Umfrage vor Bundestagswahl SPD eilt der Union im Politbarometer davon

Analyse | Berlin · Erstmals seit 19 Jahren liegt die SPD in einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen vor der Union. Bei den Christdemokraten macht sich Panikstimmung breit.

 Wahlplakate von SPD, CDU und Grünen.

Wahlplakate von SPD, CDU und Grünen.

Foto: dpa/Arne Dedert

Der Höhenflug der SPD hält an. In der jüngsten Projektion des Politbarometers der Forschungsgruppe Wahlen kommen die Sozialdemokraten unter Führung ihres Spitzenkandidaten Olaf Scholz auf 25 Prozent und legen erneut um drei Prozentpunkte zu. Die Union bleibt unverändert bei 22 Prozent, dagegen verlieren die Grünen drei Punkte und schaffen nur noch 17 Prozent. Leichte Gewinne verzeichnen die FDP (elf Prozent, plus ein Punkt) und die Linke (sieben Prozent, plus eins), während die AfD mit elf Prozent gegenüber der vergangenen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen Ende August unverändert ist. In die Projektion fließen langfristige Loyalitäten zu Parteien und stabiles Wählerverhalten sowie mögliche taktische Überlegungen ein. Sie entspricht der sogenannten Sonntagsfrage (was würde passieren, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre).

Nach diesen Zahlen wäre mit der bisherigen großen Koalition sogar eine Zweier-Bündnis mehrheitsfähig. Auch für die Dreier-Kombinationen Rot-Grün-Rot, Ampel (SPD, Grüne, FDP), Jamaika (Union, Grüne, FDP) und Deutschland (SPD, Union, FDP) würde es für eine Mehrheit im Bundestag wohl reichen. Das bedeutet nach jetzigem Stand langwierige Koalitionsverhandlungen nach der Wahl.

Scholz kann im direkten Vergleich noch zulegen

Im direkten Vergleich konnte SPD-Kanzlerkandidat Scholz gegenüber dem Unionsbewerber Armin Laschet erneut zulegen. Er führt jetzt mit 53 Prozent (plus vier) vor dem Christdemokraten (18, plus eins) und der Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock (14, minus zwei). Während die SPD-Anhänger nahezu geschlossen hinter Scholz stehen (92 Prozent), fällt die Unterstützung der CDU/CSU-Anhänger für Laschet (53 Prozent) und der Grünen-Anhänger für Baerbock (66 Prozent) verhaltener aus.

In der Frage, wer sich als Kanzler oder Kanzlerin eignet, steigt wie schon in den vergangenen Wochen das Vertrauen in Olaf Scholz. Die beiden anderen Kandidaten stagnieren dagegen auf geringem Niveau.70 Prozent sehen im SPD-Kanzlerkandidaten die geeignete Person für das wichtigste politische Amt in Deutschland, Anfang August waren es noch 59, Ende August noch 65 Prozent. Lediglich 25 Prozent sprechen Scholz die Befähigung dafür ab. Armin Laschet kann Kanzler, sagen nur 25 Prozent, 70 Prozent halten den Spitzenkandidaten der Union nicht für geeignet. Bei Annalena Baerbock sind 23 Prozent der Ansicht, dass sie das Zeug zur Kanzlerin hat. 71 Prozent sprechen ihr das ab.

Bei den Popularitätswerten der zehn wichtigsten Politikerinnen und Politiker belegen die beiden Kandidaten von Union und Grünen ebenfalls die hinteren Plätze neun (Baerbock) und zehn (Laschet). Auf einer Skala von -5 bis +5 kommt die Grünen-Chefin auf -0,5 (unverändert), und der CDU-Vorsitzende erreicht sogar nur -0,8 (unverändert). Der SPD-Bewerber Scholz landet mit 1,7 (Umfrage Ende August: 1,5) auf dem zweiten Rang hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel (2,2, Ende August: 2,3). Die übrigen Plätze belegen der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit 1,3 (1,2) und der Grünen-Chef Robert Habeck mit 1,0 (1,0). Danach folgen der FDP-Vorsitzende Christian Lindner mit 0,0 (0,0), Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit 0,0 (minus 0,1), Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit 0,0 (minus 0,2) und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) mit minus 0,1 (minus 0,2).

Der Wahlausgang gilt als völlig offen

Den Ausgang der Wahlen halten die meisten Befragten noch für völlig offen. Lediglich für zehn Prozent ist klar, wer die Bundestagswahl gewinnt. Dagegen sagen 89 Prozent, dass sie den Sieger noch nicht kennen. Zum gleichen Zeitpunkt vor der Bundestagswahl 2017 meinten dagegen 45 Prozent, es sei schon sicher, wer die Wahl gewinnt. Gleichwohl rechnen so viele wie nie zuvor mit einem Sieg des SPD-Kandidaten Scholz.  Bei der aktuellen Umfrage sind es 42 Prozent, Anfang August waren es noch zehn Prozent. Damit ist erstmals eine relative Mehrheit der Meinung, dass die SPD zusammen mit Olaf Scholz die Wahl gewinnen wird. Deutlich gesunken sind nach Meinung der Befragten die Siegchancen für die CDU/CSU mit Laschet. Daran glauben gegenwärtig noch 26 Prozent, vor drei Wochen waren es noch 50 Prozent und bei der jüngsten Umfrage vor einer Woche immerhin 35 Prozent. Nur zwei Prozent und damit etwas weniger Befragte als zuletzt (Ende August: fünf Prozent) kalkulieren einen Sieg der Grünen mit Baerbock ein. Während in den Reihen der Unionsanhängerschaft 48 Prozent von einem christdemokratischen Wahlsieg ausgehen, sind zwei Drittel der SPD-Anhänger und eine jeweilige Mehrheit bei AfD, FDP, Linken und Grünen-Wählern der Ansicht, der Wahlsieger heißt SPD. Lediglich jeder oder jede Zehnte in der Anhängerschaft der Grünen sieht seine Partei als Gewinner der Wahl. Inzwischen befürworten auch 41 Prozent der Wähler, dass die SPD an der Spitze der künftigen Bundesregierung steht. Nur 36 Prozent wollen eine unionsgeführte Regierung und 15 Prozent sprechen sich für die Grünen als Führungspartei aus.

Über die künftigen Koalitionen besteht bei den meisten Befragten ein eindeutiger Trend. Fast zwei Drittel (63 Prozent) und Mehrheiten in allen Parteianhängergruppen gehen davon aus, dass die SPD – bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen – nach der Bundestagswahl versuchen würde, eine Regierung mit Grünen und Linken zu bilden. 30 Prozent bezweifeln das. Allerdings fänden nur ein Viertel der Befragten eine solche Konstellation gut. 57 Prozent lehnen sie ab. Von den SPD-Anhängern sprechen sich immerhin 50 Prozent gegen Rot-Grün-Rot aus, nur ein Drittel würde sie begrüßen. Dass die SPD vor der Wahl eine Regierung mit Beteiligung der Linken ausschließen soll, meinen aber nur 36 Prozent. 57 Prozent sind der Ansicht, die SPD soll sich in dieser Frage nicht festlegen, darunter 63 Prozent der SPD-Anhänger.

Umschwung bei den wichtigsten Themen

Bei den Themen sind Verteilungsfragen wieder in den Vordergrund gerückt. Als sehr wichtig für die eigene Wahlentscheidung bezeichnen 51 Prozent das Thema soziale Gerechtigkeit, 39 Prozent den Klimaschutz, 23 Prozent die Corona-Pandemie und 21 Prozent das Thema Flüchtlinge und Asyl. Die Kompetenzen der Parteien bei diesen vier vorgegebenen Themen sind ungleich verteilt. Für das Thema soziale Gerechtigkeit erreicht die SPD mit 43 Prozent den höchsten Kompetenzwert, die Union hat hier zwölf Prozent auf ihrer Seite. Beim Klimaschutz liegen die Grünen (41 Prozent) klar vorne, 15 Prozent setzen hier auf die Union und zwölf Prozent auf die SPD. Die meiste Kompetenz in Sachen Corona hat für 36 Prozent die Union und für zwölf Prozent die SPD. Beim Thema Flüchtlinge und Asyl macht für 29 Prozent am ehesten die CDU/CSU eine Politik in ihrem Sinn, für 15 Prozent die SPD und für zehn Prozent die AfD.

Vorrang für die 2G-Regel

In Hamburg gibt es jetzt die sogenannte 2G-Regel: Hier dürfen Betreiber von Restaurants, Kinos, Hotels sowie private Veranstalter entscheiden, ob sie nur noch Geimpfte und Genesene einlassen. Personen, die lediglich einen Coronatest haben, erhalten dann keinen Zutritt mehr. 56 Prozent der Befragten fänden es gut, wenn diese 2G-Regel überall in Deutschland gelten würde, 41 Prozent, darunter zwei Drittel der AfD-Anhänger fänden das nicht gut.

Afghanistan: Rettung von Ortskräften

Deutschland will auch nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan Ortskräfte, also Afghaninnen und Afghanen, die aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und anderen deutschen Einrichtungen durch die Taliban gefährdet sind, aus dem Land holen. Allerdings glauben 61 Prozent und Mehrheiten in allen Parteianhängerschaften nicht, dass es Deutschland in nächster Zeit noch gelingen wird, Ortskräfte in größerer Zahl aus dem Land zu holen, 30 Prozent sind der Meinung, dass dies gelingen wird.

Unruhe in der Union

Nach den schlechten Werten in Umfragen macht sich Panik in den Reihen der Union breit. Viele Unionspolitiker drängen ihren Spitzenkandidaten Laschet, stärker die Inhalte der Christdemokraten wie Wirtschaftskompetenz, innere Sicherheit und Stabilität nach vorne zu schieben. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident will heute ein Führungsteam vorstellen, das die Kompetenz der Union in diesen Fragen unterstreichen soll.

Vom 31. August bis 02. September 2021 hat die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen 1301 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte in Deutschland telefonisch befragt; dabei werden Festnetz- und Mobilfunknummern berücksichtigt.

Der ursprüngliche Artikel wurde um weitere Umfrageergebnisse zur Corona-Pandemie und dem Einsatz für Ortskräfte in Afghanistan erweitert.

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