Martin Schulz in der ARD-"Wahlarena" "Ich will Ihren Rentenbescheid ändern"

Berlin · In der ARD-Wahlarena hat Martin Schulz an vielen Fragen vorbeigeredet. Stark wurde der SPD-Kanzlerkandidat bei Rente und Pflege, schwach blieb er bei Finanzen und Integration. Nett waren die Moderatoren wieder nicht zu ihm. Ein insgesamt mäßiger Auftritt mit versöhnlichem Ende.

 Martin Schulz zu Gast in der ARD-Wahlarena.

Martin Schulz zu Gast in der ARD-Wahlarena.

Foto: dpa, jbu htf

Gleich zum Auftakt der ARD-Wahlarena kommt Martin Schulz ins Schleudern. Herr Koch aus Hannover möchte vom SPD-Kanzlerkandidaten wissen, wie er den staatlichen Schuldenberg abbauen will. Das passt irgendwie nicht zu dem, was Schulz Land auf, Land ab predigt - nämlich dass im Land mehr investiert muss.

Also antwortet Schulz nicht präzise auf die Frage, sondern schnurrt herunter, was zur Finanzpolitik im SPD-Programm steht. Schuldentilgung gehört weniger dazu. Schulz versucht sich zu retten, indem er statt dessen von der Null-Neuverschuldung spricht, die ja dank der vielen Steuereinnahmen längst zur Realität geworden sei. Aber das wollte der hartnäckige ältere Herr gar nicht wissen. Er korrigiert Schulz sogar, indem er ihm erklärt, was der Unterschied zwischen neuen und alten Schulden ist.

Kein guter Anfang für den Herausforderer von Angela Merkel sechs Tage vor der Bundestagswahl. In der Live-Übertragung aus dem Lübecker Hafen wird er in den folgenden 70 Minuten insgesamt 17 Zuschauerfragen beantworten. Wenige Fragesteller sehen hinterher richtig zufrieden aus, Applaus brandet eher selten auf.

Die Halle für sich einzunehmen gelingt Schulz insgesamt seltener als Angela Merkel am gleichen Ort vor einer Woche, aber das redliche Bemühen ist bei Schulz stets zu spüren. Über Moderator Andreas Cichowicz, der ihn in der Sendung ebenfalls zweifach belehrt, ärgert sich Schulz zu Recht. Mehr Zurückhaltung des Moderators wie vor einer Woche bei Merkel wäre angemessen gewesen.

Gut Situierte wohnen sich arm

Fragestellerin Nummer zwei möchte wissen, was Schulz tun will, damit sich junge Familien Mieten und Wohneigentum noch leisten können. Eine Steilvorlage für den SPD-Vorsitzenden, die er nach Anlaufschwierigkeiten auch verwandelt. "Es wohnen sich gut situierte Menschen arm." Der Spruch sitzt. Merkel habe die fertige Reform der Mietpreisbremse verhindert, ein Skandal. Mit Schwarz-Gelb werde der "Sepkulationsmarkt" bei Immobilien noch mehr angeheizt. Und ihm tue leid, dass die Frau im schwarz-grün-regierten Hessen eine so hohe Grunderwerbsteuer zahlen müsse. Schulz verschweigt allerdings dabei, dass Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen die Steuer ebenso hoch geschraubt hat.

Mit Frage Nummer drei nach der Familienarbeitszeit von jeweils nur 30 Stunden für Mütter und Väter hat Schulz dann wieder seine Schwierigkeiten. Statt einfach nur das für viele attraktive Arbeitszeit-Konzept seiner Parteifreundin Manuela Schwesig auszubreiten, verlegt sich Schulz darauf, das Kapitel SPD-Familienpolitik in Gänze zu referieren. "Wir sind ja schon fast durchs ganze Parteiprogramm", stichelt Moderator Cichowicz.

Eine Pendlerin aus Nordrhein-Westfalen erkundigt sich, was Schulz zur Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs tun will. Auch das eine Vorlage, doch der Kanzlerkandidat kommt wieder kaum über die Demonstration seines guten Willens hinaus. "Ich warte auf eine Zahl, was Sie investieren wollen", sagt Cichowicz ungeduldig. "Das sind sicher Hunderte Milliarden, die wir da investieren müssen", meint Schulz und wirkt auch an dieser Stelle überrumpelt.

Stärker wird er dann beim Thema Rente. Eine 42-jährige Mutter von sechs Kindern erzählt, dass sie laut Rentenbescheid nur 600 Euro Rente zu erwarten habe. Schulz hält kurz inne, er scheint von der Erzählung ehrlich berührt zu sein. "Entschuldigen Sie, ich fühlte mich an meine Mutter erinnert", sagt Schulz. Auch seine Mutter habe fünf Kinder groß gezogen, hart gearbeitet und nur eine geringe Rente erhalten. Mit ihm als Kanzler werde es die Solidarrente für langjährig Versicherte geben, die mindestens zehn Prozent über der Grundsicherung liegen werde. "Ich will Ihren Rentenbescheid ändern", ruft Schulz. "Ich war im Moment wirklich aufgewühlt", setzt er noch hinzu.

"Neustart" für den Pflegebereich

Hat er das Publikum endlich hinter sich gebracht? Nicht ganz, denn jetzt werden die Flüchtlinge zum Thema, und hier fühlt sich Schulz wieder weniger zuhause. "Ja, ich habe einen Plan, was Integration angeht", sagt er, bleibt aber Präzises schuldig. Ein Fragesteller will wissen, wie er es sich denn vorstelle, 250.000 geduldete Menschen in ihre Heimat zurückzuschicken, die von ihren Ländern nicht gewollt würden und keine Papiere hätten.

Das habe er ja im TV-Duell mit Merkel so angekündigt. "Im so genannten TV-Duell", korrigiert ihn Schulz in Anspielung darauf, dass er sich von den Moderatoren bei der direkten Auseinandersetzung mit Merkel vor zwei Wochen ungerecht behandelt fühlte. Inhaltlich vollführt Schulz in seiner Antwort eine Kehrtwende zum TV-Duell: Nein, nur Straftäter müssten abgeschoben werden, Geduldete müssten in der Regel wohl doch in Deutschland bleiben.

Stark wird Schulz gegen Ende noch mal beim Thema Pflege. In den ersten 100 Tagen als Kanzler werde er einen "Neustart" hinlegen und für mehr Personal, mehr Pflegeplätze und 30 Prozent höhere Gehälter in der Pflege sorgen. Kein Wort zur Finanzierung, doch das ist an dieser Stelle nicht so wichtig, denn endlich macht er eine präzise Ansage, die Menschen in der Wahlarena belohnen sie mit Applaus.

Ganz zum Schluss reißt Schulz noch mal das Wort an sich, obwohl Co-Moderatorin Sonja Mikich eigentlich schon abmoderieren muss. "Jetzt will ich aber noch mal was sagen", quengelt Schulz. "So was wie hier müssten Bundeskanzler einmal im Monat machen." Viel Applaus. Also doch noch ein versöhnliches Ende eines insgesamt mäßigen Auftritts.

(mar)
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