ARD-Sommerinterview Mission erfüllt – Annalena Baerbock fällt nicht durch

Analyse | Berlin · Annalena Baerbock hat es nicht leicht in ihrem ersten Sommerinterview für die öffentlich-rechtlichen Sender. Nur noch fünf Wochen sind es bis zur Wahl – und die Kandidatin muss den Negativtrend umdrehen, den sie maßgeblich selbst verursacht hat. Ein schwieriger Auftritt, den sie aber meistert. Nur einmal kommt sie ins Stocken.

 Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock stellt sich im ARD-Sommerinterview den Fragen von Hauptstadtstudio-Leiterin Tina Hassel.

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock stellt sich im ARD-Sommerinterview den Fragen von Hauptstadtstudio-Leiterin Tina Hassel.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Nach dem Höhenflug in den Umfragen sei für die Grünen der Sinkflug gekommen, nur noch zwölf Prozent der Wähler wollten Baerbock im Kanzleramt sehen, eröffnet Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, diese für die Grüne so wichtige Bewährungsprobe. „Wen begrüße ich hier eigentlich, wirklich noch die Kanzlerkandidatin?“, fragt Hassel.

Das ist starker Tobak. Samthandschuhe, das wird sofort klar, hat Tina Hassel für die 40-Jährige an diesem Sonntag nicht angezogen. Baerbock kontert aber ungerührt. Klar ist und bleibt sie die Kanzlerkandidatin, sagt sie. Sie wolle das Land „mit aller Power“ erneuern mit einer anderen Art von Politik, viele Menschen wollten das auch. Baerbock macht ihnen Mut und zitiert sogar Angela Merkels „Wir schaffen das“.

Doch Tina Hassel kann noch gemeiner werden. Robert Habeck, ebenfalls Vorsitzender der Grünen, stehe unter den beliebtesten Politikern auf Platz fünf, nicht Baerbock. Wie sie damit umgehe, dass sie „als zweite Wahl“ gelte, will die Journalistin wissen. Sie trete ja nicht nur als Kandidatin an, sondern auch „als Frau, als Mutter, die mitten im Leben steht, die weiß, wo der Schuh drückt“, so Baerbock, eine schwache Antwort. Dann will Hassel wissen, ob Habeck den Erstzugriff auf ein Ministerium bekommen werde, gewissermaßen als Trostpflaster dafür, dass nicht er Kanzlerkandidat geworden sei. Baerbock meistert diese Klippe recht überzeugend, indem sie deutlich macht, dass die Grünen nicht gegeneinander arbeiten wollten wie die aktuellen Ministerien etwa in Afghanistan.

Endlich angekommen auf inhaltlichen Ebenen kann Baerbock ein bisschen punkten. Sie fordert einen Untersuchungsausschuss nach der Wahl, der herausfinden soll, wer was verschlampt hat in der Afghanistan-Frage. Und eine internationale Konferenz, bei der auch Russland und China eingebunden sind, um Afghanistan irgendwie zu befrieden. Auf die Frage, ob sie Rücktritte von Außenminister Heiko Maas (SPD) oder Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fordert, antwortet Baerbock ausweichend: Jetzt gehe es nicht darum, wer welche Ministerien besetzt, sondern um die Rettung von Menschenleben. Wenn sie sich vorstelle, sie sei mit ihren beiden kleinen Töchtern in der Situation der Ortskräfte in Afghanistan, gehe ihr das sehr nahe – das wirkt authentisch und sympathisch.

Hassel hat Filmchen mit kritischen Bürgerinnen vorbereitet, die nun eingespielt werden. Özge möchte etwa wissen, warum grün-regierte Länder wie Baden-Württemberg noch sehr lange Menschen nach Afghanistan abgeschoben haben. Baerbock versucht zunächst, die Schuld dafür auf das Auswärtige Amt in Berlin zu schieben, gesteht dann aber ein: „In dem Moment wäre es (von der Landesregierung in Stuttgart, Hinweis der Redaktion) richtig gewesen, sich zu widersetzen.“

Hassel geht zur Klimapolitik über. Warum die Grünen bei diesem Thema ihr Wahlprogramm weichgespült hätten, will die Journalistin wissen. Baerbock weist das wortreich zurück und richtet sich dann direkt an die Zuschauer: Sie hätten die Wahl, ob jetzt die Weichen für mehr Klimaschutz auch wirklich gestellt würden – mit den Grünen in der Regierung. Eine Hebamme aus Brandenburg, ebenfalls im Einspieler, will von der Kandidatin wissen, wie das funktionieren solle, wenn die Grünen den Benzinpreis schneller steigen ließen, sie aber auf das Auto angewiesen sei. Mit dem von den Grünen geplanten „Energiegeld“ von 75 Euro im Jahr könne sie gerade einmal den Tank füllen. Baerbock sagt, sie sei generell für einen höheren Mindestlohn und auch höhere Hebammen-Gehälter. Im Übrigen wollten die Grünen den Umstieg auf E-Autos viel stärker subventionieren.

Nur einmal kommt die Kandidatin ins Stocken. „Was nervt an der Doppelspitze?“ lautet die Frage. Die vielen Fehler, die ihr unterlaufen sind, beim Lebenslauf, beim Buchschreiben, der nachfolgende Absturz der Umfragewerte, sie sind nicht spurlos an der Partei vorbei gegangen. Parteifreunde sind verärgert. Dann antwortet Baerbock: Es gehöre dazu, „dass man sich hin und wieder auch mal streitet“, aber es sei gut zu wissen, dass es die Doppelspitze gebe.

Bei Hassels Frage, ob die Grünen nicht eher eine Ampelkoalition mit SPD und FDP machen müssten als Jamaika mit CDU und FDP, weil sie der SPD so viel näher stünden, lässt sich Baerbock nicht in die Karten schauen: SPD-Kandidat Olaf Scholz wolle den Kohleausstieg erst 2038, das passe nicht gut zu den Grünen.

Ganz am Schluss gibt Tina Hassel ihrem Gast noch einmal einen Schuss vor den Bug: Was sie ihren Töchter sagen werde, wenn die ihr vorwerfen würden, die Chance auf mehr Klimaschutz an der Spitze der nächsten Regierung durch eigene Fehler verpasst zu haben? Baerbock antwortet auch darauf wieder eher allgemein, aber gefasst.

Was bleibt ihr auch übrig. Journalisten können kritisches Fragen auch überziehen und den Eindruck eines Gesprächs dadurch stark beeinflussen. Bei Tina Hassel war das an diesem Sonntag so.

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