Bundestagswahlprogramm 2021 Das wollen die Grünen nach den Wahlen durchsetzen

Dossier | Berlin · Schneller umgesetzter Klimaschutz ist das zentrale Anliegen im Grünen-Wahlprogramm. Im Gegenzug setzt die Öko-Partei auf mehr Umverteilung und sozialen Ausgleich. Die Leitidee: Nicht nur die heutigen Generationen, auch die künftigen Generationen sollen ihr Leben noch frei gestalten können. Das gehe nur mit mehr Klimaschutz.

 Grünen-Parteichefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock auf dem Parteitag.

Grünen-Parteichefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock auf dem Parteitag.

Foto: AFP/MICHAEL SOHN

„Deutschland. Alles ist drin“ ist das Wahlprogramm der Grünen überschrieben, das die Partei am 13. Juni auf einem digitalen Parteitag beschlossen haben. Bei der Bundestagswahl am 26. September wollen die Grünen bürgerliche Wähler nicht verschrecken, sondern möglichst breite Schichten ansprechen. Eine Übersicht über die wichtigsten Vorhaben der Grünen:

Klimaschutz Die Grünen wollen die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad begrenzen und planen ein Klimaschutz-Sofortprogramm, wenn sie in die Regierung kommen. Mit jährlichen Investitionen von 50 Milliarden Euro in die sozial-ökologische Transformation sollen Arbeitsplätze gesichert werden. Der Wirtschaft bieten sie einen „Klimapakt“ für den Umbau hin zur klimaneutralen Industrieproduktion an. Den CO2-Preis im Verkehr und beim Heizen wollen sie bereits im Jahr 2023 auf 60 Euro pro Tonne erhöhen, seit Anfang 2021 liegt er bei 25 Euro. Union und SPD haben bisher einen Anstieg des CO2-Preises auf 55 Euro pro Tonne ab 2025 festgelegt, danach soll er in einem Korridor zwischen 55 und 65 Euro frei schwanken. Im Gegenzug für den höheren CO2-Preis wollen die Grünen ein „Energiegeld“ von 75 Euro pro Kopf einführen. Es soll aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung finanziert werden. Wer viel CO2 im Verkehr oder beim Heizen produziert, wird durch dieses Konzept tendenziell belastet, wer weniger produziert, entlastet.

Verkehr Nach dem ehrgeizigeren Plan der Grünen für den CO2-Preis läge der Benzinpreis bereits 2023 um 16 Cent höher als 2020. Diese Höhe würde er nach den bisherigen Koalitionsbeschlüssen zum CO2-Preis erst 2025 oder 2026 erreichen, aber auch Union und SPD wollen die Preise für fossile Kraftstoffe in Zukunft deutlich erhöhen. Die Grünen wollen zudem Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2030 verbieten. Für den Umstieg auf E-Autos sollen Geringverdiener mit Jahreseinkommen bis 30.000 einen Investitionszuschuss von bis zu 9000 Euro erhalten. Auf Autobahnen soll ein Tempolimit von 130 eingeführt werden. Dies habe allerdings weniger klimapolitische als andere ökologische und gesundheitspolitische Gründe.

Energie Bis 2030 sollen 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen, fordern die Grünen. Der Kohleausstieg soll beschleunigt werden, indem die 20 dreckigsten Kraftwerke sofort vom Netz genommen werden sollen.

Arbeit und Soziales In einem ersten Schritt wollen die Grünen die Hartz-IV-Regelsätze um mindestens 50 Euro anheben. Mittelfristig solle Hartz IV „überwunden“ und durch eine sogenannte Garantiesicherung abgelöst werden, die ohne „bürokratische Sanktionen“ gewährt werden solle. Außerdem beschlossen die Grünen die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Die derzeitige Lohnuntergrenze liegt bei 9,50 Euro. Nach bisheriger Rechtslage soll der Mindestlohn zum 1. Juli 2022 bei brutto 10,45 Euro liegen. Die Grünen wollen zudem das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent langfristig stabilisieren.

Steuern Um kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, soll der Grundfreibetrag stark erhöht werden. Die Grünen wollen zudem den Spitzensteuersatz für Besserverdienende von derzeit 42 auf 45 Prozent ab Jahreseinkommen von 100.000 Euro (Alleinstehende) und 200.000 Euro für Verheiratete anheben. Für Einkommen ab 250.000 Euro (Alleinstehende) und 500.000 Euro soll er auf 48 Prozent steigen. Die derzeitige Reichensteuer liegt bei 45 Prozent und greift ab etwa 265.000 Euro. Ein Antrag für einen deutlich höheren Spitzensteuersatz von 53 Prozent wurde abgelehnt. Für Vermögen oberhalb von zwei Millionen Euro pro Person soll eine Vermögensteuer von jährlich einem Prozent gelten. Die Abgeltungsteuer von 25 Prozent soll abgeschafft und durch die individuelle Einkommensteuer auf Kapitalerträge ersetzt werden. Steuererleichterungen schließen die Grünen im Bundestagswahlkampf unter dem Strich aus – der Staat soll nicht weniger Steuern einnehmen. Mehreinnahmen in Milliardenhöhe erhoffen sich die Grünen durch konsequente Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche.

Haushalt Die Schuldenbremse im Grundgesetz wollen die Grünen lockern, indem Netto-Investitionen des Bundes künftig herausgerechnet werden sollen. Die Schuldenbremse sieht vor, dass der Bund in normalen Zeiten nur in ganz geringem Maße neue Kredite aufnehmen darf, nämlich maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. Jährlich sollen innerhalb von zehn Jahren 50 Milliarden Euro zusätzlich in Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung und Klimaschutz investiert werden, insgesamt also 500 Milliarden Euro zusätzlich. Derzeit investiert der Bund jedes Jahr etwas über 40 Milliarden Euro. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung soll Planungen und Investitionen beschleunigen: „Ziel ist, alle Planungszeiten zu halbieren“, so die Grünen. Klimaschädliche Subventionen etwa für Diesel oder schwere Dienstwagen sollen reduziert werden. „In einem ersten Schritt können wir so über 15 Milliarden Euro jährlich einnehmen“, heißt es im Grünen-Programm.

Familien Die Grünen planen ein Familienbudget von zwölf Milliarden Euro jährlich. Ein Teil davon soll in eine neue Kindergrundsicherung fließen, die Hartz-IV-Kinder aus der Armut herausholen soll. In der Kindergrundsicherung werden Kindergeld und Steuerfreibeträge für Kinder zusammengefasst. „Damit beenden wir die Ungerechtigkeit, dass sich die staatliche Unterstützung für Kinder am Einkommen ihrer Eltern bemisst, und wir entlasten Familien mit mittlerem Einkommen“, heißt es im Programm. Jeder Elternteil soll beim Elterngeld Anspruch auf acht Monate Unterstützung haben. Weitere acht Monate sollen die Eltern frei untereinander aufteilen können.

Wohnen Innerhalb von zehn Jahren wollen die Grünen eine Million bezahlbare Wohnungen bauen und dauerhaft gemeinnützig binden. Der soziale Wohnungsbau soll mit mindestens zwei Milliarden Euro vom Bund gefördert werden. Die Bundesmittel für Wohngeld sollen verdoppelt werden. Ein Bundesgesetz soll Mietpreisbremsen der Länder ermöglichen, die vom Verfassungsgericht nicht mehr gekippt werden können.

Gesundheit Gesetzliche und private Krankenversicherung sollen zu einer Bürgerversicherung zusammengefasst werden. Diese soll die Zwei-Klassen-Gesellschaft beenden: Gesetzlich Versicherte sollen im Wartezimmer nicht mehr länger sitzen müssen. Patienten sollen in den Entscheidungsgremien mehr Mitspracherechte erhalten.

Gesellschaft und Gleichberechtigung Die Grünen setzen sich für eine Aufhebung des Transsexuellengesetzes ein. Dies sieht unter anderem vor, dass jemand, der sich einem anderen als seinem biologischen Geschlecht zugehörig fühlt, seit mindestens drei Jahren entsprechend lebt. Um mehr Gleichberechtigung in Führungsgremien von Unternehmen zu schaffen, wollen die Grünen eine 50 Prozent-Frauenquote für die 3500 börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen einführen. Mit einem „Gender-Check“ wollen die Grünen künftig prüfen, ob eine Maßnahme oder ein Gesetz die Gleichberechtigung der Geschlechter voranbringt, und dort, wo es ihr entgegensteht, dementsprechend eingreifen. Das häufig kritisierte „Gender-Sternchen“ findet sich im neuen Wahlprogramm nicht explizit. Die Grünen bemühen sich bereits seit 2015 um eine gendergerechte Sprache.

Innere Sicherheit Trotz rechtsextremer Chats und anderer Skandale in jüngster Zeit stellen sich die Grünen hinter die Polizei. „Deutschland ist ein sicheres Land. Das liegt auch an einer gut arbeitenden Polizei“, heißt es in ihrem Programm. Die Grünen wollen die Verfügbarkeit von tödlichen Schusswaffen „schrittweise beenden“. Ausgenommen davon seien Jäger, die ihre Aufgaben ohne diese Waffen nicht erfüllen könnten. Im Bereich des Schießsports wollen sich die Grünen im Dialog mit den Sportschützen „für die Umstellung auf nichttödliche Schusswaffen“ einsetzen.

Außenpolitik und Verteidigung Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock betont, dass Menschenrechte in der Außenpolitik grundsätzlich mehr Gewicht haben sollen als wirtschaftliche Interessen. Die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 lehnen die Grünen auch aus Klimaschutzgründen ab. Von China verlangt die Partei „ein Ende seiner eklatanten Menschenrechtsverletzungen“. Die Grünen wollen die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr nicht grundsätzlich verbieten. Allerdings muss vor einer solchen Entscheidung aus ihrer Sicht erst „klar gemacht werden, für welche Einsatzszenarien der Bundeswehr die bewaffneten Drohnen überhaupt eingesetzt werden sollen“. Die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland war kein großes Thema mehr auf dem jüngsten Parteitag: Es blieb lediglich beim Appell, an den EU-Außengrenzen legale Zugangswege zu ermöglichen.

Koalitionsaussage Eine Koalitionsaussage trafen die Grünen auf ihrem Parteitag im Juni nicht, auch wenn die SPD als Lieblingspartner gilt. Die Grünen regieren in elf Bundesländern in den unterschiedlichsten Koalitionen – mal mit der CDU, mal mit CDU und FDP, aber auch mit SPD und FDP oder mit der Linkspartei. Ein Linksbündnis aus Grünen, SPD und Linkspartei schließen sie ebenso wenig aus wie Schwarz-Grün, eine Jamaika-Koalition oder eine Ampelkoalition mit SPD und FDP.

Was haben die anderen Parteien nach der Bundestagswahl 2021 vor?

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