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Bessere Chancen für Ausreisepflichtige Ungewöhnliche Allianz beim Aufenthaltsrecht

Analyse | Berlin · Der Bundestag beschließt ein „Chancen-Aufenthaltsgesetz“ für eigentlich ausreisepflichtige Asylbewerber. Selbst in der Union finden einige Abgeordnete das Vorhaben der Ampel richtig. Zum Leidwesen von Friedrich Merz.

 Die Ampel setzt ihre Chancen-Aufenthaltsgesetz durch. Einige Abgeordnete der Union enthalten sich, weil sie die Pläne gut finden.

Die Ampel setzt ihre Chancen-Aufenthaltsgesetz durch. Einige Abgeordnete der Union enthalten sich, weil sie die Pläne gut finden.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Es ist eine emotionale Debatte, in der viele Einzelschicksale eine Rolle spielen. Auch das von Adis Ahmetovic, einem SPD-Abgeordneten. Seine Eltern seien aus Bosnien-Herzegowina geflohen, er in Hannover geboren und aufgewachsen. Ahmetovic trägt im Bundestag vor: „18 Duldungen, zwischen einem Monat und drei Monaten, dazwischen eine Androhung auf Abschiebung und eine Ausreiseaufforderung. Wie Sie sehen können“, so der 29-Jährige weiter, „hat es nicht geklappt, jetzt bin ich direkt gewählter Bundestagsabgeordneter.“ Viel Applaus gibt es dafür aus den Fraktionen der Ampel.

Das Parlament hat am Freitag das neue Chancen-Aufenthaltsrecht für eigentlich ausreisepflichtige Asylbewerber beschlossen. Mit dem Vorhaben will die Koalition Leidensgeschichten wie die von Ahmetovic verhindern. Am Rande der Debatte rückt allerdings auch die Union ins Blickfeld. Nicht, weil die Redner der CDU/CSU-Fraktion sich gegen das Vorhaben stellen - etwa Innenexpertin Andrea Lindholz (CSU). Für gut integrierte langjährig Geduldete gebe es heute schon genügend Ausnahmen und pragmatische Lösungen, so Lindholz.

Sondern deshalb, weil es aus den Reihen der Union bei der Abstimmung zahlreiche Enthaltungen gibt; im Vorfeld kursiert eine persönliche Erklärung von 20 Abgeordneten zu ihrem Verhalten, unterzeichnet etwa von Armin Laschet, Herman Gröhe, Norbert Röttgen oder Roderich Kiesewetter, keine Unbekannten, Parlamentarier mit Einfluss. In der Erklärung, die unserer Redaktion vorliegt, heißt es, die vorgeschlagenen Änderungen im Aufenthaltsgesetz für langjährig Geduldete „sind sinnvoll und pragmatisch“, da sie sich ausschließlich an diejenigen richteten, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland lebten, nicht straffällig geworden seien und deren Rückführung auch in Zukunft nicht wahrscheinlich sei. „Der Gesetzesentwurf folgt damit der bisherigen Linie der Union“, so die Unterzeichner. Außerdem gehe es um Menschen, die sich darum bemühten, ihren Lebensunterhalt zu sichern, Sprachkenntnisse zu erwerben und alles zur Identitätsfeststellung zu tun.

Unionsabgeordnete, die sich demonstrativ an die Seite der Ampel stellen - ein Affront gegen Fraktionschef Friedrich Merz? Schon während der Fraktionssitzung am Dienstag soll heftig gestritten worden sein. Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei versuchte anschließend per Brief die Reihen wieder zu schließen, was misslang. Hinter den Kulissen wird Merz jetzt kritisiert, er habe die Angelegenheit „eskaliert“, statt sie einfach laufen zu lassen. Auch wird betont, der Vorsitzende und die Innenpolitiker der Fraktion spielten zu offen die Anti-Migrationskarte, was nur die AfD stärke.

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Foto: dpa/Fernando Gutierrez-Juarez

Richtig ist, dass Merz und seine Getreuen zwar die Ampelkoalition für ihre Reformvorhaben in der Migrationspolitik - Zuwanderung von Fachkräften, Erleichterung der Einbürgerung - gescholten haben. Einwanderung in die Sozialsysteme müsse verhindert und die Staatsbürgerschaft dürfe nicht „verramscht“ werden. Damit glaubt man, die Stimmung in der Bevölkerung zu treffen. Doch zugleich will Merz sich einer Modernisierung der Migrationspolitik grundsätzlich nicht verschließen. Also reitet man nicht zu sehr auf den Vorhaben der Ampel herum. Die Union spürt genauso den Druck der Wirtschaft, die dringend Arbeitskräfte benötigt und auf Zuwanderung setzt.

Dass dem so ist, wird auch in der Debatte deutlich – freilich vor allem durch die Ampel-Redner. Mit dem Chancen-Gesetz sollen konkret Menschen ohne gesicherten Status, die zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre im Land leben und nicht straffällig geworden sind, 18 Monate Zeit bekommen, um die Voraussetzungen für einen langfristigen Aufenthalt zu erfüllen. Es sei „ein Gesetz der Vernunft“, so SPD-Experte Helge Lindh. Das entspreche den Wünschen vieler Arbeitgeber und Unternehmer. Die Grüne Filiz Polat erklärt, man beende das „entwürdigende System der Kettenduldungen“. Zivilgesellschaft, Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaft hätten Reformen seit Jahren gefordert. „Ausbildung statt Abschiebung“, ruft die Grüne. Jeder habe Fälle in seinem Wahlkreis, wo gut ausgebildet Kräfte zum Leidwesen der Betriebe abgeschoben worden seien.

AfD-Mann Bernd Baumann wettert hingegen: „Illegale sollen Legale werden, was für eine Verhöhnung des Rechtsstaates.“ Dem hält FDP-Parlamentsgeschäftsführer Stephan Thomae entgegen: „Wir brauchen eine wirksame Migrationskontrolle, wir brauchen aber auch eine bessere Integrationsförderung.“ Darauf reagiere die Ampel jetzt. Und irgendwie auch ein Teil der Union.

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