Die Grünen auf ihrem Weg an die Macht im Bund Wie am ersten Schultag

Die nächste Bundestagsfraktion der Grünen könnte zur Machtbasis ihrer Minister im Falle einer Regierungsbeteiligung werden. Das stärkt auch die Position der Fraktionsspitze

 Sie voran, er hinterher: Annalena Baerbock und Robert Habeck im Reichstagsgebäude auf dem Weg zur Sitzung der alten und neuen Bundestagsabgeordneten

Sie voran, er hinterher: Annalena Baerbock und Robert Habeck im Reichstagsgebäude auf dem Weg zur Sitzung der alten und neuen Bundestagsabgeordneten

Foto: dpa/Michael Kappeler

Claudia Roth kommt es vor „wie der erste Schultag“. Es gibt zwar keine Schultüte, auch keine Bonbons. Aber eine Grünen-Bundestagfraktion mit künftig 118 Abgeordneten, davon 16 direkt gewählt, ach, einfach wunderbar. Alles „sehr, sehr aufregend“, sagt Roth, als wäre sie Novizin, obwohl sie schon sechs Legislaturperioden im Bundestag hinter sich hat. Gleich versammeln sich die alten und die neuen Bundestagsabgeordneten der Grünen im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes. Vorne in der Nähe des Rednerpultes schmücken Sonnenblumensträuße den Saal.  Dass Roth bei den grünen gewissermaßen als „Mutter der Kompanie“ betrachtet werde, freut die 66 Jahre Politikerin. „Naja, ich könnte ja auch schon als Großmutter gesehen werden.“

Roth freut sich auf die vielen neuen Mitstreiter in der Fraktion. Was haben beispielsweise die Abgeordnete Katrin Uhlig aus Bonn und der Volksvertreter Robert Habeck aus Flensburg gemeinsam? Beide haben ihr Direktmandat für die Grünen gewonnen und betreten an diesem Dienstag erstmals als Mandatsträger den Plenarsaal des Bundestages. Uhlig freut sich. Spannende Zeiten stehen bevor. Auch für Habeck. Doch der 52 Jahre alte Politiker, der neben Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Spitzenkandidat der Grünen bei der Bundestagswahl war, muss vorher noch etwas klarstellen. Seit dem Vorabend kursieren Meldungen, wonach schon abgesprochen sei, dass der Grünen-Chef im Falle erfolgreicher Koalitionsverhandlungen Vize-Kanzler einer nächsten Bundesregierung werde. Habeck selbst hatte am Vortag bei einem gemeinsamen Auftritt mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in der Bundespressekonferenz dazu noch gesagt: „Gehen Sie davon aus, dass wir komplett sortiert sind.“ Man wolle das jetzt aber „nicht zu Markte tragen“. Habeck hat damit nicht dementiert.

Aber hinter den Kulissen muss es dann doch ordentlich gerumst haben. Die Sache mit dem Vize-Kanzler hat Wellen geschlagen. Baerbock wehrt sich gegen den Eindruck, dass Habeck ihr nach einem Wahlergebnis mit Luft nach oben gewissermaßen das Heft des Handelns aus der Hand genommen hat. Gerade noch haben die beiden Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter davon gesprochen, dass sie „mit dieser großen Fraktion dieses Land in eine bessere Zukunft führen wollen“.

Dann stellt sich – überraschend – Habeck an das Mikrofon, das normalerweise für die Fraktionschefs aufgebaut ist. Aber der Parteichef ist jetzt ja auch Abgeordneter. Deswegen wolle er jetzt „etwas klarstellen“: Baerbock, seit 2013 im Bundestag, und er würden „in großer Gemeinsamkeit, in großer Geschlossenheit und in großer Stärke die Koalitionsgespräche gemeinsam führen werden und gemeinsam vorbereiten“. Vor allem: „Die Frage, wer Vize-Kanzler wird, ist völlig irrelevant. Wir haben ja noch nicht einmal einen Kanzler.“  Die Partei stehe „zu 120 Prozent“ hinter dem Vorstand und hinter Baerbock als Person. Bloß kein Vertun. Am Ende werde über das gesamte Tableau – über Inhalte eines Koalitionsvertrages wie auch über Personen – die Partei bei einem Parteitag oder bei einer Mitgliederbefragung entscheiden.

Sollten die Grünen nach einer ersten Vorsondierung in dieser Woche mit der FDP, folgenden Sondierungsgesprächen mit FDP und SPD und späteren Koalitionsverhandlungen tatsächlich in eine nächste Bundesregierung eintreten, bekommt die Bundestagsfraktion ein größeres Gewicht. Sie muss Gesetzesvorhaben der Regierung im Plenum mitabsichern. Wenn etwa Habeck, würde er Bundesminister, seine Politik in ein Gesetzesvorhaben gießen will, muss es dann die Fraktion mittragen. Hofreiter sagt denn auch dazu: „Die Bundestagsfraktion ist dann zentral.“ Und wenn es so komme, „wie wir es vorhaben, wird es eine Regierungsfraktion. Und die Regierungsfraktion muss die Regierung tragen.“ Für die nächsten Grünen-Fraktionschefs bedeutet dies: Ihr Einfluss wird wachsen. Indirekt bis mit an den Kabinettstisch. 

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