Dschihad-Ehen in Syrien Der Bürgerkrieg lockt junge Mädchen aus Deutschland an

Stuttgart · Von jungen Islamisten, die von Deutschland aus als Kämpfer in den syrischen Bürgerkrieg ziehen, war in den vergangenen Monaten immer wieder zu hören. Aber eine 16-jährige Schülerin - aus Liebe? Sicherheitskreise sprechen vom Phänomen der "Dschihad-Ehen".

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"Es gab schon früher vereinzelt Frauen, die etwa nach Waziristan (in der pakistanisch-afghanischen Grenzregion) in den Kampf gezogen sind. Syrien ist jetzt ein neues Phänomen, auch weil das Land über die Türkei mit einem Personalausweis leichter zu erreichen ist", sagt der Islamismusfachmann des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Herbert Landolin Müller, der dpa in Stuttgart.

Die Gymnasiastin aus Konstanz am Bodensee, Tochter eines Algeriers und einer Deutschen, will in Syrien einen islamistischen Kämpfer aus Köln heiraten. Im Herbst 2013 fliegt die Zehntklässlerin von Stuttgart aus zunächst in die Türkei, mit einer gefälschten Vollmacht ihrer Eltern. Den Sicherheitsbehörden sind noch andere Fälle junger Frauen bekannt, die die Ausreise nach Syrien anstreben oder planen.

Die Mädchen "mit einer eigenen islamistischen Motivation" kämen ganz unvorbereitet in Syrien an, sagt Müller. Er sieht die Gefahr, dass sie dort nachhaltig Schaden erleiden. "Sie könnten auch, wie bereits einige ihrer männlichen Pendants, als Kanonenfutter enden", warnt er.

Die Kontakte nach Syrien knüpften die Mädchen meist über soziale Netzwerke. "Es entstehen sogenannte Kennverhältnisse, die sich dann entwickeln", erklärt Müller. Seiner Erfahrung nach erliegen die jungen Frauen einer falschen Romantik, träumen von einem "Löwen", der gegen die Tyrannen und das "unislamisch Böse" kämpft. "Sie glauben daran, dass es in ihrer neuen Welt keine Verbrechen gibt, dass Frauen nicht wie im Westen als Sexualobjekte betrachtet und sie von ihrem Ehemann gerecht behandelt werden."

Diesem Traum erliegt wohl auch die 16-Jährige aus Konstanz. Anfangs betreibt sie nach ihrem Verschwinden noch sehr aktiv eine Facebook-Seite mit dem Namen "Amatul Aziz al Muhajira". Dort postet sie nicht nur Zitate aus ideologischen oder religiösen Schriften, sondern unterstützt auch den "Dschihad" ("Heiligen Krieg"). Zur Person gibt sie an, seit dem 4. Januar 2014 verheiratet zu sein und für Allah zu arbeiten. Inzwischen ist die Facebook-Seite inaktiv, das Mädchen hinterlässt aber Spuren bei YouTube und Google+.

Das Innenministerium in Stuttgart sieht gerade in der salafistischen Szene geschickte Meinungsführer am Werk, die das Bedürfnis der häufig sehr jungen Anhänger verstärken, etwas für die vermeintlich "gute Sache" zu tun. "Sie nutzen die jugendliche Naivität und die Bereitschaft zu idealistischem Engagement aus. Beispielsweise erklären sie den Dschihad zu einer religiösen Pflicht und schüren religiös fundierte Ängste", sagt Innenminister Reinhold Gall (SPD).

Behörden sind machtlos

Im Fall der 16-Jährigen gebe es derzeit keine Möglichkeit, über ein Rechtshilfeersuchen an Syrien heranzutreten - das Gebiet sei kein funktionierendes Staatssystem. "Bislang bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Sarah O. aus eigenen Stücken zurückkehren möchte. Erst wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Sarah O. Syrien verlässt und beispielsweise türkischen Boden betritt, werden Maßnahmen im Rahmen von Rechtshilfeersuchen möglich", betont Gall.

Einen sogenannten Sensibilisierungshinweis seines Hauses habe das Kultusministerium im Januar an die Schulen im Land weitergeleitet. Er macht auf die Gefahr aufmerksam, dass radikalisierte Jugendliche womöglich versuchen, nach Syrien zu gelangen. "Darin wird um umgehende Kontaktaufnahme mit der Polizei oder dem Landesamt für Verfassungsschutz bei Verdachtsfällen gebeten", sagt Gall.

Nahezu alle Islamisten aus Deutschland in Syrien stehen aufseiten der als besonders brutal geltenden Organisation Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS). Die salafistische Terrormiliz gilt als ein Ableger des Terrornetzes Al-Kaida, hat sich aber mit deren Führung überworfen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz befürchtet, dass auch in Deutschland die Terrorgefahr steigen könnte, wenn die Islamisten kampferprobt hierher zurückkehren.

Seit Beginn des Bürgerkrieges sind nach heutigem Stand etwa 320 Islamisten aus Deutschland nach Syrien gereist. Aus Erkenntnissen deutscher Geheimdienste geht hervor, dass sie von den dort kämpfenden Terrororganisationen geradezu "verheizt" würden.

(dpa)
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