Abstimmung über Rettungsschirm Bundestagspräsident Lammert verärgert seine Parteifreunde

Berlin (RPO). Die Kanzlermehrheit für die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms war gesichert, dennoch war Unions-Fraktionschef Volker Kauder verärgert. Nicht die zehn Nein-Stimmen und eine Enthaltung aus der Unions-Fraktion verdarben dem CDU-Politiker die Laune, sondern Parteifreund Norbert Lammert, der beim Rederecht sehr großzügig war.

Abstimmung über Rettungsschirm: Bundestagspräsident Lammert verärgert seine Parteifreunde
Foto: ddp

Der Bundestagspräsident hatte den erklärten Abweichlern Klaus-Peter Willsch von der CDU und Frank Schäffler von der FDP für das Thema von "überragender Bedeutung" ein Rederecht eingeräumt, das sie über ihre Fraktionen nicht erhalten hatten.

"Diese Entscheidung halte ich für falsch", erregte sich Kauder nach der Abstimmung. "Wenn alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben, dann bricht das System zusammen", warnte der Fraktionschef. "Ich halte das für eine bedenkliche Entwicklung, die die Arbeitsfähigkeit des Parlaments beschränkt", sekundierte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU).

Lammert hatte sich auf ein früheres Urteil des Bundesverfassungsgerichts berufen. Die Karlsruher Richter hatten ein solches Rederecht Ende der 80er Jahr allerdings auf den fraktionslosen und früheren Grünen-Abgeordneten Thomas Wüppesahl bezogen. Dass Lammert das Recht nun auf Willsch und Schäffler anwandte, kritisierte auch Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. Er und Kauder wollen das Thema im Ältestenrat des Parlaments noch einmal zur Sprache bringen.

Immer wieder Lammert

Mit seinem Vorgehen eckte der 62-jährige Lammert, der nach dem Bundespräsidenten protokollarisch der zweite Mann im Staate ist, einmal in der eigenen Partei an. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Kanzlermehrheit in der Euro-Frage am Sonntagabend noch für verzichtbar erklärt hatte, meinte Lammert am Dienstag, die Koalitionsmehrheit sei "nicht unerheblich".

Schon im August hatte der Parlamentspräsident Unmut bei Kauder und Merkel hervorgerufen. Lammert beklagte öffentlich, dass die Regierung die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms zu schnell durch das Parlament bringen wolle und mahnte Sorgfalt an. Kauder verbat sich daraufhin "Belehrungen" und erklärte: "Wir peitschen keine Gesetze durch." Schließlich wurde die Abstimmung um eine Woche auf den 29. September verschoben.

Lammert pocht immer wieder auf die Rechte der Abgeordneten und macht damit den Regierenden das Leben schwer. Im Frühjahr beklagte sich der CDU-Mann in einem Brief bei Merkel, sie habe das Parlament bei der Unterrichtung über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" nicht ausreichend informiert. Die Kanzlerin ließ den Vorwurf zurückweisen. Auch bei der Energiewende bemängelt Lammert die knapp bemessene Zeit für die parlamentarischen Beratungen.

"Ein Sargnagel"

Ebenfalls kein Blatt vor den Mund nahm Lammert in der Plagiats-Affäre um den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Gutenberg (CSU). Vor SPD-Abgeordneten soll er die Affäre und ihre Begleitumstände "ein Sargnagel für das Vertrauen in unsere Demokratie" genannt haben. Daraufhin prasselte die Empörung auf ihn nieder, unter anderen kritisierte CSU-Chef Horst Seehofer Lammert scharf.

Doch genau für diese Offenheit schätzen viele Parlamentarier quer durch alle Fraktionen den promovierten Sozialwissenschaftler. Der 1948 in Bochum geborene Lammert arbeitete sich in der CDU, der er seit 1966 angehört, stetig voran. Vom Stadtrat in der Heimatstadt bis zum stellvertretenden Vorsitzenden des mächtigen Landesverbands Nordrhein-Westfalen.

1980 wurde er in den Bundestag gewählt und übernahm 1996 den Vorsitz der nordrhein-westfälischen CDU-Landesgruppe, die im Jahr 2000 während der CDU-Spendenaffäre beim erzwungenen Rücktritt von Fraktionschef Wolfgang Schäuble eine zentrale Rolle spielte. 2002 wählte das Parlament den CDU-Politiker zu einem seiner Vizepräsidenten, 2005 rückte er in das Amt des Bundestagspräsidenten auf, das er seit 2009 erneut bekleidet.

Lammert bleibt hartnäckig

Auf das Grundgesetz, das keinen Fraktionszwang kennt, aber den Passus, wonach Abgeordnete nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sind, verwies Lammert am Donnerstag auch in einem "Spiegel Online"-Interview. Als Gegnerin von Merkel sieht sich der CDU-Mann mit hintergründigem Witz und geschliffenen Formulierungen nicht.

Er sei nicht Merkels Gegner, sondern manchmal einer ihrer wirkungsvollsten Helfer, betonte Lammert. Er sei aber "hartnäckig in der Rollenverteilung zwischen Parlament und Regierung". Die Kanzlerin muss wohl auch weiter mit Lammerts Widerspruch rechnen.

(apd/csi)
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