Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP Wirtschaftsverbände fordern Modernisierungsschub von der möglichen Ampelregierung unter SPD-Kanzler Olaf Scholz

Berlin · Mehr Tempo bei Digitalisierung, Klimaschutz und Bürokratieabbau, eine Rentenreform und die Rückkehr zur Schuldenbremse – das sind Kernforderungen der Wirtschaftsverbände an eine mögliche Ampel-Koalition. Die Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP verfolgen Wirtschaftsvertreter mit Interesse, aber auch mit Besorgnis.

 Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnt vor einer Aufweichung der Schuldenbremse.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnt vor einer Aufweichung der Schuldenbremse.

Foto: dpa/Bernd Weißbrod

„Digitalisierung, Klimaschutz und der Fachkräftemangel sind für die Unternehmen die wichtigsten Themen“, sagte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). „Die Betriebe erwarten jetzt konstruktive Gespräche mit dem Ziel, ein besseres Umfeld für ihre Zukunftsinvestitionen zu schaffen“, so Adrian.

Die Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP verfolgen Wirtschaftsvertreter mit Interesse, aber auch mit Besorgnis. Fortschritte werden von einer möglichen Ampelregierung beim Klimaschutz, beim Ausbau der erneuerbaren Energien und öffentlichen Investitionen erwartet. Dagegen überwiegt die Skepsis, was die Reformbereitschaft vor allem der SPD beim Thema Rente angeht. Das gilt für Rot-Grün auch im Hinblick auf die Rückkehr zur Schuldenbremse und Entlastungen der Unternehmen bei Steuern und Abgaben.

„Wir brauchen jetzt einen Koalitionsvertrag, der einen Investitions-Ruck in Deutschland ermöglicht. 90 Prozent der Investitionen in Deutschland kommen schließlich aus dem privaten Sektor. Die Betriebe sehen sich allzu oft durch hohe Belastungen bei Steuern und Abgaben einerseits sowie langwierige Verfahren und praxisferne Vorgaben andererseits bei ihren Aktivitäten gebremst“, sagte DIHK-Chef Adrian.

„Entscheidend ist, dass Richtung und Inhalte stimmen. Eine Ampel regelt den Verkehr und darf nicht behindern. Also muss die Ampel das Vorfahrt-Signal für ein Modernisierungsland sein. Sie darf nicht das Stoppschild für Veränderung sein“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. „Bei den wichtigen Themen wie Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie dürfen wir nicht weiter im Stillstand verharren. Wir brauchen in Deutschland freie Fahrt für weitreichende Reformen um Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand zu sichern“, betonte er. „Die Schulden, die wir aufnehmen mussten, müssen zurückgezahlt und die Sozialversicherungssysteme stabilisiert werden. All das geht nicht gegen, sondern nur mit der Wirtschaft“, sagte Dulger.

„Mit einem weiteren Fahren auf Sicht kommen wir am Standort Deutschland nicht weiter. Die Familienunternehmen erwarten eine gestaltende Politik, die Rahmenbedingungen für einen wettbewerbsfähigen Standort setzt um Arbeitsplätze auch langfristig zu sichern“, mahnte auch Familienunternehmer-Präsident Reinhold von Eben-Worlée. Ziele der klimapolitischen und die finanzpolitischen Nachhaltigkeit müssten gleich gewichtet werden, etwa durch die Begrenzung neuer Schulden und eine Reform des Rentensystems, so Eben-Worlée. Bei der Digitalisierung brauche es eine „Politik des Aufbruchs“. Zudem müssten die Steuerpolitik und die Verwaltung auf Entlastungen ausgerichtet werden, nicht auf weitere Belastungen.

Auch die Präsidenten der Rechnungshöfe der Länder und des Bundes hatten sich am Mittwoch für die Einhaltung der Schuldenbremse ausgesprochen. Sie dürfe nicht aufgeweicht werden. „Wir wollen keine Schuldenbremse light“, sagte die Präsidentin des Berliner Rechnungshofs, Karin Klingen. Die Umgehung der Schuldenbremse durch Auslagern der Kredite aus den Kernhaushalten etwa in Fonds oder Nebenhaushalte sei zu vermeiden, warnten die Rechnungshöfe.

Der CDU-Wirtschaftsrat schloss sich dieser Warnung an. „Schon vor Beginn der Ampel-Sondierungen schaltet die Finanzkontrolle angesichts der Pläne von SPD und Grünen auf Rot“, sagte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats. Innerhalb von nur drei Jahren habe der Bund in der Corona-Krise deutlich mehr Schulden gemacht, als in den 20 Jahren seit der Jahrtausendwende zusammen. In den Sozialkassen seien große Löcher zu stopfen und die Inflationsrisiken nähmen zu. „Wenn einige Parteien vor diesem Hintergrund jetzt über staatliche Investitionsgesellschaften am Bundeshaushalt vorbei mehrere hundert Milliarden Euro aufnehmen wollen, ist das nichts anderes als eine Absage an nachhaltiger und transparenter Haushaltsführung“, sagte Steiger.

Die Verbraucherschützer erwarten von einer möglichen Ampel-Koalition mehr Klimaschutz zu fairen und sozial gerechten Preisen für die Bürger. „Eine Ampel-Koalition muss jetzt zeigen, ob sie den Alltag der Menschen sicherer, bezahlbarer und nachhaltiger gestalten kann“, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Klaus Müller, unserer Redaktion. „Wenn sie soziale Gerechtigkeit, ökologische Modernisierung und Förderung des Wettbewerbs kombiniert, kann sie das Leben in unserem Land für sehr viele Menschen verbessern“, sagte Müller. „Beweisen muss sich das im konkreten Handeln der Regierungsparteien in den nächsten Jahren. Die nächste Bundesregierung muss sich aus Verbrauchersicht für einen nachhaltigen und sozial gerechten Klimaschutz einsetzen, den Neustart der privaten Altersvorsorge vorantreiben und die Dauerbaustelle Digitalisierung, wo der Breitbandausbau brach liegt und Algorithmen einen diskriminierungsfreien Zugang nicht verhindern dürfen, angehen“, erklärte der vzbv-Chef. Trotz des verstärkten Klimaschutzes müsse etwa der Strompreis für die Verbraucher sinken, forderte er.

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