Die Wahlkreise von Merkel und Steinbrück Unterschiedlicher geht's kaum

Mettmann/Stralsund · 650 Kilometer liegen zwischen Ostsee und Rheinland. Doch die Wahlkreise von Kanzlerin Merkel und Herausforderer Steinbrück trennen Welten: Billiglöhne an der Küste, florierende Wirtschaft am Rhein. Merkel ist Favoritin fürs Direktmandat, Steinbrück muss kämpfen.

 Merkel über ihren Wahlkreis: "Der schönste in Deutschland."

Merkel über ihren Wahlkreis: "Der schönste in Deutschland."

Foto: dpa, Stefan Sauer

So unterschiedlich wie Angela Merkel und Peer Steinbrück sind auch ihre Wahlkreise. Die Kanzlerin tritt zur Bundestagswahl an der Ostseeküste in Vorpommern als Direktkandidatin an. Ihr SPD-Herausforderer will am 22. September seinen Wahlkreis Mettmann I nahe Düsseldorf gewinnen.

 Steinbrück über Mettmann: "Perfekter Mix zwischen urbanem Flair und ländlicher Idylle."

Steinbrück über Mettmann: "Perfekter Mix zwischen urbanem Flair und ländlicher Idylle."

Foto: dpa, Federico Gambarini

Merkels Wahlkreis mit der Insel Rügen lebt vom Sommertourismus, ist mancherorts topsaniert, hat aber auch ernste Probleme wie weit verbreitete Niedriglöhne oder die Pleite der P+S-Werften. Dagegen floriert die Wirtschaft in Mettmann I, zwischen den Ballungszentren Köln und Düsseldorf ist die Arbeitslosigkeit vergleichsweise niedrig, die Lebensqualität hoch.

Die CDU-Bundesvorsitzende tritt seit 1990 an der Ostseeküste als Bundestagskandidatin an. 2009 fuhr sie mit 49,3 Prozent der Erststimmen ihr bislang bestes Ergebnis ein und band auch Wähler außerhalb der CDU-Klientel an sich. Ihre Aussichten sind auch diesmal bestens.

Steinbrück tritt zum zweiten Mal an in Mettmann I mit den sechs dazugehörigen Städten. 2009 unterlag er der dort verwurzelten CDU-Konkurrentin Michaela Noll klar mit 33 zu 44 Prozent. Diesmal hat er einen Promi-Bonus.

Täglich bis zu 20.000 Sommertouristen

Was ist charakteristisch für die beiden Wahlkreise? Merkel spricht vor Besuchern gern vom "schönsten Wahlkreis Deutschlands". Wenn im Osten die sprichwörtlich blühenden Landschaften entstanden sind, dann kann sie der Schwabe, Bayer oder Westfale hier in Augenschein nehmen.

In Stralsund schieben sich Besucherströme durch die Innenstadt mit ihren Backstein-Fassaden. Die mittelalterlichen Häuser sind auch dank staatlicher Millionenhilfe hübsch saniert. Rathaus und Ozeaneum locken täglich bis zu 20.000 Sommertouristen von der Ostseeinsel Rügen in die Stadt.

Doch so sehr Architektur und Landschaft auf Rügen, Stralsund und Greifswald für schöne Fotomotive taugen - mit der ausgeprägten Tourismuswirtschaft gehört der Merkel-Wahlkreis zu den Billiglohn-Regionen in Deutschland. "Der Tourismus ist wie eine Monokultur", sagt Volker Schulz, DGB-Vorsitzender von Vorpommern.

Es gibt ein starkes Lohngefälle zwischen der Insel Rügen und der Uni-Stadt Greifswald. Nur 30 Prozent der Unternehmen seien tarifgebunden. Das Lohnniveau liege bei 70 bis 75 Prozent des Westens. Auf Rügen schwankt die Arbeitslosigkeit zwischen 8,0 Prozent im Sommer und 19,3 Prozent im Winter.

Vor einem Jahr gingen die P+S-Werften mit einst 1700 Beschäftigten pleite. Die Schiffbaubetriebe in Stralsund und Wolgast waren der industrielle Kern Vorpommerns. Bislang gibt es nur für Wolgast einen neuen Investor. Ob und wie viele Arbeitsplätze in Stralsund erhalten bleiben, ist ungewiss.

Ein Aus für die Stralsunder Werft wäre für Schulz ein arbeitsmarktpolitisches Desaster. "P+S, das waren gut bezahlte Industriearbeitsplätze." Er erwarte mehr Engagement vom Bund, sagt Schulz.

"Urbanes Flair und ländliches Idylle"

Und Mettmann? "Mein Wahlkreis zwischen Düsseldorf und dem bergischen Land bietet den perfekten Mix zwischen urbanem Flair und ländlicher Idylle und ist damit einer der abwechslungsreichsten der Bundesrepublik", sagte Steinbrück der Nachrichtenagentur dpa. "Der Wahlkreis des Neandertalers", meint dagegen Nordrhein-Westfalens CDU-Vorsitzender Armin Laschet, doppeldeutig und mit einem Seitenhieb auf den früheren NRW-Ministerpräsidenten Steinbrück.

Tatsächlich liegt hier auch das bekannte Neanderthal-Museum - ein Publikumsmagnet, in dem der Steinzeitmensch zu Ehren kommt. Die rund 40.000 Jahre alten Knochen aus der Frühzeit waren bei Mettmann entdeckt worden.

Der eher beschauliche Wahlkreis im Rheinland ist wirtschaftlich gut in Schuss. Zwei der sechs Städte - Monheim am Rhein und Langenfeld - sind schuldenfrei, Kaufkraft und Wohlstandsniveau insgesamt hoch, die Arbeitslosigkeit liegt unter dem Landesschnitt, wie Udo Siepmann als Hauptgeschäftsführer der IHK Düsseldorf schildert. "Der Wahlkreis steht prima da, wirtschaftlich geradezu florierend."

Und: "An vielen Orten gelingt die Neuansiedlung von Unternehmen sehr gut, und die Arbeitsplatzentwicklung ist positiv", sagt Siepmann. Als starke Branchen nennt er Chemie, Pharmazie, Maschinenbau oder auch Metallverarbeitung. Man profitiere zudem von Düsseldorf und Köln mit den dortigen Messen und Flughäfen. Steinbrück lobt Tatkraft und "innovativen Unternehmergeist" in der Region.

"Ehrliche Direktheit"

Wie oft lassen sich die in Berlin gefragten Kandidaten an ihrer Basis sehen? Gemessen an ihren bundespolitischen Aufgaben ist die Kanzlerin oft in ihrem Wahlkreis unterwegs. Sie holte George W. Bush oder auch das dänische Kronprinzenpaar an die Küste und machte die Region rund 250 Kilometer nördlich von Berlin bekannt.

Die Besuche in ihrer "politischen Heimat" seien ihr wichtig, betonte Merkel jüngst in einem Gespräch mit der dpa. "Ich erfahre direkt, wie die Politik bei den Menschen ankommt, und erhalte Impulse sowie Ideen, die in meine politische Arbeit in Berlin einfließen." Die Menschen in Vorpommern nähmen "kein Blatt vor den Mund". Wenn Bürger Merkel erreichen wollten, sei die Hürde doch sehr hoch, meint dagegen SPD-Herausforderin Sonja Steffen.

Steinbrück zählte 280 öffentliche Termine in seinem Wahlkreis in den vergangenen vier Jahren - darunter auch rege genutzte Bürgersprechstunden, wie der gebürtige Hamburger betont. Sein Büro in Hilden liegt rund 540 Kilometer entfernt von Berlin und etwa eine Autostunde entfernt von seinem Wohnort Bonn.

Ihm imponiere die "ehrliche Direktheit" der Bürger in seinem rheinischen Wahlkreis, erzählt Steinbrück. "So werden mir die Auswirkungen der Berliner Politik direkt vor Augen geführt - eine willkommene Erdung gegenüber der "politischen Käseglocke" Berlin."

Golfen, Reiten oder Wassersport

Was ist außerdem spannend in den beiden Wahlkreisen? In Vorpommern hat die Wissenschaft den demografischen Wandel zum Thema gemacht: In Greifswald erforschen Experten, was mit einer Region passiert, wenn junge Menschen mangels gut bezahlter Arbeit abwandern und eine Region altert. "In der Geschwindigkeit der Alterung ist Vorpommern bundesweit Vorreiter.

Hier passiert das, was andere Regionen in zehn bis 15 Jahren erreicht", sagt Professor Wolfgang Hoffmann, Direktor des Uni-Instituts für Community Medicine. Auf der Insel Riems nahe Greifswald steht das bundesweit wichtigste Tierseucheninstitut, das Friedrich-Loeffler-Institut. 400 Wissenschaftler arbeiten dort.

Im Rheinland gelten Langenfeld, Mettmann, Monheim, Erkrath, Haan und Hilden als gut geeignet für Familien - mit bezahlbarem Wohnraum, soliden sozialen Strukturen. Der Tourismus ist auf dem Vormarsch.
Punkten kann die Region mit perfekten Verkehrsanbindungen nach Köln und Düsseldorf, guter Infrastruktur, hoher Lebensqualität. Golfen, Reiten oder Wassersport in einer der größten Wasserskianlagen Deutschlands - in Langenfeld - locken ebenso wie Rhein-Promenaden oder neue Wander- und Radfahrwege.

Fazit: Aufmerksamkeit haben beide Wahlkreise durchaus verdient - und nicht nur vor dem 22. September.

(lnw)
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