Gespräche zwischen Union, FDP und Grünen Deutschland nimmt Kurs auf Jamaika

Berlin · FDP und Grüne signalisieren Bereitschaft zu Sondierungsgesprächen. Doch die CSU fordert von der CDU eine stärkere Orientierung nach rechts.

 Wird es ein schwarz-gelb-grünes Bündnis, eine sogenannte Jamaika-Koalition geben? (Symbolbild).

Wird es ein schwarz-gelb-grünes Bündnis, eine sogenannte Jamaika-Koalition geben? (Symbolbild).

Foto: dpa

Die Union ist nach massiven Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl in eine Krise geraten. Bevor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Sondierungsgespräche mit der FDP und den Grünen über eine sogenannte Jamaika-Koalition beginnt, verlangt die CSU von Merkel einen Rechtsruck der Union. So zeichnen sich Konflikte zwischen den Schwesterparteien ab, wie die zur rechtspopulistischen AfD abgewanderten Unionswähler zurückgewonnen werden sollen. Der Konflikt könnte die anstehenden Gespräche mit FDP und Grünen erschweren, denn vor allem die Grünen würden einen Rechtsruck in der Flüchtlings- oder Sozialpolitik nicht mitmachen.

Die Union hatte am Sonntag mit nur noch 33 Prozent ihr schwächstes Ergebnis seit 1949 eingefahren. Auch die SPD stürzte auf ein Rekordtief von 20,5 Prozent und kündigte noch am Wahlabend die große Koalition auf. Auf eine Mehrheit käme im neuen Bundestag nur eine erneute große Koalition oder ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen. FDP und Grüne erklärten, sie stünden für Gespräche bereit. Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt sagte, sie wolle "im Regierungsfall auf jeden Fall eine Rolle spielen".

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warb nachdrücklich für eine Jamaika-Koalition nach dem Vorbild in Kiel. "Von einem solchen Bündnis kann eine richtig gute Strahlkraft für Deutschland ausgehen", sagte Günther. Er warnte jedoch davor, in Koalitionsverhandlungen lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen, denn dann werde das Land nur verwaltet, und keine Partei finde sich am Ende wieder. "Der Erfolg eines Bündnisses hängt sehr stark davon ab, dass sich die Partner auch gegenseitig eigene Erfolge gönnen", erläuterte Günther. Die Kanzlerin hatte sich während der Verhandlungen in Kiel über jeden Schritt der Verständigung auf dem Laufenden gehalten - erkennbar damit rechnend, dass diese politische Konstellation auch auf sie zukommen könnte.

Für ihre Absage an Koalitionsgespräche mit der Union erntete die SPD massive Kritik von allen Seiten. FDP-Vize Wolfgang Kubicki nannte das Vorgehen "abgrundtief erbärmlich". Merkel forderte die SPD auf, ihre Absage an Koalitionsgespräche zu überdenken. "Wichtig ist eine stabile Regierung. Ich habe die Worte der SPD vernommen. Trotzdem sollte man miteinander sprechen", sagte sie.

SPD-Chef Martin Schulz bekräftigte jedoch, seine Partei werde in keine neue große Koalition eintreten. Auf die Frage, ob die SPD doch noch mit der Union reden würde, falls die Jamaika-Gespräche scheitern würden, erklärte er: "Jamaika wird nicht scheitern." Er schlug Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) als neue Fraktionschefin vor. In der SPD wurde das vom konservativen Seeheimer Kreis kritisiert. Dessen Sprecher Johannes Kahrs wandte sich gegen vorschnelle Entscheidungen. Nahles ist eine Vertreterin der SPD-Linken.

Kanzlerin Merkel bekräftigte unterdessen ihren Regierungsanspruch. Sie kündigte an, zuerst mit der CSU und dann mit FDP und Grünen über eine Regierungsbildung zu reden. Erste Sondierungsgespräche werden frühestens in der kommenden Woche erwartet. Spekulationen über eine Neuwahl erteilte Merkel dagegen eine klare Absage. "Jedes Spekulieren auf irgendeine Neuwahl ist die Missachtung des Wählervotums", betonte sie.

Die Unions-Verluste seien "auch mit mir verbunden als Person. Und zwar ganz offensichtlich", gestand Merkel. Die Bundesregierung habe in der Flüchtlings- und Migrationspolitik eine große Entwicklung gemacht, zugleich aber noch viel Arbeit vor sich. Herausforderungen durch illegale Migration und Probleme in ländlichen Räumen und sozialen Brennpunkten seien nicht gelöst, das habe zu Stimmengewinnen für die AfD geführt. Fehler im Wahlkampf sah Merkel dagegen nicht.

Am Montag kursierte zunächst das Gerücht, CSU-Chef Horst Seehofer wolle als Konsequenz aus dem Siegeszug der AfD die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigen. Dies wurde zwar schnell dementiert, aber wie unsere Redaktion aus CSU-Kreisen erfuhr, will die CSU mit der Schwesterpartei zunächst klären, "was für eine Union wir sein wollen". Dabei gehe es auch um die Wert- und Nationalkonservativen, die von der AfD zurückgeholt werden müssten. Es gehe um viel mehr als die eigene Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge, die Merkel ablehnt. "Man kann nicht in eine Sondierung gehen, wenn CDU und CSU hier nicht eine einvernehmliche Position haben", sagte Seehofer. Seine Partei wolle nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern "in aller geschwisterlichen Freundschaft" mit der CDU über den künftigen Kurs sprechen.

Auf den Vorschlag Seehofers hin soll am Dienstag der bisherige Verkehrsminister Alexander Dobrindt zum neuen Landesgruppenchef der CSU gewählt werden. Die von 56 auf 46 Mitglieder geschrumpfte CSU-Gruppe im Bundestag kommt am Mittwoch in der bayerischen Landesvertretung zur Konstituierung zusammen. Für den Nachmittag ist der erste Zusammentritt der gesamten Unionsfraktion geplant. Die bisherige Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt hatte nicht erneut für den Bundestag kandidiert.

Die FDP konstituierte sich gestern bereits als erste Bundestagsfraktion. Sie besteht aus 80 Abgeordneten, die als erste Amtshandlung Parteichef Christian Lindner einstimmig auch zum Fraktionsvorsitzenden wählten. Sollte Lindner später ein Ministeramt übernehmen, würde die FDP-Fraktion zum Jahresende hin einen anderen Vorsitzenden bestimmen.

(mar, may-, qua)
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