Nicht mal im Kernpunkt einig Bürgerversicherung: Alle reden davon und jeder meint etwas anderes

Berlin (rpo). Die Bürgerversicherung ist derzeit in aller Munde. SPD, Grüne, Gewerkschaften oder Wissenschaftler, alle reden darüber. Nur, jeder meint damit etwas anderes.

Nicht einmal im Kernpunkt - nämlich der Einbeziehung aller Berufsgruppen und Einkunftsarten - sind sich die Visionäre des Gesundheitswesens einig.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hätte die Debatte am liebsten gar nicht erst aufkommen lassen. Zunächst müsse die zwischen Regierung und Union ausgehandelte Gesundheitsreform umgesetzt werden, argumentierte er noch vor kurzem. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering bremste mit dem Hinweis, es sei alles noch nicht zu Ende gedacht. Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) legte sich nicht ganz so strikt fest.

Allen Kanzler-Mahnungen zum Trotz ließen sich die Grünen das von ihnen seit langem gehegte Thema nicht vermiesen. "Wir bleiben im Tempo und damit treibende Reformkraft in diesem Land", sagte Grünen- Chef Reinhard Bütikofer am Montag. Zuvor hatte der Parteirat den ersten "Diskussionsvorschlag" skizziert.

"Nicht im Vagen und Verschwommenen"

Der einstimmige Beschluss fiel mit dem Votum von Außenminister Joschka Fischer, der sich in den vergangenen Wochen schon zwei Mal mit prominent angebrachten Interviews an die Spitze der Bewegung gesetzt hatte. Zwar folgte ihm der Parteirat im wichtigen Detail nicht - zumindest jetzt noch nicht. Doch sieht die Parteispitze das Engagement ihres inoffiziellen Chefs positiv. Immerhin habe der Vizekanzler, so Parteichef Bütikofer, "durch deutliche Artikulation" dafür gesorgt, "dass die Debatte nicht im Vagen und Verschwommenen bleibt".

Offensichtlich sorgte Fischer auch für Bewegung beim Koalitionspartner. Angesichts des grünen Treibens sprang die SPD vor einer Woche überraschend auf den Zug auf, zog aber gleichzeitig die Notbremse. Generalsekretär Olaf Scholz präsentierte eine Minimal- Version von Bürgerversicherung.

Zwei wesentliche Positionen der Grünen sind darin nicht enthalten. Das bekräftigte Scholz an diesem Montag noch einmal. Ende September will der SPD-Vorstand sich festlegen. Auf dem Parteitag Mitte November in Bochum dürfte die Parteispitze allerdings auf weitergehende Wünschen von SPD-Linken und -Konservativen stoßen.

Grünen-Pläne stoßen auf Ablehnung

Bei den Gewerkschaften und in der Wirtschaft stießen die Grünen- Pläne erst einmal auf Ablehnung. Die Bundesregierung bemüht sich derweil weiter, den Eindruck zu vermeiden, als stünde eine Entscheidung schon bald an. Zunächst, so bekräftigt Regierungssprecher Bela Anda immer wieder, müssten die Parteien in den dafür zuständigen Gremien entscheiden.

Von baldigen Entscheidungen träumen auch die Grünen nicht. Alle Umfragen zeigten, dass die Bürgerversicherung dem breiten Publikum noch keineswegs geläufig sei, sagt Bütikofer. Innerparteilich wollen die Grünen bei einem Parteitag im Jahr 2004 zu einem geschlossenen Modell kommen. Mit der SPD wollen sie sich dann bis 2006 verständigen und bei der Bundestagswahl auch über die Bürgerversicherung abstimmen lassen. Gesetz würde sie erst lange danach.

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