SPD, Grüne und FDP sondieren Ein Rendezvous zu dritt

Analyse | Berlin · Der Scholz-Zug Richtung Kanzleramt rollt. Am Mittwoch stellten Grüne und FDP erste Weichen für eine Ampel-Koalition. Schon am Donnerstag starten sie Dreier-Sondierungen mit der SPD. Nächste Woche aber will ausgerechnet Scholz auf die Bremse treten und das Land verlassen.

 Die grünen Parteichefs Robert Habeck (l) und Annalena Baerbock (M) wollen nun gemeinsam mit FDP-Chef Christian Lindner und der SPD eine mögliche Regierung ausloten.

Die grünen Parteichefs Robert Habeck (l) und Annalena Baerbock (M) wollen nun gemeinsam mit FDP-Chef Christian Lindner und der SPD eine mögliche Regierung ausloten.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Eine Zeitenwende deutet sich an. Während die scheidende Kanzlerin Angela Merkel am Mittwochmorgen im 10 Autostunden von Berlin entfernten slowenischen Brdo pri Kranju beim Westbalkangipfel noch einmal um Europas Zukunft ringt, schaffen Grüne und FDP in der Hauptstadt erste Fakten für ein mögliches rot-grün-gelbes Machtzentrum - erstmals seit 2005 ohne die Union. Eine Rekonstruktion eines vielleicht historischen Tages:

10.01 Uhr Sie sind schnell. Fast zwei Stunden vor der FDP. Die Grünen preschen vor. Sie haben digital beraten. Dann verkünden Parteichef Robert Habeck und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, dass sie der FDP – nach zwei Gesprächsrunden mit den Liberalen – vorschlagen, in eine Dreier-Sondierung mit der SPD einzutreten. Habeck macht deutlich, dass dies „keine Komplettabsage an Jamaika“ sei. Nein, diese Tür wollen sich die Grünen offenhalten. „Wir haben gesehen, dass sich die Union wirklich bemüht hat“, betont Habeck. Und warum nicht parallel Jamaika sondieren? Habeck will „kein künstliches Pokerspiel“, man wolle „nicht künstlich Dinge verkomplizieren und in die Länge ziehen“. Baerbock ergänzt, das Land könne sich „keine lange Hängepartie“ leisten. Habeck sekundiert. Keine Zeit verplempern, „dann werden wir Weihnachten noch keine neue Regierung haben“. Wie viele Sondierungsrunden man brauche, um in Koalitionsverhandlungen für die Ampel überzugehen? Habeck spricht von einer „einstelligen Zahl“ Einstellig: von eins bis neun. Er sieht zu diesem Zeitpunkt noch keinen gelben Rauch über der FDP-Zentrale aufziehen: „Wir werden sehen und warten gespannt darauf, wie die FDP sich aufstellen wird.“

11.33 Uhr Dort lässt der FDP-Chef die Journalisten eine halbe Stunde schmoren. Christian Lindner tritt vor die Mikrofone, vor sich ein sorgsam vorformuliertes Statement. Der sonst frei sprechende Spitzenrhetoriker wirkt angespannt, liest in weiten Teilen ab. Die FDP trete nur ein in eine „Regierung der Mitte“, die den „Wert der Freiheit“ hochhalten werde, betont er. „Wir fühlen uns in unseren Entscheidungen frei.“ Nach diesen Sätzen ist bereits klar, was dann folgt: die schwerwiegende Entscheidung der FDP-Gremien, nun in die Sondierungsphase mit der SPD und Grünen zu gehen. Die Betonung der Eigenständigkeit und der inhaltlichen Unabhängigkeit ist besonders wichtig für die FDP, könnte sie doch viele ihrer Wähler mit dieser Weichenstellung in Richtung Ampel verprellen. Lindner hatte aus seiner Vorliebe für Jamaika unter Führung von Armin Laschet nie einen Hehl gemacht. Aber der Wahlsieg der SPD, die Zerstrittenheit der Union und das Drängen der Grünen ließen den Liberalen jetzt wohl keine andere Wahl. Dennoch spricht Lindner nur von einem „Gedankenaustausch“, der am Donnerstag beginne. Jamaika bleibe eine Option. War es ein Foul, dass die Grünen-Chefs die Ampelgespräche noch während der Sitzung der FDP-Gremien verkündeten? Lindners Gesicht bleibt da unergründbar. Man stehe im „regelmäßigen Austausch“ – das ist letztlich eine Bestätigung der Absprache. Die Grünen überlassen es Lindner zu verkünden, dass er bereits mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz telefoniert habe. Und dann reicht Lindner den Grünen wieder die Hand: Es gebe ein gemeinsames Interesse, ein „fortschrittsfreundliches Zentrum“ in einer neuen Regierung zu bilden. „Daraus ergibt sich viel Fantasie.“

14.31 Uhr Nicht viel Vorstellungskraft braucht man, um sich die gute Laune von Olaf Scholz auszumalen. Der Scholz-Zug steht jetzt auf den Gleisen, bis Ende November, Anfang Dezember soll er im Kanzleramt einfahren. CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier erkennt das an: „Soeben hat der Ampel-Zug den Bahnhof verlassen“, twittert er. Scholz dankt den anderen Parteien für „die sehr professionelle und ernsthafte Art und Weise, wie sowohl die FDP als auch die Grünen die Bildung der Regierung vorangetrieben haben“, sagt er im Willy-Brandt-Haus. Es ist das erste Mal, dass die Hauptperson in der Sondierungsphase überhaupt selbst öffentlich auftritt. Und Scholz hat die Mikrofone nicht allein für sich. Neben ihm warten die Parteichefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wie ungeduldige Schüler darauf, zu Wort zu kommen. Scholz nimmt es lächelnd zur Kenntnis. Die Wähler wünschten sich eine Ampel-Regierung: „Es ist jetzt an uns, das auch umzusetzen. Und morgen geht’s dann los.“ Nächste Woche aber will Scholz eine kurze Verhandlungspause einlegen. Die Weltbühne ruft. Als Bundesfinanzminister wird er am Dienstag und Mittwoch in Washington zur Herbsttagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds erwartet. In der US-Hauptstadt sind sie auf den möglichen Merkel-Nachfolger schon sehr gespannt.

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