Kleinerer Bundestag Wahlrechtsreform rückt plötzlich in greifbare Nähe

Berlin · Kurz vor Schluss kommt doch noch Dynamik in die Frage, ob der Bundestag es schafft, ein weiteres Anwachsen nach den nächsten Wahlen zu verhindern. Die CSU hält ihren Vorschlag noch im September für machbar: Die SPD sieht das nicht, will aber verhandeln.

 Der Plenarsaal des Bundestages vor Beginn einer Sitzung (Archivbild vom Januar).

Der Plenarsaal des Bundestages vor Beginn einer Sitzung (Archivbild vom Januar).

Foto: dpa/Sonja Wurtscheid

Kurz vor der Sommerpause des Bundestages gerät massiv Bewegung in die Wahlrechtsdebatte. Nach Vorstößen von Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zeichnet sich ab, dass der Bundestag bereits im nächsten Jahr nicht weiter aufgebläht sein wird. Während die Opposition an diesem Freitag bereits abstimmen will, war die Union am Dienstag lediglich an einem ersten „Meinungsbild“ interessiert. Sie hält es für möglich, im September noch zu tiefen Einschnitten ins Wahlrecht zu kommen, um die Zahl der Mandate bei den nächsten Wahlen ein Jahr später zu beschränken.

Eigentlich scheint der Zug für einen Neuzuschnitt der Wahlkreise längst abgefahren, da die ersten Kandidaten bereits von den jeweiligen Kreiswahlversammlungen nominiert wurden. Von möglichen „Härten“ sprach Dobrindt, hielt es aber für vertretbar, nachträglich noch größere Wahlkreise zu schneidern, in denen sich die schon Aufgestellten erneut um eine Kandidatur bemühen könnten. Auch europarechtliche Regelungen, wonach wesentliche Elemente des Wahlrechtes zwölf Monate vor einer Wahl nicht mehr geändert werden können, wären haarscharf einzuhalten, wenn Bundestag und Bundesrat im September schnell zu Entscheidungen kämen. Gewählt wird vermutlich Ende September 2021.

Dagegen schließt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich einen Neuzuschnitt der Wahlkreise noch vor der Wahl 2021 aus. „Das ist jetzt nicht mehr möglich“, sagte er mit Verweis auf die Dauer zurückliegender Wahlkreisreformen. Ob es in dieser Woche zu einer Abstimmung kommen wird, hält er für ungewiss. Mützenich sagte, es liege an der Entscheidung der Ausschüsse, ob der Antrag der Opposition zur Abstimmung gestellt werde. Das SPD-Modell hält er für verfassungskonform. Es gebe mehrere Gutachten, die das bescheinigen würden, sagte Mützenich. Die SPD stehe jederzeit für Gespräche mit der Union zur Verfügung.

Bei dem SPD-Modell sollen nicht mehr alle direkt gewählten Abgeordneten ihr Mandat auch erhalten können. Dieses Prinzip griff auch Brinkhaus in seiner Lösung auf. Danach sollte es eine Höchstzahl von 750 Mandaten geben und bei überschreiten im Wechsel ein Direkt- und ein Listenmandat gestrichen werden. Dobrindt präsentierte ein Rechtsgutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Udo di Fabio, wonach es eklatant verfassungswidrig wäre, dem einen direkt gewählten Abgeordneten das Mandat zu belassen und einem anderen genauso gewählten Abgeordneten seines zu entziehen.

Die zuletzt stets als eigentlicher Bremser aller Bemühungen um einen kleineren Bundestag angesehene CSU bemühte sich mit einem Doppelplan, vor der Sommerpause in die Offensive zu kommen. Sie schlug vor, bei der übernächsten Wahl mit einem Neuzuschnitt der Wahlkreise, mit einem Verzicht auf den Ausgleich jedes Überhangmandates und mit einer Entschlackung des Berechnungsverfahrens die Zahl der Mandate massiv zu senken. In einem ersten Schritt sollten für die Bundestagswahlen 2021 nur noch 699 Abgeordnete zugelassen werden - 299 über die Erststimme in den Wahlkreisen und bis zu 400 von den Landeslisten. Die durch Ausgleichsmechanismen darüber liegenden Mandate sollten im Proporz der Parteienstärke so lange gekürzt werden, bis es nur noch 400 sind. Nachdem dieses Verfahren innerhalb der Union auf Bedenken stieß, stellte Dobrindt in Aussicht, die zweite Stufe auf 2021 vorzuziehen. Bei der fraktionsinternen Debatte fand diese Lösung viele Anhänger und soll nun mit der SPD ausgelotet werden.

Das Problem mit dem Wahlrecht hatte sich verschärft, als mehr kleine Parteien über die Fünf-Prozent-Hürde kamen und die bislang großen deutlich schlechter abschnitten. Das führte dazu, dass in vielen Wahlkreisen schon 20 oder 25 Prozent für den Gewinn eines Mandates durch die Erststimme reichten und so vor allem die CDU mehr Mandate direkt gewann, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis insgesamt zustanden. Diese „überhängenden“ Sitze werden nach dem geltenden Wahlrecht in einem mehrstufigen Verfahren durch zusätzliche Mandate für die anderen Parteien „ausgeglichen“, bis der Proporz bundesweit und in jedem Land wiederhergestellt ist. So kamen 2017 insgesamt 46 Überhangmandate und weitere 65 Ausgleichsmandate zustande.

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