Trotz hoher Umfragewerte Bütikofer rät Grünen von eigenem Kanzlerkandidaten ab

Berlin · 17 Jahre nach ihrem letzten Grundsatzprogramm legen sich die Grünen einen neuen Kompass zu. Der frühere Vorsitzende Reinhard Bütikofer rät der Partei, trotz hoher Umfragewerte auf dem Teppich zu bleiben und keinen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen.

 Reinhard Bütikofer.

Reinhard Bütikofer.

Foto: dpa/dpa, tfr pil

Eine neue Erzählung ist fällig – nach 17 Jahren Pause. Die Grünen machen sich erstmals seit 2002 wieder an ein neues Grundsatzprogramm. Damals schrieb die Ökopartei, die da bereits vier Jahre Teil der rot-grünen Bundesregierung war, über 187 Seiten auf, wie sie sich idealerweise die Welt vorstellt. Zum Vergleich: Das erste Grundsatzprogramm der Grünen aus ihrem Gründungsjahr 1980 war gerade Mal ein Viertel so dick. Mit 47 Seiten, mit gerade zwei Seiten Präambel, habe man die die „Bonner Republik“ herausgefordert, schreibt der heutige Politische Bundesgeschäftsführer, Michael Kellner. 1993 dann das zweite Grundsatzprogramm, als die Welt nach dem Fall der Mauer eine andere geworden war – und die westdeutschen Grünen sich mit dem ostdeutschen Bündnis 90 zu einer gesamtdeutschen Partei zusammengeschossen hatte.

Nun wollen die Grünen ihre Grundsätze erneut für eine sich seither dramatisch veränderte Zeit neu formulieren. Ende März versammeln sich die Grünen zu einem großen Grundsatzkonvent in Berlin – unter der Überschrift: „Neue Zeiten. Neue Antworten. Grundsatz wird Programm.“ 800 Teilnehmer – Mitglieder wie auch Nicht-Mitglieder – sollen dann in der „Arena“ im Bezirk Treptow über einen Zwischenbericht des geplanten neuen Grundsatzprogrammes diskutieren. Bis Herbst 2020, dem Jahr ihres 40. Parteigeburtstages, sollen die neuen politischen Grundsätze der Grünen dann beschlossen sein, so der bisherige Plan.

Wenn er aufgeht, wäre dies rechtzeitig vor dem Jahr der nächsten Bundestagswahl, immer vorausgesetzt, diese große Koalition hält die gesamte Legislaturperiode bis 2021 durch, worüber seit dem Wechsel an der CDU-Spitze von Angela Merkel zu Annegret Kramp-Karrenbauer heftig spekuliert wird. Denn immer wieder wird die Frage gedreht und gewendet: Gibt es womöglich noch in diesem Jahr einen Wechsel an der Spitze des Bundeskanzleramtes? Und würden die Grünen dann – womöglich gar ohne Neuwahl – Kramp-Karrenbauer im Bundestag mit zur Bundeskanzlerin wählen?

Ex-Grünen-Vorsitzender Reinhard Bütikofer, der von 2002 bis 2008 an der Spitze der Bundespartei stand, sagte dazu dieser Redaktion: „Auf mich kommt es nicht an, aber ich wäre strikt gegen eine Grüne-Regierungsbeteiligung ohne vorherige Neuwahl.“ Die Grünen von heute sind ihrem Gewicht nach deutlich gewachsen. Bütikofer sagt über das neue Selbstbewusstsein: „Vor 20 Jahren waren wir das Beiboot, inzwischen fahren wir nach eigenem Fahrplan. Ob wir tatsächlich ein Dickschiff werden, müssen wir sehen.“

Längst gelte: „Wir definieren uns schon lange nicht mehr als Bindestrichpartei in Abhängigkeit von möglichen Koalitionspartnern, sondern zeigen, für welche politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Richtung sich die Wählerinnen und Wähler auf uns Grüne verlassen können.“ Trotz hoher Umfragewerte rät er seiner Partei aber von einem eigenen Kanzlerkandidaten bei der nächsten Bundestagswahl ab. „In Bayern haben wir im Landtagswahlkampf bewiesen, dass es nicht darauf ankommt, ob man einen Ministerpräsidenten-Kandidaten hat, um die Alternative zur CSU zu sein. Wir streben Grüne-Mehrheitsfähigkeit wie in Baden-Württemberg an. Und in Baden-Württemberg sagte Kretschmann 2011: ,Das Amt muss zum Manne komme‘. Von mir aus auch zur Frau.“ Er betonte: „Wir werden kein Wiedergänger der Westerwelle-FDP sein, der mit der Umfragezahl 18 oder irgendeiner anderen Zahl auf der Schuhsohle angibt.“

Nun also ran an das neue Grundsatzprogramm, von dem der Politische Bundesgeschäftsführer Kellner sagt: „Das Grundsatzprogramm als solches ist schon immer mehr für uns Grüne gewesen, als eine bloße Auflistung von Zielen und Forderungen. Es ist so etwas wie unsere verschriftlichte grüne Wurzel, darin findet sich unsere Geschichte und Zukunft.“ Dass die große Grünen-Programmdebatte gerade auch im Jahr der Europa-Wahl stattfindet, hat gute Gründe.

Die Grünen betrachten Europa als eines ihrer Kernthemen. Mit Europa habe die „Erfolgsgeschichte“ der Partei begonnen, heißt es in der Grünen-Zentrale. Weitere zentrale Themen des neuen Grundsatzprogrammes sollen natürlich Klima, Agrarpolitik, aber auch Sicherheit im freiheitlichen Rechtstaat, öko-soziale Marktwirtschaft oder Impulse für ein soziales Garantiesystem sein.

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