. Parteipolitische Zusammenschlüsse der Christen entstanden zeitgleich an verschiedenen Orten in Deutschland. In Berlin wurde der Gründungsaufruf am 26. Juni 1945 unterschrieben. Wie keiner konservativen Partei zuvor in der deutschen Geschichte sei es der CDU gelungen, die regionalen und konfessionellen Grenzen des deutschen Bürgertums unter dem Dach einer Volkspartei zu überwinden, schreibt SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem Glückwunsch an die CDU.
Die erste prägende Figur an der Spitze der Partei ist der frühere Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. 1950 wird er erster Vorsitzender der Bundespartei, zu dem Zeitpunkt ist er schon ein Jahr Kanzler. Er passt die junge Bundesrepublik an die sich neu formierende Weltordnung der Nachkriegszeit an. Adenauer setzt die Westintegration durch, knüpft neue Verbindungen nach Frankreich und zu den USA. Innenpolitisch profitiert er in den Anfangsjahren der jungen Bundesrepublik von seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der die soziale Marktwirtschaft zu einem Erfolgskonzept werden lässt, dem heute andere Parteien nacheifern.
Adenauer gelingt zeitgleich die Einigung der vielen Kleinstparteien zu einer Union. Die CDU gilt damals als "Kanzlerwahlverein". Es geht darum, dem charismatischen Adenauer die Macht zu sichern, inhaltlich gearbeitet wird in der Regierung. Ein Grundsatzprogramm gibt sich die CDU erst Anfang der 70er Jahre. Der Historiker Frank Bösch, Direktor des Zentrums für zeithistorische Forschung in Potsdam, erklärt: "Bis in die 60er Jahre kannte die CDU als Partei keine Programmatik und kein Parteileben. Alles lief über den Kanzler."
Adenauer steigert die Gestaltungskraft der CDU und ihrer bayerischen Schwester CSU über umfassende Sozialreformen bis hin zur absoluten Mehrheit. 1949 landet die CDU mit 31 Prozent nur knapp vor den Sozialdemokraten (29,2 Prozent), 1957 erreichen die Christdemokraten 50,2 Prozent, nachdem Adenauer die dynamische Rente eingeführt hat.
Nach dem dreijährigen Intermezzo der ersten Großen Koalition wendet sich die FDP 1969 auch im Bund von der CDU ab und begründet eine sozialliberale Ära, die bis 1982 währt und die CDU zwingt, sich in der Opposition zu regenerieren und zu modernisieren. Die gesellschaftlichen Debatten, von der Ostpolitik bis zur Abtreibung, vermag sie jedoch kaum zu bestimmen. Erst die nochmalige Wende der FDP bringt die CDU mit Helmut Kohl 1982 zurück ins Kanzleramt. Anders als SPD und Grüne erkennt die Kohl-CDU 1989, was die Stunde schlägt, und setzt konsequent auf eine schnelle Wiedervereinigung. Dies sichert ihr acht weitere Regierungsjahre. Nach dem Machtverlust an Rot-Grün kommt sie zur Jahrtausendwende durch Kohls gesetzeswidrigen Umgang mit Parteispenden in schwere Turbulenzen. Hier ist es die Generalsekretärin Merkel, die den Bruch zwischen Kohl und CDU vollzieht. Gleichwohl setzt ein Wiedererstarken über Wahlsiege in den Ländern erst mit Verzögerung ein. In der sieben Jahre währenden Oppositionszeit profiliert sich die CDU als Marktwirtschaftspartei, die Wachstumskräfte wecken und Deutschland fair ändern will.
Weil es nicht mit der FDP, sondern nur mit der SPD 2005 zur erneuten Regierungsübernahme reicht, bleibt der neue, als neoliberal kritisierte Reform-Entwurf beim Regierungshandeln jedoch in großen Teilen auf der Strecke. Auch die CDU beginnt sich daran zu gewöhnen, dass mit der Auffächerung des Parteiensystems nur noch Wahlergebnisse in den 30-Prozent-Größen wahrscheinlich sind. Doch 2013 bringt die Popularität Merkels die Union auf mehr als 40 Prozent - wo sie sich bis heute festsetzt.
Innerhalb der Union vollzieht sich jedoch eine Erosion. Binnen eines Jahrzehnts verliert die Partei rund 130 000 Mitglieder. Sie ist überaltert: Das durchschnittliche CDU-Mitglied ist 59. Zwar steigt dank Merkel der Frauenanteil unter den Wählern auf 56 Prozent, aber unter den Mitgliedern verharrt er bei 25 Prozent. Generalsekretär Peter Tauber sorgt sich zudem darum, dass es zwar 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund gibt - sie in der CDU aber immer noch eher als Exoten gelten. Mit einer groß angelegten Parteireform will er die CDU nun "offener, jünger, weiblicher und vielfältiger" machen.
70 Jahre nach der Überwindung der Trennung zwischen Katholiken und Protestanten in der neuen CDU von 1946 wollen die Christdemokraten nun eine weitere Religion integrieren. "Viele Muslime teilen die Werte, die sich aus dem christlichen Menschenbild ergeben: Barmherzigkeit, Nächstenliebe, die Wertschätzung von Ehe und Familie", hält Tauber fest. Die nächste Anpassung der Volkspartei CDU ist in vollem Gange.