Analyse zur Bundestagswahl Wie stark wird die Anti-Euro-Partei AfD?

Düsseldorf · Mit der "Alternative für Deutschland" tritt bei der Bundestagswahl eine Partei an, die den Euro abwickeln will. Bei einem Auftritt in Düsseldorf ging Parteichef Bernd Lucke auf Stimmenfang.

Diese knapp 1000 Wähler sollten weder feige noch verlogen sein. Sonst wären sie hier falsch. "Mut zur Wahrheit" steht auf der Großleinwand hinter der Bühne, und diese knapp 1000 sitzen davor. Bernd Lucke hat sie eingeladen, der Chef der neuen Partei "Alternative für Deutschland" (AfD).

Sie und alle anderen, die ihn in 19 Tagen wählen sollen. Die Veranstaltung in der Düsseldorfer Rheinterrasse ist gut besucht. "Besser als wir dachten", sagt ein Vorredner. 19.55 Uhr tritt Lucke auf die Bühne. Musik, als ob ein Boxer in den Ring stiege. Stehender Applaus.

Luckes Wahrheiten: "Es gibt Alternativen zur Euro-Rettung der Bundesregierung. Sie liegen in den Tresoren der Bundesregierung und werden nicht veröffentlicht." Und: "Wenn die Euro-Krise eines Tages explodiert, sind unsere Spareinlagen nicht sicher."

Die AfD gehört zu den großen Unbekannten der kommenden Bundestagswahl. In sämtlichen Meinungsumfragen liegt die neue Partei seit Wochen stabil bei rund drei Prozent. Sie hat also eigentlich keine Chance auf den Einzug in den Bundestag.

Aber die Demoskopen sind sich bei keiner Partei so unsicher wie bei der AfD. Denn gerade sie scheint auch für Wähler aus einem Milieu attraktiv zu sein, dem mit demoskopischen Methoden schwer beizukommen ist: den Protestwählern, die nicht nur die etablierten Parteien ablehnen, sondern eben auch etablierte Wahl-Rituale wie Meinungsumfragen.

Verweis auf den Erfolg der Republikaner

Experten warnen deshalb vor voreiligen Schlüssen und verweisen auf die Landtagswahl 1996 in Baden-Württemberg: Auch da düpierte mit den Republikanern eine Protestpartei alle Prognosen. In Meinungsumfragen lagen sie damals weit unter fünf Prozent. Beim Urnengang schafften sie zehn Prozent und brachten das Koalitionsgefüge in Baden-Württemberg durcheinander.

"Wir wissen nur, dass die AfD für Protestwähler attraktiv ist", sagt der Politikwissenschaftler Timo Grunden von der Universität Gießen, "aber wir wissen nicht, in welchem Umfang der harte Kern dieser Partei sich bis zur Wahl noch mit Protestwählern verstärkt."

Für viele Beobachter hängt der Erfolg der AfD überhaupt davon ab, ob sie es bis zur Wahl schafft, noch zur Milieupartei der Protestwähler zu werden. Dafür müsste sie deren Lebensgefühl treffen und thematisch über ihr Anti-Euro-Thema hinauswachsen.

"Bis jetzt ist die AfD eine Ein-Themen-Partei", sagt Grunden. "Aber das Euro-Thema ist noch nicht wichtig genug, um wahlentscheidend zu sein." Das wäre Grunden zufolge erst der Fall, wenn die Bundesbürger spürbare Nachteile durch die Krise der südlichen Euro-Staaten hätten — etwa, weil sie für deren Rettung höhere Steuern zahlen müssten.

Zwar tauchen im AfD-Programm auch Forderungen nach mehr direkter Demokratie und mehr sozialer Gerechtigkeit auf. Aber die Kritik am Bemühen der Bundesregierung, die europäische Gemeinschaftswährung über die Schuldenkrise Südeuropas hinweg zu retten, steht im Zentrum des AfD-Wahlkampfes und war im Februar wohl auch das Gründungsmotiv von Parteichef Bernd Lucke.

Die geordnete Abwicklung des Euros

"Zurück zur D-Mark" lautete der Gründungsslogan. Inzwischen bietet die Partei auch moderatere Varianten an: Entweder die Krisenländer sollen die Euro-Zone verlassen, oder Deutschland verlässt die Euro-Zone. Alternativ schlägt die AfD die Teilung des Währungsraumes etwa in einen Nord- und einen Süd-Euro vor. Eine vierte Möglichkeit wäre laut AfD die geordnete Abwicklung des Euros. Für dieses Modell wirbt Spitzenkandidat Bernd Lucke am meisten.

Diese Forderung vertritt im Bundestag zwar noch keine Partei. Sie ist aber nicht exotisch. "In den konservativen und wirtschaftsliberalen Flügeln von CDU und FDP gibt es Stimmen, die mit ähnlichen Szenarien kokettieren", sagt Politikwissenschaftler Grunden.

Auch in der Wissenschaft werde die Abschaffung des Euro ernsthaft diskutiert. Deshalb sieht Grunden die größte Chance der AfD an den Rändern von CDU und FDP. Ihre größte Gefahr seien "die Sektierer und die Extremisten, die die AfD jetzt wie jede junge Partei umschwirren". Das sei eine "typische Kinderkrankheit" neuer Parteien. "Kinderkrankheiten sind nicht harmlos. Daran kann man sterben", sagt Grunden.

Ist die Abkehr Deutschlands vom Euro überhaupt realistisch? Rainer Elschen, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen: "Machbar ist das. Die Frage ist nur, was es kostet." Der Vorteil wäre laut Elschen, dass die schwachen Länder Europas eine eigene Währung leichter abwerten könnten. "Dann würden ihre Exporte billiger und Investitionen in diesen Ländern billiger", so Elschen.

Umgekehrt würde die Währung starker Länder wie Deutschlands ohne den Klotz der hoch verschuldeten Südländer am Bein teurer. "Das wäre schlecht für unseren Export, von dem fast die Hälfte unserer Volkswirtschaft lebt", so Elschen. Ökonomisch gehe es daher um die Frage: Ist der finanzielle Nachteil, den Deutschland durch die automatische Aufwertung einer eigenen Währung hätte, größer oder kleiner als der Aufwand, den Deutschland zur Rettung des Euros betreiben muss?

So sehr irren sich nicht einmal die Demoskopen

Elschen: "Das hat noch niemand seriös ausgerechnet." Auch Grunden ist unsicher: "Wir wissen nicht, welche Folgen die Abschaffung des Euros haben würde", sagt der Politikwissenschaftler, "aber wir wissen auch nicht, welche Folgen die Rettung des Euros noch haben wird."

In einem Punkt sind sich aber beide Experten einig: Die Rückabwicklung des Euros würde eine unkalkulierbare Kettenreaktion auslösen. In der Europapolitik, in der Bündnispolitik und an den Finanzmärkten.

Aber dazu wird es kaum kommen. "Da alle anderen Parteien dagegen sind, bräuchte die AfD dafür schon eine absolute Mehrheit", sagt Elschen. Die ist wohl ausgeschlossen. Denn so sehr können die Demoskopen sich nun auch wieder nicht irren.

(RP)
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