Baerbock nach der Wahl Kandidatin „Löwenherz“

Berlin · Annalena Baerbock hat den Grünen nicht das Wahlresultat gebracht, das sich viele erwünscht hatten. Aber sie darf nach dem besten Ergebnis der Parteigeschichte im Bund trotzdem auf ein Ministeramt hoffen.

 Komm’, alles nicht so schlimm: Spitzenkandidat Robert Habeck nimmt Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Wahlabend in den Arm

Komm’, alles nicht so schlimm: Spitzenkandidat Robert Habeck nimmt Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Wahlabend in den Arm

Foto: AP/Matthias Schrader

Die Schlacht ist geschlagen. „Die beste Idee, die wir je hatten“, hat der deutsche Songwriter Max Mutzke beim Grünen-Wahlkampf auf dem Alten Markt in Potsdam noch gesungen. Das Lied trug ein Stück Hoffnung, auch ein Stück Verheißung in sich. Annalena Baerbock saß in der ersten Reihe und klatschte im Takt mit, bevor sie selbst auf die Bühne ging. Es war zugleich der Wahlkampfabschluss in ihrem eigenen Wahlkreis Potsdam, wo sie sich mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz auch noch einen Wettbewerb um das Bundestags-Direktmandat lieferte. Scholz gewann das Direktmandat – mit deutlichem Abstand vor Baerbock. Noch ein Dämpfer für die Grünen-Kandidatin.

Die beste Idee? Baerbock hatte die Idee -- vielleicht war es auch ein Traum -- vom Kanzleramt. Aber jetzt, sieben Wochen später und 14 000 Kilometer im Tour-Bus quer durch die Republik weiter, weiß Baerbock, dass sie nicht die erste Bundeskanzlerin mit Grünen-Parteibuch wird. Enttäuscht? Klar. „Wir wollten mehr“, musste Baerbock am Wahlabend einräumen. „Dieses Mal hat es noch nicht gereicht, aber wir haben einen Auftrag für die Zukunft.“ Um 18.54 Uhr nimmt Robert Habeck seine Kollegin an der Parteispitze auf offener Bühne in den Arm. „Löwenherz“ nennt er Baerbock – wegen ihres Kampfgeistes. Das Ziel, „um die Eins“ zu spielen, „hat nicht geklappt“, wird er später sagen. „Wir sind nicht da, wo wir hinwollten.“ Eine Frage nach diesem Ergebnis der nicht erfüllten Erwartung: Wird Habeck nun die Nummer eins der Grünen bei den nun anstehenden Sondierungs- und Koalitionsgesprächen? Baerbock sagt trocken, man sondiere „im Team“.  

41 Jahre haben die Grünen seit ihrer Gründung im Januar 1980 in Karlsruhe gebraucht, bis sie so weit waren, um mit einer eigenen Kanzlerkandidatin richtig nach der Macht im Land zu greifen. Es hätte auch ein Kanzlerkandidat werden können, aber Co-Vorsitzender Habeck ließ Baerbock nach Wochen des Abwägens schließlich schweren Herzens den ersten Zugriff auf die Bewerbung um das höchste Regierungsamt. Später sagte Habeck über die Dimension dieses Verzichtes für ihn: „Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen.“ Baerbock hatte schon in ihrer Bewerbungsrede an den Grünen-Parteitag im Januar 2018 in Hannover Habeck deutlich gesagt: „Robert, ich werde nicht die Frau an Deiner Seite sein.“ Habeck wusste Bescheid.

Die Strecke einer Bewerbung für das Amt der Bundeskanzlerin ist eine Herausforderung. Die Tage einer solchen Bewerbung sind lang, die Beobachtung ist permanent, überall sind Fallen aufgestellt, manche Fallen hat sich die Kandidatin auch selbst gebastelt, einiges ist auch einfach nur Zufall. Schnick, schnack, grün. „So manches“ sei schiefgelaufen, hat die Grünen-Chefin reichlich allgemein über eigene Fehler, Zuspitzungen und Nachlässigkeiten im eigenen Lebenslauf oder auch im Quellenverzeichnis ihres Buches gesagt, das sie ausgerechnet noch parallel zu ihrer Kandidatur schreiben musste. Doch der Tag hat auch für eine Kanzlerkandidatin nur 24 Stunden, wenn man neben der Politik mit ihrem öffentlichen Dauerbeschuss und einer Terminhatz ohnegleichen noch Restposten eines Privatlebens mit Ehemann und zwei kleinen Kindern unter einen Hut bringen will. Womöglich haben Baerbock und ihre Berater unterschätzt, wie erbarmungslos und auch brutal ein Wahlkampf ist, bei dem jedes Wort, jedes Lachen, jede Zuckung in Echtzeit – also sofort – über die sozialen Medien in die Welt versendet wird. Die Kandidatin jedenfalls hat in einer ARD-Dokumentation über die Untiefen des Wahlkampfes unter anderem gesagt, den Grünen hätten „Ressourcen“ gefehlt. Kaum zu glauben eigentlich, dass der eigene Lebenslauf nicht wasserfest geschrieben werden kann, wenn man es schon schafft, parallel zum laufenden Wahlkampf ein Buch auf den Markt zu bringen. 

Baerbock, Habeck und die Grünen waren fulminant gestartet, lagen eine kurze Zeit mit Umfragewerten von 27 Prozent im Bund sogar noch vor den Unionsparteien. Wohl gemerkt in einer Phase, als die SPD noch nicht wieder auferstanden war, sondern wie eingemauert bei 15 Prozent festhing. Wie war das gleich nochmal mit dem Koch und dem Kellner? SPD und Grüne hatten da ihre Rollen aus alten rot-grünen Zeiten schon getauscht. Grüne kochen, SPD kellnert. Und nun ist es wahrscheinlich doch wieder umgekehrt.

Die Grünen haben auch gelernt: Zu einem frühen Zeitpunkt auf einer Welle der Zustimmung zu reiten, ist gefährlich, weil sich diese Welle vor der Zeit wieder abbauen kann. Die Grünen haben bei Bundestagswahlen schon öfter erlebt, dass aus passablen Umfragewerten am Ende ein eher dürftiges Wahlergebnis wurde. Jetzt, 161 Tage nach Bekanntgabe ihrer Kanzlerkandidatur und der großen Überschrift „Dieses Land braucht einen Neuanfang“, hat es Baerbock von den Wählerinnen und Wählern gewissermaßen schriftlich bekommen, dass sie den Neuanfang nicht ganz so grün wollen, wie es sich Baerbock, Habeck und ihre Mitstreiter gewünscht hätten. Sie schrumpften den grünen Anspruch, „dass wir das Land von vorne führen wollen“, wie es Baerbock bei Vorstellung des Grünen-Wahlprogrammes gesagt hatte. 

Die 40 Jahre alte Politikerin hat die ganz großen Hoffnungen ihrer Partei nicht erfüllt. Aber sie kann darauf verweisen, das beste Ergebnis der Grünen bei einer Bundestagswahl eingefahren zu haben – mit Luft nach oben. Sie darf nach diesem Wahlkampf und im Falle erfolgreicher Koalitionsverhandlungen auf ein herausgehobenes Ministerium hoffen. Für Baerbock, die bisher weder in einem Land noch im Bund Mitglied einer Regierung war, wäre es ihre Weihe als Ministerin. Sie, die in der grün-internen Arbeitsteilung mit Habeck Themen der Außen- und Sicherheitspolitik bearbeitete und häufig betont hat, „ich komme aus dem Völkerrecht“, könnte das Außenministerium ein Ziel sein. Baerbock würde, wenn es denn so käme, damit als erste Frau das prestigeträchtige Außenamt führen. Zu Joschka Fischer, dem ersten und bislang einzigen Grünen auf diesem Posten, soll sie einen guten Gesprächsdraht haben. Im Wahlkampf ließ sich Fischer, der sich schon lange aus der Parteipolitik heraushält, zur Unterstützung für einen gemeinsamen Termin mit Baerbock gewinnen. Beide betraten in Frankfurt/Oder symbolisch die Grenzbrücke nach Polen. Baerbock, die „überzeugte Europäerin“, würde dieses Europa und Deutschland gerne in der Welt vertreten. Erst das Land, dann die Partei. Erst die Inhalte, dann die Personen. Andererseits weiß gerade sie nach diesem Wahlkampf, wie schnell Kurse steigen – und auch wieder fallen können. 

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