Bundestagswahl 2009 SPD — ein historisches Desaster

Düsseldorf (RPO). Der Sozialdemokratie ist das erhoffte Wunder nicht gelungen. Im Gegenteil: So schlecht wie 2009 hat die SPD noch nie bei einer Bundestagswahl abgeschnitten. Die Partei sieht schweren Zeiten in der Opposition entgegen. Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier will Fraktionschef werden. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit richtet bereits den Blick nach vorn.

Steinmeier und Müntefering: Eingeständnis der SPD-Niederlage
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Steinmeier und Müntefering: Eingeständnis der SPD-Niederlage

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Immer wieder hatte Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier die Erinnerung an die Aufholjagd von Gerhard Schröder bei den Wahlen 2005 beschworen, immer wieder angekündigt, die SPD werde deutlich besser abschneiden als die schlechten Prognosen es vermuten ließen. Nun steht er im Willy-Brandt-Haus in Berlin vor der Presse und räumt eine bittere Niederlage ein. Seine Partei erlebt an diesem Abend eine weitere Katastrophe, so wie in den vergangenen Jahren schon so oft. Es ist ein Niedergang von einer Volkspartei mit Zustimmungsraten von einst deutlich über 40 Prozent auf das inzwischen stabile Level von 20 Prozent plus X.

Am Sonntagabend setzt sich das Desaster fort. In der ersten Hochrechnung erreicht die SPD mit Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier mit 23,3 Prozent das schlechteste Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik. Bisheriger Tiefpunkt waren 28,98 Prozent bei den Wahlen im Jahr 1953. Bei den vorangegangenen Bundestagswahlen — noch mit Gerhard Schröder an der Spitze — landeten die Sozialdemokraten bei 34,2. Knapp zehn Prozent haben sie binnen vier Jahren in der Großen Koalition verloren — ein historischer Rekord. Glaubt man der ARD hat noch nie eine Partei bei einer Bundestagswahl so große Verluste erlitten.

Näher an den Kleinen

Ein Vergleich des Abstands zu den anderen Parteien verdeutlicht den Absturz der SPD: Mit ihren Prozentzahlen liegt sie gewissermaßen im Niemandsland. Zu den sogenannten Kleinen wie FDP, Linke und Grüne ist die Distanz weniger mit etwa zehn Prozent genauso groß wie zu der enteilten Union. Die SPD als Volkspartei zu bezeichnen - es ist nach dieser Bundestagswahl fragwürdiger denn je, auch wenn Franz Müntefering das bei seinem Statement nach der Wahlschlappe immer noch trotzig tut.

Die Gesichter sind lang bei den Sozialdemokraten. Auch bei Steinmeier, der etwa 40 Minuten nach der ersten Prognose im Willy-Brandt-Haus Stellung bezieht. Neben ihm steht Parteichef Franz Müntefering mit versteinerter Miene. Steinmeier wirkt gesetzt, hat eine Hand in der Hosentasche. Nach langem Jubel der Genossen spricht er von einem bitteren Tag für die Sozialdemokratie. "Da gibt es nix drumrumzureden", sagt Steinmeier. Dann erinnert er jedoch auch an den gemeinsamen Wahlkampf. Er habe auf den Straßen viel Zuspruch erfahren. Er werde nicht vor der Verantwortung fliehen, sagt er, insbesondere an so einem bitteren Abend. Frank-Walter Steinmeier will für den Fraktionsvorsitz kandidieren.

Oppositions-Rhetorik

Eine mögliche schwarz-gelbe Regierung werde jetzt ihr Können unter Beweis stellen müssen. "Ich habe Zweifel, dass sie es können", sagte der Spitzenkandidat weiter. Seiner Partei sei es zu verdanken, dass das Land einer guten Zukunft entgegensehen könne. Die SPD habe dafür in den elf Jahren Regierungszeit "einen Beitrag geleistet". Er wolle dafür kämpfen, dass es keinen "Rückmarsch in die 90er Jahre" geben werde. Als Beispiele nannte er den Ausstieg aus der Atomenergie, Arbeitnehmerrechte und Mindestlöhne.

Zeitgleich beginnt bei der SPD das Aufräumen. Viel ist von dem kommenden Parteitag Mitte November die Rede. Ein Neuanfang steht an. Wohin, weiß im Moment keiner. "Ihr seid die Zukunft der Partei!", sagt Steinmeier einmal, um den Mitstreitern Mut für die Zukunft zu machen. Ein bisschen klingt es auch wie ein Abschied. Die SPD werde eine starke Opposition sein, kündigt er an. Gleichwohl könne die Partei aber nicht "ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen". Er selbst wolle Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass die SPD auch die schwierige Situation bewältigen werde.

Zuletzt nur ein Blockade-Projekt

Offiziell ging es den Genossen zuletzt noch immer um die Ampel. Rot-Grün-Gelb, das war die letzte denkbare Regierungskonstellation, bei denen die Sozialdemokraten noch den Kanzler hätten stellen können. Eine Zusammenarbeit mit der Linken auf Bundesebene hatten Steinmeier und Parteichef Franz Müntefering glaubwürdig ausgeschlossen. Eine Woche vor dem Wahlsonntag erteilte FDP-Chef Guido Westerwelle der SPD die klare Absage. Das von der SPD im Wahlkampf bemühte Projekt "Schwarz-Gelb" verhindern war zum reinen Blockade-Unternehmen geworden.

Nun steht sie vor dem Gang in die Opposition. Peer Steinbrück hatte seine Erwartungen an eine solche Zeit in der vergangenen Woche bereits beschrieben: Er erwarte einen Abnutzungswahlkampf mit der Linken. Andere Szenarien zeichnen einen parteiinternen Umbruch.

Wowereit blickt nach vorn

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sieht die Partei vor einem Verjüngungs- und Erneuerungsprozess. Seiner Ansicht nach wird die SPD bis zum kommenden Parteitag in aller Ruhe diskutieren müssen, wie sie sich im Hinblick auf ihr Kernthema soziale Gerechtigkeit neu erfindet, wie Wowereit unmittelbar nach der ersten Hochrechnung im ZDF erläutert. Ähnlich äußert sich IG-Metall-Chef Berthold Huber. Die SPD müsse wieder näher an die Menschen heran. Fest steht zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls: Die Partei steht vor schweren Auseinandersetzungen.

Die Gründe für den Absturz sind vielfältig. In den vergangenen zehn Jahren hat die SPD sowohl am linken als auch rechten Rand Wähler verloren.Mit Hartz IV und dem damit verbundenen Erstarken der Linken sind traditionelle SPD-Wähler aus Gewerkschaften und Arbeiter-Klientel verschwunden, das Hessen-Debakel hat Sympathisanten verschreckt - und zuguterletzt die Große Koalition. Vor allem junge Wähler hat die Partei zuletzt nicht mehr erreichen können. Einer ARD-Analyse zufolge machten nur 17 Prozent der Wähler unter 30 ihr Kreuz bei der SPD. Setzt sich dieser Trend fort, ist die SPD eine Partei ohne Zukunft.

(pst)
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