Seeheimer Kreis gegen Parteiausschluss Bundesbank-Vorstand stellt Sarrazin zur Rede

Frankfurt/Berlin (RPO). Der Bundesbank-Vorstand will am Mittwochvormittag sein Mitglied Thilo Sarrazin zur Rede stellen. Das Gespräch über dessen umstrittene Äußerungen zu Migranten hatte die Spitze des Geldinstituts am Montag angekündigt. In der SPD wächst unterdessen der Widerstand gegen einen Parteiausschluss Sarrazins.

Sarrazin bei der Buchvorstellung "Deutschland schafft sich ab"
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Welche Konsequenzen das Gremium aus dem Gespräch zieht, gilt als offen. Bundespräsident Christian Wulff, der eine Entlassung bestätigen müsste, wollte sich zu dem Vorgang nicht äußern.

Zur Wahrung der Unabhängigkeit der Notenbank ist die Abberufung eines Vorstands nur unter extremen Schwierigkeiten möglich. Nach Einschätzung des Bundesverbands der Arbeitsrichter kann Sarrazin seinen Job quasi nicht verlieren. "Die Aussagen Sarrazins, mögen sie als noch so abstrus empfunden werden, reichen kaum aus, um ihn deshalb zu entlassen", sagte der Verbandsvorsitzende Joachim Vetter der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Rauswurf lässt sich juristisch nicht begründen

Allein mit einem Verstoß gegen den Verhaltenskodex lasse sich ein Rauswurf Sarrazins juristisch nicht begründen. "Voraussetzung dafür wäre eine gravierende dienstliche Verfehlung", sagte Vetter weiter. Es sei aber mehr als fraglich, ob sich diese aus privaten Meinungsäußerungen ohne Zusammenhang mit dem Amt herleiten lasse.

Doch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), erklärte in den "Ruhr Nachrichten", Sarrazin spreche in einer "unangemessen polemischen Form" und sei als Bundesbank-Vorstand nicht mehr tragbar.

Die Bundesbank hatte Sarrazin bereits nach ersten kontroversen Äußerungen gerügt und ihm im Oktober 2009 die Zuständigkeit für das Bargeld entzogen. Er blieb aber Vorstand für Informations-Technik und Risiko-Controlling. Im Mai 2010 bekam er allerdings die Revision hinzu.

Ein Schaden für die Bundesbank

Am Montag hatten die anderen Vorstandsmitglieder erklärt, "dass die Äußerungen von Dr. Sarrazin dem Ansehen der Bundesbank Schaden zufügen". Ob dies jedoch ausreicht für eine Entlassung, wird von Juristen eingehend geprüft. Eine Entlassung müsste theoretisch vom Bundesbank-Vorstand beschlossen, dann vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden und obendrein auch den Segen der Bundesregierung finden.

"Der Bundespräsident kann sich nicht äußern zu Vorgängen, die er im Rahmen seiner Amtsgeschäfte eventuell noch juristisch prüfen muss", teilte ein Sprecher von Bundespräsident Wulff mit.

Sarrazins früherer Chef, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, unterstützte das SPD-Parteiverfahren gegen Sarrazin. "Ich bedauere dies, dass wir dazu gezwungen werden", sagte er im Bayerischen Rundfunk. "Die Thesen von Thilo Sarrazin sind mit der sozialdemokratischen Grundidee, nämlich der sozialen Gerechtigkeit, nicht vereinbar."

Sarrazin "offensichtlich nicht ausgelastet"

Sarrazin war sieben Jahre lang, von Januar 2002 bis April 2009, Berliner Finanzsenator unter Wowereit. Ein Radikaler sei Sarrazin aber nicht, ergänzte Wowereit. Er sei jemand, der sich in der Pose desjenigen gefalle, der Dinge ausspreche, die andere nicht zu sagen wagten. "Er ist offensichtlich bei der Bundesbank nicht ausgelastet und freut sich über den Medienrummel, der entstanden ist. Es ist auch ein großes Stück Eitelkeit dabei", sagte er.

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte in der "Leipziger Volkszeitung": "Wenn die Bundesbank jetzt nicht mit einem Rauswurf handelt, wäre das nur der Beleg dafür, dass der Rechtspopulismus mit dem Champagnerglas in den oberen Etagen Einzug hält."

Die bisherige Reaktion der Bundesbank stieß im Zentralrat der Juden in Deutschland auf Kritik. Vizepräsident Dieter Graumann sagte "Handelsblatt Online": "Ich war selbst als jüngerer Mann etwa zweieinhalb Jahre Mitarbeiter in der volkswirtschaftlichen Abteilung der Deutschen Bundesbank. Damals wären solche Aussagen eines Vorstands der Bundesbank undenkbar gewesen. Sie sollten es auch heute sein."

SPD-Widerstand gegen Parteiausschluss

In der SPD wächst der Widerstand gegen einen Parteiausschluss Sarrazins. "Ich bin gegen ein solches Ausschlussverfahren", sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, dem Berliner "Tagesspiegel". "Man darf keinen Märtyrer aus Sarrazin machen", warnte er. Dessen umstrittenes Buch disqualifiziere sich selbst.

Kahrs forderte zugleich den Bundestag zu einer breiten Diskussion über den Stand der Integration von Migranten auf. Insbesondere über die Fehler und Versäumnisse im Bildungsbereich müsse gesprochen werden.

Zuvor hatte sich bereits der Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), gegen einen Ausschluss gestellt. Eine Volkspartei müsse "unbequeme, ärgerliche und störende Diskussionen aushalten", betonte er in der ARD.

(apd/nbe)
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