SPD will „Fortschrittskoalition“ mit Grünen und FDP Erste Pressekonferenz auf Englisch – Olaf Scholz probt Kanzler

Analyse | Berlin · Der SPD-Wahlsieger formuliert seinen Machtanspruch umso offensiver als er merkt, wie Laschet in der Union unter Druck gerät. Gemeinsam mit FDP und Grünen will Scholz eine „sozial-liberal-ökologische“ Koalition bilden, um Kanzler zu werden. Die Pressekonferenz am Montag brachte besondere Momente mit.

 SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Montag.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Montag.

Foto: AP/Michael Sohn

In die Guido-Westerwelle-Falle tappt Olaf Scholz schon mal nicht. Montagvormittag nach der Wahl, Pressekonferenz in der Parteizentrale, der Saal mit der überdimensionalen Willy-Brandt-Bronzefigur ist voll. Die SPD-Wahlsiegerinnen Manuela Schwesig aus Schwerin, Franziska Giffey aus Berlin und Scholz bekommen Blumensträuße. Die Mitarbeiter klatschen laut und lange, so als müssten sie sich vergewissern, dass das Comeback der SPD im Bund und zwei Bundesländern kein Traum ist. Der Korrespondent eines britischen TV-Senders will in der Fragerunde dann von Scholz wissen, ob er als Kanzler Lastwagenfahrer auf die Insel schicken würde, um den Engpass nach dem Brexit zu beheben. Die Frage wird – wie einige weitere im Verlauf der Veranstaltung – wohlgemerkt auf Englisch gestellt.

Für deutsche Politiker ist das erfahrungsgemäß nicht unheikel. Der damalige FDP-Chef und spätere Außenminister Westerwelle bürstete 2009 einen in seiner Muttersprache fragenden BBC-Reporter unwirsch ab („Wir sind hier in Deutschland“). Das bescherte dem inzwischen verstorbenen Liberalen nach einem historischen Wahlsieg einen erheblichen Imageschaden, von dem er sich politisch kaum mehr erholte. Scholz scheut die Fremdsprache nicht. Flüssig erklärt der Finanzminister, dass ja viele gerne Truckfahrer sein wollten, aber die Briten sich doch fragen müssten, ob der Mangel etwas mit zu schlechten Löhnen zu tun habe. Routiniert pariert er auch Fragen des CNN-Reporters Frederik Pleitgen (Sohn der WDR-Legende Fritz Pleitgen) nach Kontinuität im Kanzleramt in der Nach-Merkel-Ära. Ein bisschen Kanzlerflair liegt da schon in der Luft. Die starke Präsenz ausländischer Medien ist zumindest ein kleines Indiz, dass man im Rest Europas glaubt, dieser Sozialdemokrat da vorne auf der Bühne könnte die große Angela Merkel nach 16 Jahren beerben. Laschet wird am Nachmittag in seiner Pressekonferenz jedenfalls keine einzige internationale Frage gestellt.

Ob Scholz wirklich Kanzler wird, bleibt ungewiss. Er habe jedenfalls gut geschlafen, erzählt er aufgeräumt. Nach dem Aufwachen habe er geschaut, wie sich die Ergebnisse entwickelt hätten. „Da habe ich mich dann noch mal gefreut.“ Mit 25,7 Prozent liegt die SPD nun doch klar vor der Union (24,1 Prozent). Sehr genau registriert die SPD, was da bei CDU und CSU wenige Stunden nach der Elefantenrunde los ist. Laschet schwächt seinen zuvor erhobenen Regierungsanspruch ab in die Bereitschaft, für ein Jamaika-Bündnis bereitzustehen, falls Scholz keine Ampel hinbekommt. Scholz sieht seine Gelegenheit, nun seinen eigenen Führungsanspruch umso entschiedener zu formulieren. SPD, Grüne und FDP hätten Stimmen dazugewonnen und sollten eine Regierung bilden. Scholz greift historisch weit zurück, um einer Ampel zu mehr Glanz zu verhelfen. Von 1969 bis 1982 habe es eine sozialliberale Koalition mit den Kanzlern Brandt und Schmidt gegeben. Rot-Grün unter Gerhard Schröder sei von 1998 bis 2005 eine „sehr gute Regierungszeit“ gewesen. Nun könne man gut eine „sozial-ökologisch-liberale Koalition“ schaffen.

Später greift der Kanzlerkandidat diesen Gedanken noch einmal auf, damit die Ampel-Botschaft bei so vielen Fragen zu Lkw-Fahrern, Europa und Nord Stream 2 nicht untergeht.  „Wenn drei Parteien, die den Fortschritt am Beginn der 20er Jahre im Blick haben, zusammenarbeiten, kann das etwas Gutes werden, selbst wenn sie unterschiedliche Ausgangslagen haben.“ Die Ampel sei eine „Fortschrittserzählung“. Gilt das auch für Berlin? Giffey sieht dieses Bündnis als eine von mehreren Optionen. Eine Ampel in der Hauptstadt wäre für Scholz eine gute Vorlage. In Rheinland-Pfalz harmoniert das Bündnis schon länger. Scholz will nun schnell mit FDP und Grünen reden, um noch vor Weihnachten eine neue Regierung zu bilden. „Völlig ok“ findet es Scholz, dass FDP und Grüne zuerst miteinander reden wollen. 

Die SPD will mit sechs Personen in die Sondierungsgespräche gehen. Neben Scholz die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu DreyerInhaltlich rote Linien zieht Scholz erst einmal nicht: "Wir wollen vertrauensvoll mit denen reden, mit denen wir uns zusammentun wollen." Das hört sich morgens bei Walter-Borjans noch anders an. Er wirft der FDP "Voodoo-Ökonomie" vor. "Man will auf 90 Milliarden Einnahmen verzichten, aber mehr investieren, die Schwarze Null einhalten, Steuern entlasten für die höchsten Vermögenden", sagt der Ex-NRW-Finanzminister in der ARD. "Das wird von sich aus nicht gehen." Auch Esken geht Grüne und FDP zunächst harsch an, weil diese ein Jamaika-Bündnis offen hielten. "Ich finde es erstaunlich, wie man einen so krassen Wahlverlierer zum Kanzler wählen möchte." Ein paar Stunden später hat Scholz eine moderatere Linie durchgesetzt.

Auch eine erste wichtige Personalie klärt die SPD. Der amtierende Fraktionschef Rolf Mützenich will wieder für das Amt kandidieren. Das kündigt der Außenpolitiker aus Köln nach Informationen unserer Redaktion in einer Vorstandssitzung an. Scholz hat Mützenich zuvor gebeten, im Amt zu bleiben. Darauf erwidert Mützenich:  „Wenn ich dazu beitragen kann, der neuen Fraktion Selbstbewusstsein und Stärke mitzugeben, dann will ich das gerne tun.“ Die SPD-Fraktion kommt an diesem Mittwoch zusammen, um Führungspositionen zu vergeben.  In Fraktionskreisen heißt es, der 62 Jahre alte Mützenich werde voraussichtlich nun doch auf Dauer im Amt bleiben. Zuletzt soll Mützenich auch damit geliebäugelt haben, als Nachfolger von Wolfgang Schäuble Bundestagspräsident zu werden.  Für diesen Fall könnte der Parteilinke Matthias Miersch an die Spitze der Fraktion rücken. Gewählt wird der Parlamentspräsident bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 26. Oktober. Die Sozialdemokraten sind mit zehn Mandaten Vorsprung auf die Union stärkste Kraft im Parlament und können daher den Posten beanspruchen. 

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