Analyse Die SPD schwankt zwischen Not und Elend

Merkel und eine absolute Mehrheit? Das hatten sich die Parteistrategen der SPD in ihren kühnsten Träumen nicht ausgerechnet. Auf der anderen Seite stehen die traurig-dürren Prozentpunkte, die die Genossen selbst dazugewinnen konnten. Am Abend drohte dann auch noch die Chance auf die Teilhabe an der Macht zu verkümmern. Aber auch der Einstieg in eine Große Koalition geriete mit dieser Merkel komplizierter.

SPD-Wahlparty zur Bundestagswahl 2021: Jubel im Willy-Brandt-Haus
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Jubel im Willy-Brandt Haus

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Foto: dpa/Britta Pedersen

Umso spannender dürften die nächsten Stunden in der SPD-Zentrale werden, in denen üblicherweise Schuld und Posten verteilt werden. Insbesondere Parteichef Sigmar Gabriel könnte Probleme bekommen. Der Applaus auf der Wahlparty fiel für ihn nicht gerade überschwänglich aus. Etwa bekümmert blickt er drein, als er einräumt, dass mit diesem Ergebnis wahrlich niemand zufrieden sein kann.

Sie hatten sie sich nach dem guten Schlussspurt, über vier Millionen Hausbesuchen und vollen Plätzen ernsthaft mehr erhofft. Zugegeben. Die SPD hat zugelegt. Aber Ausgangspunkt war das historische 23-Prozent-Desaster von 2009. Für mehr als drei dürre Punkte hat es nicht gereicht. Aber der Abstand zur Union ist noch größer geworden.

"Du bist ein Pfundskerl"

Als Steinbrück und Gabriel um kurz vor sieben Uhr die Bühne betreten, gibt es kräftigen, aber nicht gerade freudigen Applaus. Dazu ist das Ergebnis allen Beteiligten dann doch zu sehr in die Knochen gefahren. Dass er für Rot-Grün nicht reichen würde — kein Thema. Doch wenn es für die FDP nicht reichen würde, galt zumindest die Große Koalition als zwar ungeliebter, aber dafür sicherer Rückzugshafen.

Umso länger sind am Sonntagabend die Gesichter. Sie hatten sich mehr erhofft, vor allem in den letzten vier Wochen vor der Wahl lief die Maschine rund. Mit 26 Prozent, dem immer noch zweitschlechtesten Ergebnis der Parteigeschichte, fällt es nun aber selbst ausgebufften Polit-Profis wie Sigmar Gabriel schwer, sich irgendwie starkzureden.

Ein süßsaures Ergebnis

Er bedankt sich ausführlich anständig bei den Wahlhelfern und räumt ein, man habe sich mehr erwartet, "keine Frage". Der Wahlkampfmodus hat ausgedient. Aus mehreren Sätzen ist auch so etwas wie Kompromissbereitschaft herauszuhören, was man durchaus auch als atmosphärische Voraussetzung für Koalitionsverhandlungen verstehen kann. Man sei ein fairer Wettbewerber, sagt Gabriel. "Du bist ein Pfundskerl", ruft er seinem Spitzenmann Steinbrück zu. Er habe einen "fantastischen Wahlkampf" gemacht. Aber glücklich ist keiner.

Für die SPD ist das Ergebnis "süßsauer", so beschreibt es etwa Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Rot-Grün ist klar verfehlt worden - aber das andere Ziel, Schwarz-Gelb zu verhindern, wenigstens dies könnte am Ende geschafft werden. Aber der Preis wäre womöglich ein horrender.

Denn selbst Plan B für den Wahlausgang droht am Sonntagabend wegzufallen. Zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale kommt die Union den Hochrechnungen zufolge sogar auf eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Die Sozialdemokraten schmieren zeitgleich weiter ab. Waren es anfangs noch drei, sind es jetzt nur noch zweieinhalb Prozentpunkte an Zugewinn.

Ein Tor zum Abgrund

Für die SPD öffnet sich damit das Tor zum Abgrund. Viele Spitzenleute hatten sich schon mit der Großen Koalition arrangiert. Sie finden sich nun in einer völlig paradoxen Lage wieder. Denn wer für die SPD noch auf eine Regierungsbeteiligung hofft, muss der AfD die Daumen drücken. Die Eurokritiker sind am Wahlabend noch am ehesten in der Lage die absolute Mehrheit der Union zu knacken, indem sie den Sprung ins Parlament schaffen. So aber hieße es nichts weiter als weitere vier Jahre Opposition.

Dabei hatten in den vergangenen zwei Wochen zusehends Äußerungen aus der SPD die Runde gemacht, die man als Wegbereiter für Schwarz-Rot verstehen konnte. Gabriel gab sich in der Berliner Runde bemerkenswert verständnisvoll, Steinbrück ließ verlauten, dass er bei Koalitionsverhandlungen in führender Position mit dabei sein werde. Dass damit Rot-Grün nicht gemeint sein konnte, erschloss sich bei einem schnellen Blick auf die Umfragen.

Nur noch als Juniorpartner

Sogar noch an diesem Abend weist er darauf hin, dass er der SPD sehr viel schulde. "Ich werde immer bereit sein, für diese SPD Verantwortung zu übernehmen", lässt der Spitzenkandidat verlauten. Woraus man auch heraushören kann, dass er vielleicht doch noch bereit ist, eine tragende Rolle zu spielen, wenn denn die Partei das einfordert. Zwar hat er eine Position im Kabinett ausgeschlossen, aber die Zweifel an der Realitätstauglichkeit dieser Aussage waren zuletzt gewachsen.

Ob es nun dazu überhaupt kommt, bleibt am Sonntagabend mehr als fraglich. Aber selbst wenn, wäre es für viele ein Horror. Die Kräfteverhältnisse versprechen keine Verhandlungen auf Augenhöhe mehr so wie bei der letzten Auflage 2005. Stattdessen haben die Skeptiker vor Augen, was Merkel bisher aus ihren Koalitionspartnern gemacht hat. Das Schicksal der FDP ist ihnen ein Menetekel.

Einigen dreht das den Magen um

Die Bereitschaft der Basis, in eine Große Koalition einzusteigen, war ohnehin nicht sonderlich ausgeprägt. Die Vorstellung auf weitere Jahre mit Merkel drehte vielen eher den Magen um. Nie wieder wollten sie doch eine solche Schmach riskieren, wie sie sie bei der Wahl 2009 (23 Prozent) erleben mussten.

Die Kurzform der Legende: Die SPD war Leistungsträger in der Regierung, die Lorbeeren heimste jedoch ausschließlich Merkel ein. Nur mit einem brachialen Gewaltakt haben es Sigmar Gabriel und Andrea Nahles hinbekommen, die Kämpfer an der Basis wieder aufzurichten, die SPD wiederzubeleben.

Die Devise heißt: Abwarten

Sich nun mit einer derart starken CDU zu arrangieren, dürfte den Genossen nun umso schwerer fallen. Daher heißt es am Wahlabend übereinstimmend erst einmal: Abwarten, bis wir wissen, woran wir sind. Weder Steinbrück will etwas von Spekulationen über Regierungsbildungen wissen, noch Nahles, noch sonst wer. Alle wissen: Erst mit einem klaren Ergebnis werden sich die drängenden Fragen klären lassen.

Zum Beispiel, ob Sigmar Gabriel Vorsitzender bleibt. Auch ihm wurde ein gewisses Interesse am Zustandekommen einer Großen Koalition nachgesagt. Sie könnte ihm ermöglichen, als Vizekanzler und Chef eines einflussreichen Ministeriums wieder Tritt zu fassen. Seit dem Fehlstart in den Wahlkampf und mehreren internen Querelen mit Steinbrück war er angeschlagen. Zeitweise geisterten gar Putschgerüchte durch die Medien.

Die Opposition wäre nicht ohne Reiz

Das Wahlergebnis vom Sonntag, das zweitschlechteste in der Geschichte der SPD, wird seine Stellung in der Partei vermutlich nicht eben stärken. Vor allem bei den Landesfürsten der SPD war der Unmut zuletzt gewachsen und hatte sich weniger gegen Steinbrück als gegen Gabriel gerichtet. Ein Parteikonvent am Freitag soll nun zeigen, wohin die Reise gehen könnte, am Montag tagt der Vorstand.

Die Perspektiven der SPD sind nach dieser Wahl jedenfalls nicht eben vielversprechender geworden. Entweder in einem Comeback mit Bauchschmerzen als Juniorpartner zurück an Merkels Busen. Oder als größte Oppositionspartei im Bundestag und mit einer Mehrheit im Bundesrat einer Union mit absoluter Mehrheit die Hölle heiß machen. Für SPD-Strategen dürfte das auf lange Sicht nicht ohne Reiz sein. Denn erstmals müsste Merkel ganz allein ihre Politik verantworten.

(pst)
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