Politik-Öde anno 2013 Fällt der Wahlkampf dieses Jahr aus?

Berlin · Stell dir vor, es ist Wahlkampf und keiner merkt es. In fünf Wochen wird in Deutschland der neue Bundestag gewählt. In dieser Woche beginnt zumindest formal die heiße Phase. Die Kanzlerin kommt aus dem Urlaub zurück, die Parteien lassen für viele Millionen Euro Groß-Plakate kleben. Nur eine Kleinigkeit fehlt: Ein Thema, das die Menschen polarisiert.

Panne: In Mönchengladbach stehen Wahlplakate von 2010
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Panne: In Mönchengladbach stehen Wahlplakate von 2010

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Wenn die "Wesselmänner" kommen, ist der Wahltag nicht mehr fern. An den großen Straßen, auf Verkehrsinseln und in den besten Innenstadtlagen werden in den nächsten Tagen und Wochen tausende Großflächen-Plakate auftauchen. 3,70 mal 2,90 Meter große Sperrholzplatten, getragen von ein paar Stahlrohren, seit über 50 Jahren im Wahl-Endspurt aufgestellt von der Bochumer Werbeagentur Wesselmann.

Plakate für eine Million Euro

Am Telefon ist ein Mitarbeiter wortkarg. Wie viele Stellwände haben die Parteien dieses Mal geordert? "Werde ich Ihnen nicht sagen." Schätzungen gehen von etwa 20.000 aus. Was kostet ein "Wesselmann", der bis zum 22. September noch mehrmals mit frischen Motiven überklebt werden kann? "Ich sage nichts." Etwa 500 Euro, erzählen Parteienmitarbeiter. Darf er überhaupt etwas sagen? "Der Wahlkampf hat begonnen", antwortet der Herr aus Bochum mürrisch.

Diese Aussage ist natürlich richtig - gefühlt aber doch falsch. Zwar legen sich die Parteien seit Wochen ins Zeug, um bei den Bürgern das eigene Programm anzupreisen und das der Konkurrenz schlechtzumachen. Parteiübergreifend herrscht aber Einigkeit, dass der Wahlkampf 2013 bisher ziemlich fade verläuft.

"Lieber nackt als tot"

"Viele Bürger haben offensichtlich keinen Bedarf, sich mit komplexen Themen wie der Zukunft Europas und des Euro oder der Geheimdienst-Datenaffäre auseinanderzusetzen", klagt ein Wahlkampf-Manager einer kleineren Partei. Bei den Piraten, die mit den Enthüllungen von Edward Snowden zum NSA-Skandal einen Elfmeter ohne Torwart bekommen haben, heißt es entwaffnend, auch in der Sympathisantenszene der Internetpartei sagten die Leute: "Lieber nackt als tot." Irgendwie sei es doch in Ordnung, dass die Geheimdienste alle Daten mitlesen, um Terroristen zu fangen.

Wenn schon die großen Aufregerthemen die Menschen nicht auf die Straße bringen, sind die Bürger dann selbst schuld, dass sie einen auf nichtssagende Plakate und kleinteiligen Politiker-Streit reduzierten Wettstreit serviert bekommen? Oder müssten die Parteien mehr riskieren, Standpunkte klarer formulieren, sich stärker voneinander abgrenzen?

Niedrige Wahlbeteiligung, unklare Machtverhältnisse

Die Angst vor klarer Kante ist bei Politikern weit verbreitet, zumal SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück als Meister dieser Kategorie seit Monaten wiederholt schmerzhaft erfährt, wie in der Medienöffentlichkeit Halbsätze zu vermeintlich großen Verwerfungen aufgebauscht werden. Die Quittung für das ganze Land droht am 22. September: eine niedrige Wahlbeteiligung und unklare Machtverhältnisse könnten neuen Parteienverdruss erzeugen.

Glaubt man den Meinungsforschern, thront über allem die Kanzlerin. Aus Sicht der Opposition lullt sie die Bevölkerung mit einem "Uns geht es gut"-Kuschelkurs ein. Die Union kontert, die gute Wirtschaftslage sei ein Fakt, an dem SPD und Grüne nicht vorbeikämen. Im Urlaub in Südtirol kletterte Angela Merkel mit ihrem Mann auf den 3128 Meter hohen Gipfel des Hinteren Schönecks. Sah Merkel dort vor ihrem inneren Auge, wie die Sache in sechs Wochen ausgeht?

Fühlt Rot-Grün sich zu sicher?

Am bequemsten für die CDU-Chefin wäre eine Neuauflage von Schwarz-Gelb, mit einer womöglich von fünf auf drei Minister dezimierten FDP. Gut denkbar, dass es eine große Koalition mit der SPD gibt. Vielleicht aber dreht Rot-Grün das Ding noch, weil die Union sich zu sicher fühlt.

Denn am Wochenende brach CSU-Chef Horst Seehofer sein selbst auferlegtes Harmoniegelübde ("Sie müssen mit einem schüchternen Seehofer rechnen") und tönte, er werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem die Pkw-Maut nicht drinstehe. Im ARD-Sommerinterview gab er dann völlig überraschend auch noch eine Jobgarantie für den umstrittenen CSU-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich nach der Wahl ab

Solche großspurigen Ansagen dürften die Kanzlerin kaum freuen. Maut-Gegnerin Merkel kann an diesem Mittwoch im hessischen Seligenstadt die passende Antwort geben, wenn sie in die heiße Phase eingreift. Bei ihrem ersten von über 50 Auftritten wird sie testen, welche Sprüche und Themen auf den Marktplätzen ankommen. Das Publikum in Seligenstadt dürfte Merkel gewogen sein. Dort holte die CDU vor vier Jahren über 38 Prozent.

(dpa/csi)
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