„Goldwaage“ Aufwacher-Spezial Der lange Weg zur Gleichberechtigung

Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen herzustellen, gehört zu den Dauerbrennern in der Politik. Das Ziel ist längst nicht erreicht. Wie will die SPD das ändern?

 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, heißt es im Grundgesetz. Die Praxis sieht oft anders aus.

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, heißt es im Grundgesetz. Die Praxis sieht oft anders aus.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Im Wahljahr wollen die Bürger wissen, woran sie sind. Deshalb suchen wir uns die wichtigsten Aussagen der Parteien heraus und legen sie auf die Goldwaage: Wie realistisch ist das Programm, was bedeutet es für die Menschen? Darüber diskutieren wir mit Machern, Kritikern und Experten. Das Ergebnis können sie jeden Samstag bei uns im Aufwacher-Podcast als Spezialfolge hören und als Zusammenfassung in der Zeitung sowie online nachlesen.

Die These Noch immer verdienen Frauen weniger als Männer. 18 Prozent betrug die Lücke im vergangenen Jahr. Bei der Altersversorgung fallen Frauen noch stärker zurück. Zugleich hat Corona die Benachteiligung verschärft: In Zeiten geschlossener Kitas und Schulen tragen die Mütter die Hauptlast bei der Kinderbetreuung. Was die an der Regierung beteiligten Sozialdemokraten in den beiden zurükliegenden Legislaturperioden nicht geschafft haben, soll nun in weniger als einem Jahrzehnt gelingen: „Wir wollen die Gleichstellung von Männern und Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen bis 2030 erreichen“, heißt es im Wahlprogramm.

Der Plan Als Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist Gülistan Yüksel die Problematik mangelnder Gleichberechtigung wohlvertraut. Dass sich dabei noch immer so viele Baustellen auftun, macht die SPD-Bundestagsabgeordnete aus Mönchengladbach „wirklich wütend. Deshalb sein nun ein strikter Zeitplan bis 2030 notwendig. Zudem wünscht sich die 59-Jährige nach der Bundestagswahl einen Koalitionspartner, der vor allem bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf „nicht blockiert“. Die Union habe dabei nicht immer mitgezogen, etwa beim Thema gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Auch bei der beschlossenen gesetzlichen Quote für weibliche Aufsichtsräte in Dax-Unternehmen sei noch „viel Luft nach oben“. Im Grunde aber handele es sich um ein Projekt, bei dem alle Parteien mitziehen müssten. Gülistan Yüksel ist überzeugt, dass sich ein Plus an Gleichberechtigung nicht ohne Sanktionen verwirklichen lassen wird. „Bei der SPD haben wir beispielsweise ein Reißverschlussverfahren bei der Aufstellung von männlichen und weiblichen Kandidaten. Wenn dies nicht berücksichtigt wird, ist die Liste nicht gültig.“ Eine große Aufgabe bleibe, Männer im Haushalt zur Übernahme von mehr Verantwortung zu bewegen, Corona habe an diesem Punkt vorhandene Defizite bestätigt.

Die Gegenrede Was sagt die CDU dazu? Die Partei hat sich in puncto Gleichberechtigung vorgenommen, in allen Bereichen nachsteuern zu wollen, „wo die Rahmenbedingungen verbessert werden müssen“. Handlungsbedarf besteht für Serap Güler zum einen darin, mehr Frauen für Politik zu begeistern. Oft werde Zeitmangel als Hinderungsgrund angeführt, um die Aufgabe zu hundertprozentig erfüllen zu können, vielfach fehle aber das Zutrauen, meint die Staatssekretärin für Integration in NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration. „Wir brauchen mehr weibliche Vorbilder in Führungspositionen“, findet die 41-Jährige. Zum anderen hält die CDU-Politikerin wenig von zeitlichen Zielvorgaben. Eine Gesellschaft könne sich schneller oder auch langsamer entwickeln, ein Parteiprogramm wie das der SPD habe wenig Einfluss darauf. Auch in Bezug auf gesetzliche Vorschriften zur Gleichstellung geht Güler auf Distanz zur SPD und fühlt sich darin durch richterliche Urteile bestärkt, die die von den Sozialdemokraten angestrebte Parität in den Landesparlamenten gekippt hatten. Eine Gesellschaft dürfe nicht das Gefühl haben, bevormundet zu werden. Überzeugungsarbeit sei besser. Gleichwohl gelte: „Wir müssen uns stärker anstrengen, auch als CDU.“ So habe Corona gezeigt, dass insbesondere der Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt umgehend verbessert werden müsse.

Die Einordnung Für die von der SPD vor einem Jahr initiierte Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung findet Jana Wolf durchaus lobende Worte. Von einem „Meilenstein“ will die Politikredakteurin der Rheinischen Post indes nicht sprechen. Als solchen hatte die frühere Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) das Vorhaben bezeichnet, künftig bei allen Gesetzen und Förderprogrammen die Gleichstellung stärker in den Blick zu nehmen. Tatsächlich aber fordere das Grundgesetz genau das schon seit Jahrzehnten. Die Aussagen der Parteien, wie Geschlechtergerechtigkeit im Detail geregelt werden soll, bleiben Jana Wolf zu vage: „Wie lässt sich der rückläufige Anteil von Frauen in den Parlamenten stoppen? Wie kann ein geschlechtergerechter Haushalt aussehen?“ Hier fehlten konkrete Antworten. Immerhin setze die SPD im Unterschied zur CDU einen zeitlichen Rahmen für eine deutliche Besserung der Verhältnisse. Von der von beiden Parteien beschlossenen gesetzlichen Quote für weibliche Aufsichtsräte in Dax-Unternehmen kann die Wirtschaft nach Ansicht der RP-Korrespondentin überwiegend profitieren. Auch Merkel sei am Ende ihrer Amtszeit zu der Überzeugung gelangt, dass es mit der Freiwilligkeit der Firmen allein nicht getan sei.

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