Wahl-Debakel Die FDP erlebt ihre bitterste Stunde

Berlin · Schon die erste Prognose traf wohl ins Schwarze. Alles spricht nach mehreren Hochrechnungen dafür, dass die FDP erstmals in ihrer Geschichte nicht den Sprung in den Bundestag schafft. Für Parteichef Philipp Rösler und Spitzenmann Rainer Brüderle ist das der politische Untergang. Noch am Abend deutet Rösler seinen Rücktritt an. Die Alternative für Deutschland spielt beim Debakel der Partei eine zentrale Rolle. Eine Analyse.

Bundestagswahl 2021: Wahlparty der FDP
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Bundestagswahl 2021: So feiert die FDP

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Als Moderator Jörg Schönenborn um Punkt 18 Uhr die erste Prognose für die Bundestagswahl ankündigte, hatte er dafür nur vier Worte: "Halten Sie sich fest!" Zwar ist die Union mit Abstand stärkste Kraft geworden, doch in welcher Konstellation sie künftig regieren wird, ist unklar. Das liegt vor allem an zwei Parteien: der FDP und der Alternative für Deutschland (AfD). Zwar liegt noch kein Endergebis vor. Doch fest steht schon jetzt, dass ihr Abschneiden das Kräfteverhältnis im Deutschen Bundestag gerade mächtig durcheinanderwirbelt.

Vor allem für die FDP ist es die bitterste Stunde in der Geschichte ihrer Partei. Bislang in allen deutschen Bundestagen vertreten, kommt auch trotz des verzweifelten Hoffens keine neue Hochrechnung, die ihr noch den Sprung über die fünf Prozent in Aussicht stellt. Die alptraumhafte Vorstellung, dass sie tatsächlich aus dem Bundestag rausfliegt, verdichtet sich im Laufe des Abends zur Realität.

Angedeutet hat sich dies in den vergangenen Monaten mehrfach. Die Liberalen sind bereits in mehreren Landtagen nicht mehr vertreten. Zuletzt flogen sie vor einer Woche bei der Landtagswahl in Bayern aus dem Parlament. Die Umfragen sahen sie bundesweit ebenfalls unter der Fünf Prozent-Marke. Dass sie bei der Bundestagswahl tatsächlich darunter liegen könnte, hat dennoch viele überrascht.

Im eigenen Wahlkreis holt Rösler 2,6 Prozent

4,7 Prozent heißt es bei der ersten Prognose der ARD, 4,7 auch bei der um 22.47 Uhr. Am frühen Abend übte sich Spitzenkandidat Rainer Brüderle noch in Zweck-Optimismus: "Wir hoffen, dass wir den Sprung noch schaffen", so Brüderle vor den Anhängern seiner Partei. "Bei 4,7 Prozent sind auch fünf drin", fügte er hinzu.

Parteichef Philipp Rösler zeigt mehr Mut zur Nüchternheit. "Es ist die bitterste, die traurigste Stunde in der Geschichte dieser freiheitlichen demokratischen Partei", so sein Statement. Er weiß, dass das auf ihn zurückfällt. Es sei ihm nicht gelungen, einen Aufbruch zu erzeugen. Und werde deshalb "persönlich Verantwortung übernehmen". Das lässt wenig Spielraum für Interpretationen. Rösler wird zurücktreten. Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: In seinem eigenen Wahlkreis in Hannover hat er gerade mal 2,6 Prozent der Erststimmen geholt.

Fokussierung auf das Steuerthema

Auch Brüderle gibt zu, dass es das schlechteste Ergebnis war, "was wir bisher erreicht haben". Zu enttäuscht scheinen viele Wähler zu sein von vier Jahren Schwarz-Gelb. Denn das einstige Wunschbündnis hatte von Anfang an seine Schwierigkeiten. Personelle Streitereien und die Ohnmacht der Liberalen, sich gegen die Macht des großen Koalitionspartners durchsetzen zu können — etwa in Bezug auf die Steuerreform —, markierten den Anfang vom Niedergang.

Heiko Giebler, Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und im Forschungsprojekt "Deutsche Wahlstudie", sieht eines der großen Probleme der FDP darin, dass die Kanzlerin in den Umfragen durchweg positiv bewertet wurde, während die Wähler aber völlig unzufrieden gewesen seien mit der Leistung der FDP in der Regierung. Die Partei, so sagte Giebler unserer Redaktion, habe sich wohl doch zu stark auf Themen wie Steuersenkungen fokussiert statt auf sozialliberales Denken zu setzen wie etwa noch in den 70er Jahren.

Kontinuierlich ging es bergab

Woche für Woche ging es entsprechend in den Umfragen bergab, mitunter lagen die Liberalen nur noch bei drei Prozent. Kurz vor der Wahl schienen sie sich doch noch stabilisiert zu haben. Doch dann kam das Aus in Bayern und damit auch das Zittern für die Bundespartei. Vergeblich hofften die Liberalen auf Schützenhilfe der Union und eine entsprechende Zweitstimmenkampagne. CDU/CSU ließen die FDP auflaufen — und überließen sie damit ihrem Schicksal.

Verloren hat die FDP auch viele Wähler an die Partei, die den Wahlabend ebenfalls spannend machte: Die Polit-Neulinge und Euro-Skeptiker von der "Alternative für Deutschland". Nach Berechnungen von Infratest Dimap für die ARD haben die Liberalen rund 440.000 Wähler an die AfD abgeben müssen — mehr als jede andere Partei. "Wir sind die Erben der FDP", jubelte prompt deren Sprecher. Bisher gingen Experten davon aus, dass insbesondere die Union Wähler an die Partei verlieren würde. Ein Irrtum: Bei ihr waren es nach der ersten Berechnung lediglich 300.000.

AfD: "Typisch populistische Partei"

Aber auch von den Linken konnte die AfD so manche Wählerstimme abwerben — laut ARD rund 360.000. Experte Giebler nennt die Alternative denn auch eine "typisch populistische Partei", die ihre Stimmen eben nicht nur aus dem konservativen Lager hole.

Der Erfolg der Partei — die zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl antrat und schon an der Fünf-Prozent-Hürde kratzt — sei, so Giebler, ein Zeichen dafür, dass die Bevölkerung nicht hundertprozentig zufrieden damit ist, wie der Kurs in Sachen Euro-Krise kommuniziert wird. "Egal, ob die AfD nun in den Bundestag einzieht oder nicht, die anderen Parteien werden sich künftig mit dem Thema auseinandersetzen müssen", sagt Giebler.

Doch die AfD ist nicht nur in Bezug auf den Umgang mit der Euro-Krise und der öffentlichen Kommunikation ein entscheidender Faktor an diesem Abend. Denn die Partei, die in den ersten Prognosen und Hochrechnungen bei 4,9 Prozent lag, war zwischenzeitlich auch der Überraschungsfaktor an diesem Abend. Denn würde sie es in allerletzter Minute doch in den Bundestag schaffen, liefe alles auf eine Große Koalition hinaus. Ohne sie könnte Merkels Union vielleicht sogar noch die absolute Mehrheit erringen. Im Moment ist dies zwar wieder unwahrscheinlicher. Doch eines hat der Wahlabend schon jetzt gezeigt: Abgerechnet wird am Schluss.

(das)