Grüne uneins Gemischte Reaktionen auf Kompromiss zu Obergrenze

Berlin · Mit ihrer Einigung zu einer "Obergrenze light" beim Flüchtlingszuzug legen CDU und CSU den Grundstein für Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition. Die Grünen reagieren gemischt: Die einen sehen nun eine Ausgangslage für Gespräche, andere die Partei als Spielball der Union.

 Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt (Archivbild).

Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt (Archivbild).

Foto: afp

Die Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckhardt, hat den unionsinternen Kompromiss in der Flüchtlingspolitik begrüßt. Es gebe nun "eine Ausgangslage", sagte sie am Montagmorgen dem Sender SWR. Die Einigung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nannte sie einen "Formelkompromiss", der nun genauer angeschaut werden müsse.

"Herr Seehofer hat seine 200.000 bekommen, Frau Merkel hat bekommen, dass niemand an der Grenze abgewiesen wird", sagte Göring-Eckhardt. Ihr mache Sorge, "wie man bei 200.000 einfach einen Cut machen kann, ich kann mir immer noch nicht vorstellen, wie das gehen soll." Ihre Partei werde darüber hinaus weiterhin auf einen geregelten Familiennachzug drängen, betonte sie.

CDU und CSU hatten sich am Sonntagabend nach stundenlangen Verhandlungen auf einen Kompromiss bei ihrem Streit um eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen geeinigt. Sie soll bei 200.000 pro Jahr liegen. Sie legten damit zugleich den Grundstein für die Verhandlungen mit FDP und Grünen über die Bildung einer Jamaika-Koalition nach der Bundestagswahl. Die Grünen hatten vor der Bundestagswahl eine Obergrenze für den Fall einer Regierungsbeteiligung ausgeschlossen.

Die Grünen-Chefin Simone Peter hingegen kritisierte die Festlegungen von CDU und CSU zur Flüchtlings- und Migrationspolitik. Peter warf der Union im Hörfunksender WDR 5 vor, sie wolle die verschiedenen Flüchtlingsgruppen gegeneinander ausspielen. Außerdem enthalte die Einigung "weitere Punkte, die wir bisher klar abgelehnt haben", wie die Festlegung sicherer Herkunftsländer und Abschiebeeinrichtungen. "Es kann nicht sein, dass wir der Spielball der Union in der humanitären Asylfrage werden", sagte Peter. Auf Twitter schrieb sie:

Peter bekräftigte gleichwohl die Bereitschaft der Grünen zu Sondierungsgesprächen mit Union und FDP. "Wir gehen in diese Gespräche, wir werden unsere Anliegen deutlich machen", sagte Peter. "Entweder es reicht, oder es reicht nicht. Beide Optionen sind möglich."

Peter sieht in dem Kompromiss der Unionsparteien einen Erfolg der CSU. So wie sie die Äußerungen aus der Union verstanden habe, "scheint es wirklich ein Punktsieg für die CSU zu sein", sagte sie. Eine Zahl von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr zu nennen, sei "natürlich schon so etwas wie eine Obergrenze". Das wirke "am Ende doch wie ein Deckel".

Grünen-Chef Cem Özdemir wiederum vermied ein klares Nein zum Unionskompromiss und ließ damit die Tür für eine Jamaika-Koalition offen. "Dann bin ich gespannt, wie sie uns das erklären", sagte Özdemir im ZDF. Die Einigung von CDU und CSU sei nur die Position der Unionsparteien und nicht die einer künftigen Regierung. Am Ende komme es darauf an, in Koalitionsgesprächen einen Kompromiss zu finden.

"Kompromiss heißt immer: alle müssen sich bewegen", betonte er. Noch sei ihm vieles unklar bei den Unionspositionen. Özdemir forderte CDU und CSU erneut auf, rasch zu Sondierungen zur Bildung einer Jamaika-Koalition einzuladen. "Jetzt müssen wir endlich mal anfangen", sagte er. Dann werde man sehen, ob man zusammenfinde.

Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann bezeichnete den Kompromiss in der Flüchtlingspolitik als "erste Basis" für Koalitionsgespräche. Dass die Unionsparteien überhaupt "wieder miteinander sprechen", sei "schon mal die erste Basis" und die Voraussetzung, überhaupt in Gespräche über eine Jamaika-Koalition gehen zu können, sagte Strack-Zimmermann am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". "Die Basis ist gelegt, wir werden uns auf Konsolidierungsgespräche einlassen."

Kritisch äußerte sich Strack-Zimmermann über die Zahl von 200.000 Menschen. "Eine Zahl ist einfach gegriffen worden", sagte die FDP-Vizechefin. "Wir werden uns, was das Asylrecht betrifft, immer auf dem Boden des Rechtsstaates bewegen. Wer hier Asyl beantragt, hat das Recht darauf." Die FDP werde sich auch "immer weiter um Flüchtlinge, die vor Krieg und Terror davonrennen" kümmern. Diese müssten, wenn wieder Frieden herrsche, aber auch wieder "nach Hause" begleitet werden.

Strack-Zimmernmann fordert ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild, in dem nach einem Punktesystem entschieden wird, wer ins Land kommt. "Auch Flüchtlinge können sich natürlich bewerben, sofern sie die Sprache gelernt haben und bereit sind, sich zu integrieren." Dass die Unionsparteien sich zu einem Zuwanderungsgesetz für Fachkräfte bereit erklärten, sei ein "Weg in die richtige Richtung".

Am Montag zeichnete sich indes schon der erste Krach zwischen Grünen und CSU ab: "Die Grünen müssen endlich einmal zur Realität zurückkehren", sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer im ZDF-"Morgenmagazin". "Realitätsverlust mit offenen Grenzen, jeder kann zu uns kommen ohne Regel, wird es in einer nächsten Koalition nicht geben. Und das müssen sich die Grünen überlegen, ob sie da springen."

Mit der Einigung der Union zeigte Scheuer sich "sehr zufrieden". Es sei eine "gute Botschaft", dass man ein gemeinsames Regelwerk vereinbart habe. Scheuer sprach im Hinblick auf die vereinbarte Begrenzung von einer "fixen" Zahl, betonte aber auch, dass diese Grenze unter bestimmten Voraussetzungen und unter Mitsprache des Bundestags gesenkt oder angehoben werden könne.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und CDU-Vize Armin Laschet sagte, das Recht auf Asyl werde durch den Kompromiss der Union nicht angetastet. "Ein Grundrecht, auch das Asyl, hat keine Obergrenze. Und das ist auch gestern bestätigt worden", sagte Laschet am Montagmorgen vor einer Präsidiumssitzung der CDU in Berlin. "Dass man insgesamt bei Kontingenten und Zuwanderern über Zahlen und Grenzen sprechen kann, das ist völlig normal."

Mit diesem Prinzip könnten auch die Grünen auf dem Weg zu einem Jamaika-Bündnis umgehen, sagte Laschet. "Der Rhetorik, die da drumherum stattgefunden hat, werden sie wahrscheinlich nicht entsprechen." Große Teile der CDU würden auch Wert darauf legen, dass es keinen Rechtsruck in der Partei gibt und "dass wir eine liberale und soziale Partei genauso bleiben wie wir konservative Wurzeln haben".

Die Linke kritisierte die Beschlüsse der Unionsparteien als "menschenrechtliche Bankrotterklärung". "Das zynische Verrechnen von Abschiebungen mit der Aufnahme von Flüchtlingen spottet jeder Humanität und den Menschenrechten", erklärte die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke am Montag in Berlin. "Dies ist die Fortsetzung der Anbiederung an den rechten Sumpf, die schon vor den Wahlen die Rassisten von der AfD stark gemacht hat."

Der AfD-Fraktionschef im Bundestag, Alexander Gauland, sagte zur Einigung der Unionsparteien, die Zahl 200.000 sei "nicht nur willkürlich und viel zu hoch festgelegt, sondern auch pure Augenwischerei, da trotzdem niemand an der Grenze zurückgeschickt werden soll." Das bedeute, dass alles beim Alten bleibe, das Wort "Obergrenze" falle mit keinem Wort, kritisierte Gauland. "Die Forderungen nach einer Verschärfung des Asylrechts, die zu Wahlkampfzeiten aus der CDU kamen, waren reines Wahlkampfgetöse", sagte er. "Die Grenzen werden offenbleiben."

(oko/AFP/dpa/reu)
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