Nach dem Desaster SPD streitet über Neuanfang - <br>Müntefering vor dem Aus

Berlin (RP). SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier hat das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der SPD zu verantworten. Trotzdem will er als Oppositionschef die Fraktion anführen. Die Parteilinke will das nicht so einfach hinnehmen. In einer Schaltkonferenz mahnen Präsidiumsmitglieder Nachdenken an. Die SPD-Spitze betreibe "Akklamationspolitik", heißt es. Auch SPD-Chef Müntefering steht offensichtlich vor dem Aus.

Steinmeier und Müntefering: Eingeständnis der SPD-Niederlage
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Steinmeier und Müntefering: Eingeständnis der SPD-Niederlage

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Es waren die führenden Vertreter der SPD-Linken, die das historisch schwächste Ergebnis der Sozialdemokratie bei einer Bundestagswahl am schnellsten und offensichtlich besten verdauten. "Ein Weiter-so kann es nicht geben", tönte der Sprecher der SPD-Linken, Björn Böhning, schon um kurz nach 18 Uhr im Atrium des Willy-Brandt-Hauses.

Klaus Wowereit, immer wieder als möglicher SPD-Kanzlerkandidat 2013
gehandelt, mahnte fast gleichzeitig einen "Erneuerungs- und Verjüngungsprozess" an. Die Zielscheibe der Linken war aufgehangen: Der
69-jährige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering soll im November nicht erneut für den Parteivorsitz antreten, heißt das Minimalziel.

Müntefering werde den "überfälligen Annäherungsprozess an die Linkspartei" nur stören, sagt einer vom linken Parteiflügel. "Die SPD muss in den nächsten vier Jahren sicherstellen, dass sie die Partei links der Mitte ist." Müntefering und seinem Chef-Wahlkämpfer, Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel, lasten die Linken das miese Ergebnis an. Der Wahlkampf sei ohne Machtperspektive geführt worden, die strenge Abschirmung zur Linken habe nichts gebracht.

"Nachdenken" wäre angebracht

Doch auch die ungewohnt schnelle, fast handstreichartige Erklärung von
SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, den Fraktionsvorsitz zu
übernehmen und als Oppositionsführer in den Bundestag zu gehen, stößt
einigen Parteifreunden auf. In einer Telefonschaltkonferenz des
SPD-Präsidiums äußern sich mehrere Spitzengenossen nach Informationen
unserer Redaktion aus Teilnehmerkreisen skeptisch.

NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft, die im einstigen SPD-Stammland Hochrechnungen zufolge mit einem Rekord-Negativergebnis von unter 30 Prozent für die SPD rechnen muss, soll ein "Nachdenken" angeregt haben, bevor personelle Entscheidungen getroffen werden. Auch SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz und SPD-Vize Andrea Nahles melden Bedenken an.

Später mokieren sich einige Parteilinke über die "Akklamationspolitik", die in der SPD-Spitze trotz der desaströsen Niederlage herrsche. Immerhin erreichen die
Kritiker, dass am Montagabend nach den Sitzungen der Spitzengremien auch
die Landes- und Bezirksvorsitzenden der Partei in den Diskussionsprozess
einbezogen werden. Die Parteilinke will sich die Fäden jetzt nicht mehr
aus der Hand nehmen lassen.

SPD-Rechte loben Steinmeier

Die Konservativen in der Partei loben Steinmeier unterdessen für den Fraktions-Coup. "Es ist richtig, dass er das jetzt an sich zieht", sagt einer von den "Seeheimern", der Parteirechten. Auch der scheidende SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck hatte sich intern für Steinmeier als Nachfolger ausgesprochen. Generalsekretär Hubertus Heil und Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann zeigten sich in ihren Statements ebenfalls zufrieden mit der schnell verkündeten Personalie.

Am Montag sollen das SPD-Präsidium und der Parteivorstand den
Ex-Kanzlerkandidaten Steinmeier die nötige Rückendeckung geben. Schon am
Dienstag soll die neu zusammengesetzte Bundestagsfraktion -­ sie wird um
rund 80 Mitglieder kleiner ausfallen -­ den neuen Chef wählen. Als wahrscheinlich gilt, dass Parteichef Franz Müntefering entgegen seiner bisherigen Ankündigungen auf dem Parteitag im November nicht erneut für den Vorsitz kandidieren wird. Angeblich soll Müntefering Steinmeier das sogar am späten Sonntagnachmittag angeboten haben. Spekulationen, er werde noch am Abend seinen Rückzug ankündigen, bestätigten sich indes nicht.

Offenbar versuchen Steinmeier und Müntefering den Übergang in die Oppositionszeit zu steuern. In Parteikreisen ist aber zu hören, dass noch kein Fahrplan, kein Konzept für die Neuaufstellung an der Parteispitze diskutiert wurde. Zu sehr hatten Steinmeier und Müntefering bis zuletzt an die erneute
Regierungsbeteiligung geglaubt. "Die wurden von den Ereignissen überwältigt", sagt einer aus der Führungsriege. "Jetzt müssen sie schnell die Begehrlichkeiten der Linken einfangen."

Als mögliche Müntefering-Nachfolger sind mehrere Sozialdemokraten im Gespräch. Beispielsweise Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Der 50-Jährige, der sich mit seiner energischen Anti-Atom-Kampagne als Wahlkämpfer Meriten erworben hat, traut sich das Amt zu. Am liebsten würde sich Gabriel durch eine Mitgliederbefragung inthronisieren lassen, ist aus seinem Umfeld zu hören. Doch seine schärfste Widersacherin, SPD-Vize und Linken-Ikone Andrea Nahles, hofft ebenfalls auf einen Karriereschritt. Ihr Vorteil ist, dass sie sich längst mit
Arbeitsminister Olaf Scholz zusammengetan hat. So könnten beide Gabriel
verhindern.

Bei einer Kampfkandidatur zwischen Gabriel und Nahles räumen Genossen der 39-jährigen Rheinland-Pfälzerin ohnehin bessere Chancen ein. "Nahles hat sich in den vergangen Jahren loyal verhalten und für die Partei gut gearbeitet", sagt ein Präsidiumsmitglied. "Sie kann das." Die SPD-Landesverbände Bayern, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Hessen und möglicherweise auch Nordrhein-Westfalen soll die SPD-Stellvertreterin hinter sicher haben. Gabriel kann nicht einmal auf die volle Unterstützung seines eigenen Landesverband setzen. Mit
Landeschef Garrelt Duin hat er sich überworfen.

Steinbrück dürfte gehen

An einem Spitzengenossen gehen die Personalspekulationen weitgehend vorbei. SPD-Vize Peer Steinbrück hat öfters deutlich gemacht, dass er sich einen Ausstieg aus der Politik oder einen Job in der Wirtschaft vorstellen kann. Der 62-Jährige weiß, dass er in einer "linker" werdenden SPD keine Chance hat. Und als stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden oder wirtschaftspolitischen Sprecher der Fraktion kann sich kein Genosse den selbstbewussten Ex-Finanzminister vorstellen. Am wenigsten wohl Steinbrück selbst.

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