Bundestagswahlprogramm Das will die FDP nach den Wahlen durchsetzen

Berlin · Den Eintritt in eine Regierung haben die Liberalen davon abhängig gemacht, dass es weder höhere Steuern noch neue Schulden gibt. Daneben tritt die FDP mit vielen Dutzend weiteren Forderungen für alle Politikbereiche an, die der Leitidee von mehr Chancen, Freiheit und Verantwortung für den einzelnen folgen.

 FDP-Chef Christian Lindner bei der Vorstellung des FDP-Wahlprogramms in der Parteizentrale in Berlin.

FDP-Chef Christian Lindner bei der Vorstellung des FDP-Wahlprogramms in der Parteizentrale in Berlin.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

„Nie gab es mehr zu tun“ hat die FDP ihr Wahlprogramm überschrieben, das sie Mitte Mai bei einem digitalen Parteitag nach der Beratung Hunderter von Änderungsanträgen beschloss. Die Politik der Vergangenheit habe den Staat „satt und träge“ gemacht, statt „schlank und stark“. Eine Übersicht über die wichtigsten Vorhaben der Liberalen:

Klima  Mit neuen Technologien und „vielen klugen Ideen“ will die FDP den Klimawandel stoppen. Der Emmissionshandel soll schnellstmöglich ausgeweitet, ein CO2-Limit festgelegt werden, sodass sich Investitionen in CO2-sparsame Techniken immer mehr lohnen. Die Finanzierung von Klimaprojekten in anderen Ländern soll angerechnet, jeder klimafreundliche synthetische Kraftstoff leichter zertifiziert und ein sozialer Ausgleich mit einer Klimadividende eingeführt werden.

Steuern Mit Steuerentlastungen soll nach dem Konzept der FDP das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden, um die Folgen der Corona-Pandemie zu überwinden. Der Spitzensteuersatz soll erst ab 90.000 Euro Einkommen greifen, der Soli komplett abgeschafft werden. Das Finanzamt soll zur Vereinfachung vorausgefüllte Steuererklärungen erstellen, die Doppelbesteuerung von Renten soll entfallen. Die FDP will den Steuerfreibetrag deutlich anheben und eine Spekulationsfrist einführen.

Wirtschaft Die FDP tritt für einen „Entfesselungspakt für die deutsche Wirtschaft“ ein, in dem Maßnahmen zur Bürokratieentlastung zu bündeln seien. Für jede neue Belastung sollen zwei alte abgeschafft werden. Die Unternehmenssteuerlast soll auf 25 Prozent sinken, die Abschreibungsbedingungen will die FDP verbessern. Dem Staat soll eine „Beteiligungsbremse“ auferlegt werden, Deutschland Fürsprecher für den Freihandel werden – auch durch ein umbenanntes „Bundesministerium für Wirtschaft, Freihandel und Energie“.

Schulden Einen „Tilgungsturbo“ haben die Freien Demokraten in ihr Wahlprogramm geschrieben, um die Schuldenstandsquote „zügig“ wieder unter die 60-Prozent-Marke der Maastricht-Kriterien zu senken. Die Corona-Schulden müssten so schnell wie möglich abgebaut werden. Die Haushaltspolitik soll solide und investitionsorientiert sein und dabei die Schuldenbremse einhalten. Jede Generation müsse auf diese Weise über eigene Spielräume verfügen, um ihre Herausforderungen angehen zu können.

Zukunft Unter zukunftsfähigem Bildungsföderalismus versteht die FDP mehr Vereinheitlichung der 16 verschiedenen Schulsysteme, einschließlich bundesweiter Abschlussprüfungen für die Mittlere Reife und das Abitur. Den Zukunftsfonds zur Startup-Finanzierung will sie deutlich ausbauen, Frauen den Zugang zu Wagniskapital erleichtern. Internationale Zukunftsinvestitionen in Deutschland sollen stimuliert werden und Deutschland selbst 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ab 2025 investieren.

Verkehr Für die Liberalen sind Tempolimits, Diesel- oder Motorradfahrverbote „weder progressiv noch nachhaltig“. Durch den erweiterten CO2-Emissionshandel würden sich klimafreundliche Motoren und alternative Kraftstoffe durchsetzen. Bei der Bahn will die FDP das Schienennetz beim Bund lassen, den Betrieb privatisieren. Die Luftverkehrssteuer soll abgeschafft, das autonome Fahren etabliert, ein europaweites Transportnetz aufgebaut werden. Führerscheine für Pkw soll es ab 16, für Mopeds ab 15 geben.

Arbeit Die Liberalen wollen mehr Flexibilität ins Arbeitszeitgesetz schreiben und eine wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit. Jeder Wunsch nach Homeoffice soll vom Arbeitgeber mit dem Beschäftigten erörtert werden müssen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie soll durch die steuerliche Förderung von Betriebskindergärten verbessert, der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung perspektivisch ab dem Ende des Mutterschutzes garantiert werden. Unternehmen ab 500 Beschäftigten müssen künftig veröffentlichen, wie sie die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen angehen.

Soziales Steuerfinanzierte Sozialleistungen wie ALG II, Grundsicherung im Alter, Hilfe zum Lebensunterhalt oder Wohngeld sollen nach dem Konzept des „liberalen Bürgergeldes“ an einer Stelle zusammengefasst und im Sinne einer „negativen Einkommenssteuer“ ausgezahlt werden. Beim ALG II soll es bessere Hinzuverdienstregeln geben, eine Ausweitung des Schonvermögens in der Grundsicherung und bei den Rückforderungen durch die Jobcenter eine Bagatellgrenze. Entwürdigende Überprüfungen sollen auf diese Weise entfallen.

Rente Die Liberalen stellen sich einen „Rentenbaukasten“ aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge vor, der bei Jobwechsel mitgenommen werden kann. Es soll eine Rente ab 60 geben. Wer dann mit seinen Vorsorgeansprüchen mindestens das Niveau der Grundsicherung erreicht, kann danach selbst entscheiden, ob er bei geringer Rente früher oder bei höherer Rente später geht. Es soll eine gesetzliche Aktienrente hinzukommen. Das ist dann neben der Umlagefinanzierung ein Fonds, der unabhängig verwaltet wird und in den Teile des Bruttoeinkommens als langfristige kapitalgedeckte Altersvorsorge fließen.

Wohnen Gegen die Wohnungsnot wollen die Liberalen mehr Flächen mobilisieren und mehr bauen. Enteignungen, Mietpreisbremse oder Mietendeckel führten nach ihrer Einschätzung letztlich zu weniger Wohnraum. Für den Erwerb von selbstgenutztem Wohnraum soll es einen Freibetrag bis 500.000 Euro geben, die missbräuchliche Umgehung der Grunderwerbssteuer durch Investoren soll gesetzlich verhindert werden. Ein breites Bündnis soll für mehr barrierefreies Wohnen im Alter sorgen. Baugenehmigungen sollen beschleunigt, Baulücken geschlossen und mit mehr Wohngeld Einkommensschwachen der Zugang zum Wohnungsmarkt erleichtert werden.

Familie/Pflege Durch Kurzzeitpflegeplätze sollen pflegende Angehörige entlastet werden. Die Pflegeausbildung will die FDP reformieren, starre Untergrenzen abschaffen. Für Familien soll es ein „Kinderchancengeld“ geben. Höhere Freibeträge will die FDP Familien und Alleinerziehenden geben. Die Freien Demokraten wollen auch Mehrelternschaften rechtlich anerkennen. Ein Kind könne dann bis zu vier Elternteile haben. Adoptionen sollen auch unverheirateten Paaren möglich sein.

Gesundheit Das Robert-Koch-Institut soll nach dem Vorbild der Bundesbank unabhängig von der Politik werden. Mit Bürokratieabbau und Zuschüssen will die FDP mehr Impfstoff- und Medikamentenproduktion in Deutschland etablieren, um künftige Engpässe zu vermeiden. Cannabis soll in lizenzierten Geschäften verkauft und wie Tabak besteuert werden. Die Einnahmen von geschätzt einer Milliarde sollen für mehr Prävention, Suchtbehandlung und Beratung ausgegeben werden. Auch die Hilfe zur Selbsttötung will die FDP liberalisieren.

Innen Bei der Inneren Sicherheit setzt die FDP auf einen stärkeren Schutz der Privatsphäre. Sie lehnt sowohl Staatstrojaner als auch Online-Durchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung ab. Es soll nach ihrer Vorstellung ein „Recht auf Anonymität im öffentlichen Raum“ geben – etwa durch Ablehnung von Gesichtserkennung und Videoüberwachung. Deshalb will sie ein Sicherheitsgesetz-Moratorium. Auf der anderen Seite soll die Zahl der Landesämter für Verfassungsschutz reduziert und ein europäisches Kriminalamt geschaffen werden.

Europa Eine Konferenz zur Zukunft der EU soll neuen Schwung in die europäische Idee bringen, die EU bürgernäher und handlungsfähiger machen. Ein Verfassungskonvent soll folgen und zu einer föderal verfassten Union führen. Staatenübergreifende Listen mit gleichem Wahlrecht und Spitzenkandidaten sollen das Europaparlament stärken. Mit den Briten will die FDP auf Europaebene eine neue Partnerschaft, mit den Türken die Beitrittsverhandlungen beenden. Der Europäische Währungsfonds soll Wächter über die Staatsfinanzen werden.

Außen und Sicherheit Die FDP bekennt sich in ihrem Programm sowohl zur Nato als auch zu einer Europa-Armee. Sie verlangt eine klare Haltung gegenüber Russland und stellt sich auf die Seite der demokratischen Proteste in Weißrussland. Sie will einen neuen Anlauf für einen Nahost-Friedensprozess und sicherstellen, dass deutsche und europäische Hilfszahlungen an Palästinenser nicht in die Terrorfinanzierung fließen. Mehr Klarheit verlangt die FDP im Verhältnis zu China auch bei den Menschenrechten. Die demokratische Entwicklung Taiwans bezeichnet sie als „gelungenen Gegenentwurf zum autoritären Herrschaftssystem in der Volksrepublik China“.

Medien Nach dem Willen der FDP soll sich ein „modernerer und schlankerer“ öffentlich-rechtlicher Rundfunk (ÖRR) „primär auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen konzentrieren“. Damit könne der Rundfunkbeitrag abgesenkt werden. Die FDP will auch weniger Fernseh- und Hörfunkkanäle und die Präsenz der Öffentlich-Rechtlichen im Internet auf den Zusammenhang zu klassischem Rundfunk begrenzen. „Konkurrenz zu jedem Internet-Angebot privater Presse- und Medienhäuser ist nicht Aufgabe des ÖRR“, heißt es im FDP-Programm.

Was haben die anderen Parteien nach der Bundestagswahl 2021 vor?

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