Bundestagswahl Sieg für Merkel — sonst viel Elend

Berlin · Wackelrepublik Deutschland: Die Deutschen haben gewählt. Nach ersten Hochrechnungen ist Kanzlerin Angela Merkel mit rund 42 Prozent die einzige klare Siegerin dieser Wahl. Bei der FDP herrscht blankes Entsetzen, sie dürfte den Einzug in den Bundestag verfehlen. Auch die AfD scheitert aktuell knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Die SPD bleibt mit 26 Prozent deutlich unter den Erwartungen, ebenso die Grünen (8 Prozent). In einigen Parteizentralen könnte es noch in dieser Nacht drunter und drüber gehen. Viel spricht für eine Große Koalition. Ein Überblick.

Wahl 2013 - Hier wählen die Spitzenpolitiker
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Triumph für Angela Merkel Die Bundestagswahl 2013 gibt nach den ersten Prognosen mehr Fragen als Antworten. Klar ist nur: Die Union ist mit Abstand stärkste Partei. Um die 16 Prozentpunkte liegt sie vor der nächstgrößeren Partei, der SPD. So viel Zustimmung wie an diesem Sonntag hatte die Union zuletzt 1994 unter Helmut Kohl.

Insbesondere für Merkel ist das ein Triumph ohnegleichen. Noch nie hat sie so viele Stimmen geholt. Der Wahlkampf war ganz allein auf sie zugeschnitten. Jetzt ist es ihr Erfolg. Ihre parteiinternen Kritiker haben nun keine Munition mehr. Sie hatten ihr vorgeworfen, der Union den Markenkern zu nehmen und Wahlen nur gewinnen zu können, indem sie den politischen Gegner noch schwächer macht als die Union. Nun kann sich Angela Merkel auf eine weitere Kanzlerschaft einstellen.

Als stärkste Partei kann sie sich theoretisch den Koalitionspartner aussuchen. Er dafür aber in Frage kommt, ist die wohl spannendste Frage dieses Wahl-Krimis. Sowohl die FDP als auch die AfD können noch darauf hoffen, die Fünf-Prozenthürde zu nehmen. Doch den Hochrechnungen nach reicht es nicht.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen zeigte sich überwältigt. Sie habe auf ein starkes Ergebnis gehofft. Aber dass es 42 Prozent werden würden, damit habe sie nicht gerechnet.

Am frühen Abend überwiegen abgesehen vom klaren Erfolg der Union die Fragen. Koalition? Unklar. Parteien im Bundestag? Unklar. Mehrheiten? Unklar. Mit der FDP würde es für die Union wohl im Parlament reichen. Ebenso zusammen mit der AfD. So aber hat das linke Lager eine Mehrheit. Weil die SPD eine Zusammenarbeit mit der Linken aber glaubhaft ausgeschlossen hat, läuft nun alles auf eine große Koalition hinaus.

Anstelle von klaren Mehrheiten stehen an diesem Abend zunächst einmal zwei kleine Sensationen und drei bittere Enttäuschungen.

Sensation I Die FDP hat nur noch ein Fünkchen Hoffnung. Doch ernsthaft glaubt keiner mehr ernsthaft daran, die fünf Prozent zu knacken. 4,5 Prozentpunkte sind es in der ersten Hochrechnung des ZDF. Das Szenario, das in der FDP in der vergangenen Woche für panikartige Schübe gesorgt hatte, wird wohl Wirklichkeit. Schwarz-Gelb ist unter diesen Vorzeichen Geschichte. Dabei hatte die Kanzlerin der FDP im Grunde schon ein weiteres Ehe-Versprechen gegeben. Notfalls werde sie auch mit nur einer Stimme Mehrheit erneut mit den Liberalen koalieren.

Nur noch ein bisschen dürfen die Liberalen hoffen. Aber schon jetzt weiß FDP-Chef Rösler, dass seine Bettelei mit einer Zweitstimmenkampagne beim Wähler durchgefallen ist. Kompetenz sieht anders aus. Mehr als zwei Millionen haben stattdessen lieber wieder der Union ihre Stimme gegeben, eine Wählerwanderung ähnlich wie schon vor einer Woche in Bayern.

"Das die bitterste Stunde für die FDP seit 1949", sagt NRW-Chef Christian Lindner zu dem Ergebnis. Ab jetzt müsse die FDP neu gedacht werden.

Sensation II Die AfD tanzt auf der Fünf-Prozent-Hürde. Mit ihren 4,8 Prozent ist sie noch deutlich näher dran als die Liberalen. Doch die Vorzeichen sind im Vergleich zur FDP vollkommen entgegengesetzt. Die eurokritische Partei ist ein Newcomer, erst im April wurde sie gegründet. Dass sie am frühen Wahlabend darauf hoffen kann, demnächst im Bundestag vertreten zu sein, ist eine Sensation.

Zusammen mit der Union könnte es sogar für eine Mehrheit reichen. Doch ernsthaft kommt die AfD dafür freilich nicht in Frage. Alle etablierten Parteien haben eine Zusammenarbeit ausgeschlossen, vorneweg die CDU. Finanzminister Wolfgang Schäuble bezeichnete ihre Ansichten der AfD noch kürzlich als brandgefährlich. Zudem wurde die Partei von allerlei dubiosen Nebengeräuschen begleitet. Von Rechten unterwandert, finanzielle Unregelmäßigkeiten, Inszenierungen von Skandalen. Nun hat sie Zeit, das zu widerlegen.

Den Charme der Protestpartei dürfte sie alsbald verlieren. Nur wenn die Eurokrise derart hochkocht, dass auch deutsche Steuerzahler spürbar betroffen sind, kann sie auf dem Ergebnis der Bundestagswahl aufbauen.

Bittere Enttäuschung I Am anderen Ende des Spektrums steht Rot-Grün. Der Versuch, Angela Merkel Paroli zu bieten ist in ernüchternder Eindeutigkeit gescheitert. Die SPD hatte darauf gehofft, zumindest in Sichtweite der 30 Prozent zu kommen. Zudem hält sich wegen Schröders Aufholjagd 1998 hartnäckig der Glaube, dass die Sozialdemokraten am Ende besser dastehen, als von den Meinungsforschungsinstituten prognostiziert.

Nichts davon hat sich an diesem Abend bewahrheitet. Wohl drei Prozentpunkte hat die SPD dazugewonnen. 26 statt 23 Prozent stehen jetzt auf dem Konto. Damit hat sie ihren zweitschlechtesten Wert in ihrer Geschichte erzielt. Damit kann sie nicht zufrieden sein. Dass möglicherweise das Teilziel "Schwarz-Gelb verhindern" erreicht ist, kommt als schwacher Trost daher.

Nun dürfte es unruhig werden in der Partei. Das Gespenst der großen Koalition ist endgültig aus der Kiste. Wie sich die Parteiführung dort hinüberretten will, entscheidet sich in diesen Stunden. "Es wird noch ein spannender Abend", sagte Generalsekretärin Andrea Nahles vieldeutig. Dabei könnte vor allem Parteichef Sigmar Gabriel in Schwierigkeiten geraten. Schon während des turbulenten Wahlkampfs waren interne Unstimmigkeiten zutage getreten, sogar Putschgerüchte machten die Runde. Von einer Nacht der langen Messer wurde in unheilvollem Ton gemunkelt. Noch in dieser Nacht geht es darum, Claims abzustecken. Und die Zukunft der SPD.

Nahles bemühte sich zunächst, das Tempo aus der Debatte über die Große Koalition herauszunehmen. Darüber werden an diesem Abend auf keinen Fall entschieden. Stattdessen spielte sie den Ball der Kanzlerin zu: "Jetzt ist Frau Merkel am Zug." SPD-Geschäftsführer Thomas Oppermann gratulierte Angela Merkel wenige Minuten nach 18 Uhr zu einer großartigen Wahl. Die SPD habe sich mehr erhofft.

Bittere Enttäuschung II Ähnlich enttäuscht verhält es sich bei den Grünen. Sie gehen gebeutelt mit Einbußen von fast drei Prozentpunkten aus der Wahl hervor. 10,7 Prozent waren es im Jahr 2009, acht hat nun das ZDF berechnet. Messen muss man die Grünen aber auch an ihrem Höhenflug 2011 nach Fukushima. Damals hatten sie in Umfragen Spitzenwerte von sage und schreibe 28 Prozent und befanden sich auf Augenhöhe mit der SPD. Nichts davon haben sie in den Bundestagswahlabend hinüberretten können.

Das Spitzenduo Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt trägt schwer daran. Aber auch die Vorsitzenden Cem Özdemir und Claudia Roth stehen in der Verantwortung, ebenso die seit der Berlinwahl angeschlagene Renate Künast. Die Rufe nach Erneuerung werden nicht lange auf sich warten lassen.

Der Grüne Volker Beck zeigte sich in einer ersten Reaktion tief enttäuscht. Sie hätten die Bundesregierung mit Rot-Grün ablösen und das Ergebnis der Grünen stärken wollen, sagte Beck am Sonntagabend im WDR. "Das ist deutlich verfehlt worden." Den Grünen sei im Wahlkampf, zum Beispiel mit dem "Veggie-Day", das Etikett der Verbotspartei angehängt worden. Dafür gebe es keinen Grund, sagte Beck. "Trotzdem sind wir dieses Image im Wahlkampf nicht mehr losgeworden."

Bittere Enttäuschung III Die Piraten landeten abgeschlagen mit 2 Prozent unter den Sonstigen. Die Senkrechtstarter aus den Jahren 2011/2012 drohen nun als politisches One-Hit-Wonder wieder in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Lediglich durch ihre Beteiligung in den Landesparlamenten in NRW, Berlin, Schleswig-Holstein und im Saarland kann sie möglicherweise noch politisches Profil erwerben.

Offensichtlich hat sie nicht nur ihren Zauber verloren, sondern Wähler auch durch amateurhafte Querelen in der Führungsspitze vergrault. Dabei waren nach dem NSA-Skandal durchaus gute Chancen vorhanden, im Bundestagswahlkampf Punkte gutzumachen.

Bei der Linken herrscht nach dem prognostizierten Ergebnis von 8 Prozent hingegen fast schon Festtagsstimmung. Die Partei kann es sich erlauben, zur Bewertung der Wahl allein auf den eigenen Nabel zu schauen. Zwar muss sie im Vergleich zu 2009 (11,9) Einbußen hinnehmen. Doch legt die Partei lieber einen anderen Maßstab an. Unter der gelähmten Doppelspitze Gesine Lötzsch und Klaus Ernst machte sich die Linke vor gar nicht allzu langer Zeit fast selbst den Garaus. Umfragen nach stand selbst der Wiedereinzug in den Bundestag auf der Kippe.

(pst)
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