Gewerkschafter im Wahlkampf sehr gefragt Wiesehügel ist Steinbrücks große Hoffnung

Berlin · Der Wahlkampfschlager der SPD ist ein Mann vom alten Schlag: Klaus Wiesehügel, seit fast 18 Jahren Gewerkschaftschef, ist bei den Wahlkämpfern so gefragt wie kein anderes Mitglied des Kompetenzteams von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Der hünenhafte 60-Jährige ist seit Wochen ausgebucht, wie es aus der SPD-Zentrale heißt.

 Klaus Wiesehügel ist im Wahlkampf ein gefragter Mann. Sein Terminkalender ist voll.

Klaus Wiesehügel ist im Wahlkampf ein gefragter Mann. Sein Terminkalender ist voll.

Foto: dpa, Rainer Jensen

Mit seiner Bennennung als möglicher Arbeits- und Sozialminister buhlt die SPD um die Gunst der Gewerkschaften. Sie sind mitentscheidend, enttäuschte Nicht-Wähler zurückzuholen. Die Gewerkschaften vermeiden zwar, sich auf die Seite von Rot-Grün zu schlagen. Ihr Katalog an politischen Forderungen kommt einer Wahlempfehlung aber nahe.

Hoher Vetrauensverlust bei Gewerkschaften

Wenn die SPD noch eine Wählergruppe hat, auf die sie bauen kann, sind es die Gewerkschaftsmitglieder: Unter ihnen haben die Sozialdemokraten nach wie vor die höchsten Wähleranteile, trotz eines Vertrauensverlusts. Bei der Bundestagswahl 2009 stimmten laut Infratest dimap 34 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder, die zur Wahl gingen, für die SPD.

Dies entsprach einer Einbuße von 21 Prozentpunkten im Vergleich zum rot-grünen Wahlsieg 1998, wobei der stärkste Einbruch mit einem Minus um 13 Prozentpunkte 2009 kam. Allerdings liegt die SPD unter den Parteien trotzdem vorne. Am nächsten kam ihr 2009 noch die Union mit 24 Prozent, die im Vergleich zu 1998 nur einen Punkt zulegte. Am stärksten zugelegt hat demnach die Linkspartei von sieben auf 15 Prozent.

Für den Vertrauensverlust in den Gewerkschafterreihen werden vor allem die Agenda-2010-Reformen unter Kanzler Gerhard Schröder und die Rente mit 67 unter Arbeitsminister Franz Müntefering in der großen Koalition verantwortlich gemacht. "Die Agenda 2010 hat mit der Zerstörung zweier sozialdemokratischer Grundwerte - Sicherheit und Gerechtigkeit - insbesondere die Gefühle von sozialdemokratischen Gewerkschaftern verletzt", sagte der Berliner Parteienforscher Gero Neugebauer zu Reuters.

Bedeutungsverlust innerhalb der Partei

Der Vertrauensverlust dürfte auch eine Folge des Bedeutungsverlusts sein, den die Gewerkschaften in der SPD hinnehmen mussten. Obwohl Schröder 1998 den damaligen IG-Metall-Vizechef und Fliesenleger Walter Riester zum Arbeitsminister machte, verloren sie an Einfluss. Schröder trug wegen enger Kontakte zu Konzernlenkern den Ruf als "Genosse der Bosse". Im SPD-Gewerkschaftsrat krachte es, Stichwort "Basta"-Politik. "Es gibt verstärkt mit der Regierung Schröder eine Erosion der Position der Gewerkschaften in der Partei", stellt Neugebauer fest und verweist darauf, dass kaum noch Gewerkschaftsfunktionäre für die SPD im Bundestag saßen.

Damit einherging, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB)
ab 2005 die Nähe zu Kanzlerin Angela Merkel suchte: DGB-Chef Michael Sommer musste an guten Beziehungen zur jeweiligen Regierung gelegen sein, um Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen zu können. Dass Sommer wohlwollend von der großen Koalition spricht, hat damit zu tun, dass er unter Schröder abgekanzelt wurde. Von Merkel sagt auch ein anderer Gewerkschaftsfunktionär: "Wo Schröder laut wurde, fängt Merkel an zu argumentieren."

Betonbauer punktet als Agenda-2010-Gegner

SPD-Chef Sigmar Gabriel sucht seit dem Wahldebakel 2009 wieder den Schulterschluss mit den Gewerkschaften. Eine andere große Organisation als Partner zur Wählermobilisierung gibt es für die SPD nicht. Die SPD musste daher auf die Gewerkschaften zugehen: Ihre Vertreter werden eng in die Programmarbeit der Partei eingebunden. So bei der Ausarbeitung des Rentenkonzepts, mit dem die SPD im Grundsatz zwar an der Rente mit 67 festhält, sie aber so lange auf Eis legen will, bis mehr Ältere bis zur Rente eine Beschäftigung haben. Für den rot-grünen Wahlkampf-Auftritt Steinbrücks mit Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt Anfang Juli für einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro haben die Gewerkschaften NGG und Verdi zugearbeitet.

Dass mit Wiesehügel nun ein Gewerkschaftschef als Arbeits- und Sozialminister für den Fall einer SPD-Regierungsbeteiligung als gesetzt gilt, folgt dieser Linie. "Das ist ein Beitrag, um mehr Glaubwürdigkeit zu gewinnen", erkennt Parteienforscher Neugebauer an. Tatsächlich haben SPD-Strategen den Eindruck, dass Wiesehügel an der SPD-Basis weniger als Gewerkschafter gefragt sei - sondern weil er als einstiger Schröder-Kritiker.

Punkten mit Mindestlohn

So punktet der gelernte Betonbauer Wiesehügel bei seinen Auftritten an der Parteibasis und bei Betriebsbesuchen mit dem gesetzlichen Mindestlohn und dem Versprechen, der Verdrängung regulärer Arbeitsplätze durch Werkverträge Grenzen zu ziehen.
Der Gewerkschaftsführer ist authentisch und wird als Verfechter sozialer Gerechtigkeit dort als glaubwürdig wahrgenommen, wo Steinbrück der Stallgeruch fehlt. In Zeiten der Globalisierung zeigt sich Wiesehügel provinziell. Als Steinbrück etwa parallel zum kleinen EU-Gipfel der Kanzlerin gegen Jugendarbeitslosigkeit Anfang Juli eine Pressekonferenz mit jungen Leuten abhält und Englisch spricht, steht Wiesehügel dabei und bekommt die Übersetzung ins Ohr geflüstert. Zu Wort kommt er in der Pressekonferenz nicht.

Keine Kampagne

Wichtiger noch als Wiesehügel ist für die SPD, wie sich die großen Gewerkschaften im DGB verhalten. Bei den Sozialdemokraten wird registriert, dass es von IG Metall und IG Bergbau-Chemie-Energie mehr Rückhalt gebe als 2009. Über ihre Betriebsräte können die Gewerkschaften wie keine andere Organisation zur Wahlmobilisierung von Arbeitnehmern beitragen - oder auch nicht.

Eine Parteinahme weisen die Gewerkschaften von sich. "Wir sind nicht der verlängerte Arm irgendeiner Partei, wir stehen für Inhalte", sagte Verdi-Chef Frank Bsirske, der Mitglied der Grünen ist, am Montag in einer Pressekonferenz mit Steinbrück - nachdem er wortreich das Konzept der SPD für eine Pflegereform gelobt hatte. Vor 15 Jahren gaben die Gewerkschaften das letzte Mal eine kaum verhohlene Wahlempfehlung ab. Damals investierte der DGB acht Millionen Mark (4,1 Millionen Euro) in die Kampagne "Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit". Mit Kinospots und Plakaten warb er für den politischen Wechsel.

Mit einer solchen plakativen Unterstützung kann die SPD in diesem Jahr nicht rechnen. Aber die großen Gewerkschaften haben Forderungskataloge an die Politik aufgelegt, mit denen sie ihre Mitglieder zur Wahl aufrufen. Der gesetzliche Mindestlohn, den Union und FDP ablehnen, steht ganz oben. Schlussfolgerung der IG Metall, die 500.000 Beschäftigte nach ihren Prioritäten befragt hat: "Ohne einen Regierungswechsel im September ist das nicht zu machen", sagte kürzlich IG-Metall-Vorstandsmitglied Helga Schwitzer, und rief zu hoher Wahlbeteiligung auf.

"Umfairteilen"

Verdi will acht Tage vor der Wahl mit einem Aktionstag "Umfairteilen" Druck für eine Politik der Steuererhöhungen für Vermögende machen - wie sie SPD, Grüne und Linke im Programm haben. Und die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), deren Vorsitz Wiesehügel nach fast 18 Jahren beim viertägigen Gewerkschaftstag keine zwei Wochen vor der Bundestagswahl abgibt, bereitet Gastrednern von der SPD, den Grünen und der Linkspartei eine Bühne, darunter auch Steinbrück. Redner von CDU oder der FDP sind nach Stand der Einladung nicht vorgesehen.

Trotz aller Wiederannäherung der SPD an die Gewerkschaften ist Parteienforscher Neugebauer skeptisch, dass die SPD ihre Verluste der vergangenen Jahre auch nur annähernd ausgleichen könnte. Steinbrücks Aussage, er wolle die Hälfte der seit 1998 verlorenen zehn Millionen Wähler zurückgewinnen, nennt Neugebauer einen frommen Wunsch: "Die Verankerung der SPD in der Wählerschaft und da mehrs Profil der Partei sind so schwer beschädigt worden, dass er sich glücklich schätzen kann, wenn er eine Million von denen zurückholt, vielleicht zwei Millionen."

(REU)
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