Nach der Bundestagswahl Warum (noch) niemand Laschet zum Rückzug rät

Meinung · Der Kanzlerkandidat der Union ein Egomane? Nein, das trifft es nicht. Er wird noch gebraucht: von den einen als Sündenbock, von den anderen als Karte im Koalitionspoker. Ein Blick in die „Todeszone der Politik“.

Noch vor wenigen Monaten galt als sicher, dass der nächste Bundeskanzler Armin Laschet heißt. Die Logik war simpel: Die Union führt in den Umfragen mit deutlichem Vorsprung und verfügt über den Amtsbonus von Angela Merkel, dann kann es auch ein eigentlich unpopulärer Kandidat schaffen. Es war eine Wette des NRW-Ministerpräsidenten, von der er die gesamte Führungsriege der CDU gegen alle Widerstände überzeugte. Aber sie ging nicht auf, die SPD gewann die Bundestagswahl zum ersten Mal seit knapp zwei Jahrzehnten, wenn auch nur mit 1,6 Prozentpunkten Vorsprung. Und die Union fuhr mit ihm ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein: ein Viertel weniger als beim vorherigen Negativ-Rekord von 2017.

Trotzdem erhebt der Verlierer einen Regierungsanspruch – oder macht vielmehr ein Angebot, wie er es jetzt ausdrückt – und spricht von einer „Zukunftskoalition“, die er bilden wolle. Das klingt absurd; eine Selbstdemontage auf offener Bühne, zum Fremdschämen. „Was der CDU-Vorsitzende jetzt braucht, ist ein Christdemokrat, wie es in der SPD damals Franz Müntefering gegenüber Schröder war: jemand mit Autorität, der Laschet klarmacht, dass es vorbei ist“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“.

Wer in Laschets Verhalten ein Charakterdefizit erkennt, springt aber zu kurz. Ja, natürlich möchte er diesen Posten um jeden Preis, und so lange es eine auch nur geringe Chance gibt, dass es klappen könnte, hält er daran fest. Die Lehre seiner politischen Laufbahn ist, dass man stehenbleiben muss, wenn man etwas werden will. Und sicher glaubt er auch fest daran, dass Jamaika tatsächlich eine „Zukunftskoalition“ sein könnte, weil er die CDU als moderner empfindet als die SPD.

Ein Christdemokrat wie damals Franz Müntefering bei Gerhard Schröder: Warum gibt es den nicht? Die Lage ist zum einen ganz anders: Die SPD ging 2005 in die erste große Koalition von Angela Merkel, die Schröder kategorisch ausgeschlossen hatte. Sie eröffnete sich also eine neue Machtoption und konnte ihn nicht mehr brauchen. Das ist hier gänzlich anders.

Denn in der Union – in der CDU ebenso wie in der CSU –  gibt es nur wenige, die von einem Rückzug Laschets jetzt profitieren würden: nämlich vor allem diejenigen, deren Zeit noch nicht gekommen ist und die heute in der zweiten oder dritten Reihe stehen. Die erste Reihe kann noch hoffen, vorerst wird auch sein enger Draht zur FDP noch gebraucht. Und wenn er das Husarenstück doch noch zustande brächte und ins Kanzleramt einzöge, könnten sie ihn feiern als denjenigen, der in auswegloser Lage durchgehalten hat. Es gäbe auch Ämter und Etats zu verteilen, in der Politikersprache Gestaltungsmöglichkeiten genannt.

Und wenn nicht? Das ist die viel wahrscheinlichere Entwicklung, und das wissen sie auch alle in CDU und CSU. Aber dann ist es allein seine Schuld. Nur er soll den Schaden davontragen, wenn es schief geht. Er allein soll den Unmut auf sich ziehen und als der schlechteste Kanzlerkandidat der Union aller Zeiten in die Geschichte eingehen, der seine Niederlage leugnete, sich querstellte und schließlich abgesetzt werden musste. Ein Rückzug mit Würde, wie er eigentlich selbstverständlich sein sollte, nützt in der Union zu wenigen und am allerwenigsten seinem Widersacher Markus Söder.

Grüne und FDP haben erst recht kein Interesse daran, dass Armin Laschet jetzt zurückzieht. Er wird gebraucht bis zur Einigung auf eine Koalition mit der SPD. Die Jamaika-Option muss auf dem Tisch bleiben, um ein besseres Verhandlungsergebnis zu erreichen. Um in einem viel zitierten Schröder-Bild zu bleiben: Die Kellner müssen beim Koch die Wahl haben, um ihre Rezepte durchzusetzen. Vorerst ist also nicht damit zu rechnen, dass die politischen Freunde Laschets in der Union und in der FDP ihm zum Rückzug raten. So kalt sind politische Freundschaften in der „Todeszone der Politik“, wie es Joschka Fischer einst ausdrückte.

Niemand wird es ihm sagen, jedenfalls noch nicht. So wird er fast zu einer tragischen Figur. Laschet müsste sich schon selbst schützen. Dabei ist es gerade nicht die Egomanie eines Gerhard Schröder („Wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen“), die ihn antreibt und die Franz Müntefering damals brechen musste, sondern eher ein uneigennütziges Verhalten. Er tut das, was er als seine Pflicht ansieht; er kämpft bis zum Schluss, auch wenn die Aussichten schlecht sind. Dabei muss er doch auch wissen, dass ein Bundeskanzler, der als Verlierer ins Amt gekommen ist und dem die Opposition Betrug vorwerfen würde, nicht bestehen kann.

Mehr Eigennutz wäre ihm zu empfehlen: Er könnte jetzt abtreten als jemand, der es versucht hat, dem aber die Krönung einer langen politischen Karriere versagt blieb, der sich Verdienste in NRW erworben hat, der für Integration und Europa steht. Er könnte sein Bundestagsmandat annehmen, sich nach und nach als Fachpolitiker profilieren und schon bald ein gern gesehener Talkgast sein. Ihm wäre zu wünschen, dass er aus eigenem Antrieb zu dieser Größe findet und seinen Rückzug einleitet. Er könnte lebend aus der Todeszone der Politik zurückkehren.

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