Fragen und Antworten zum Hartz-IV-Nachfolger Neue Regeln für Bezieher des künftigen Bürgergelds

Berlin · Das Bürgergeld ist auf der Zielgeraden: Der Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern hat den Gesetzentwurf in einer kurzen Sitzung gebilligt. Damit gelten ab Januar für mehr als fünf Millionen Menschen neue Regeln beim Bezug der Sozialleistung.

 CDU-Chef Friedrich Merz (links) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) trafen sich am Mittwoch im Bundestag – zuvor hatten sie die Bürgergeld-Streitfragen geklärt.

CDU-Chef Friedrich Merz (links) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) trafen sich am Mittwoch im Bundestag – zuvor hatten sie die Bürgergeld-Streitfragen geklärt.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Zufriedene Gesichter bei SPD und Union, gemischte Gefühle bei Grünen und FDP: Im Schnellverfahren haben sich die Ampel-Koalition und die Union zu Wochenbeginn auf Kompromisse beim geplanten Bürgergeld-Gesetz geeinigt. Die SPD feiert den „wirklichen Kulturwandel“, der mit dem Bürgergeld einhergehe, für sie ist das Trauma Hartz IV damit überwunden. Die Union sieht sich als Siegerin der Verhandlungen, denn sie konnte viel durchsetzen. Grüne und FDP mussten dagegen Federn lassen. Am Mittwochabend einigte sich der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat wie erwartet auf die Nachfolgeregelung. Nun muss der Kompromiss noch offiziell beschlossen werden. Große Änderungen wurden nicht mehr erwartet. Wir klären die wichtigsten Fragen.

Was ist das Bürgergeld? Die Sozialleistung soll ab 1. Januar 2023 das bisherige Arbeitslosengeld II (im Volksmund Hartz IV) ablösen, das 5,3 Millionen Menschen in Deutschland beziehen. Die Leistung erhält für sich und seine Familie, wer nach dem bis zu zweijährigen Bezug des regulären Arbeitslosengeldes weiterhin erwerbslos ist.

Wie hoch ist das Bürgergeld? Der Regelsatz wird ab Januar für einen Single um 53 Euro oder gut elf Prozent auf 502 Euro monatlich angehoben. Für Ehe- oder Lebenspartner erhöht sich der Satz auf jeweils 451 Euro, für Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren auf 420 Euro, für Sechs- bis 13-Jährige auf 348 Euro und für jüngere Kinder auf 318 Euro. Das Sozialamt übernimmt zudem Kaltmiete, Betriebskosten (ohne Strom) und Heizkosten in angemessener Höhe. Während der Corona-Pandemie wurde bereits in den vergangenen zwei Jahren die Prüfung der Angemessenheit einer Wohnung ausgesetzt. Die Städte legen aber jedes Jahr Obergrenzen für die Mieten fest, die weiterhin galten.

Für wen gelten diese Regelsätze noch? Die gleichen Regelsätze erhalten die rund 1,1 Millionen Bezieher der Grundsicherung im Alter, deren gesetzliche Rente nicht für den Lebensunterhalt ausreicht. Auch rund eine Million Empfänger von Sozialgeld, die als nicht erwerbsfähig eingestuft sind, bekommen die gleichen Regelsätze.

Was gilt künftig bei den Sanktionen? Bisher wollte die Ampel eine so genannte Vertrauenszeit von sechs Monaten nach Beginn des Bezugs einführen, in der die Ämter weitgehend auf Sanktionen bei Regelverstößen verzichten. Eine Kürzung des Regelsatzes um zehn Prozent sollte vorübergehend nur dann noch möglich sein, wenn jemand mehrfach beim Amt nicht erscheint. Die Vertrauenszeit wurde nun auf Druck der Union komplett gestrichen. Nun sind Kürzungen um bis zu 30 Prozent vom ersten Tag an möglich, wenn etwa ein Jobangebot grundlos nicht angenommen wird. Vor allem die Grünen mussten hier nachgeben. Bisher wird nur in drei Prozent aller Fälle sanktioniert. Oft sehen die Job-Center von einer möglichen Strafe aus unterschiedlichen Gründen ab.

Worauf einigten sich Ampel und Union beim Schonvermögen? Bisher sollte nach den Ampel-Plänen ein Haushaltsvorstand bis zu 60.000 Euro Erspartes plus 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied nicht antasten müssen, wenn er das Bürgergeld bezieht – plus die Altersvorsorge-Verträge oder eigene Immobilie. Diese Summen wurden jetzt auf Drängen der Union auf 40.000 Euro für den Haushaltsvorstand und 15.000 für jedes weitere Haushaltsmitglied reduziert.

Was gilt bei der „Karenzzeit“? Die Ampel wollte die Prüfung der Angemessenheit einer Wohnung und des Vermögens in den ersten zwei Jahren des Bezugs aussetzen. Auf Druck der Union wurde diese so genannte Karenzzeit auf ein Jahr reduziert. Die Zeit soll gewährt werden, damit sich Betroffene nicht gleich zu Beginn des Bezugs eine neue Wohnung suchen müssen. In der Realität kommt es allerdings bisher nur in ein Prozent aller Fälle zu einem erzwungenen Umzug. Den Ämtern und Kommunen ist klar, dass günstiger Wohnraum kaum noch zu finden ist.

Was gilt bei den Hinzuverdienstregeln? Künftig sollen Bezieher für selbst Verdientes zwischen 520 und 1000 Euro im Monat 30 Prozent behalten dürfen, der Rest wird auf das Bürgergeld angerechnet, das heißt es mindert sich um das Selbstverdiente. Bisher lag der Abzug bei 80 Prozent. Ökonomen halten diese Änderung für nicht weitgehend genug, um Anreize für Mehrarbeit zu setzen. Vor allem die FDP hatte sich hier vergeblich für mehr eingesetzt. Die Verbesserung erhöht allerdings den Empfängerkreis, was beim Staat Mehrausgaben verursacht. Möglich war allerdings, dass der Vermittlungsausschuss hier am Mittwoch noch einmal nachbessert.

Was soll sich bei der Betreuung verbessern? Künftig sollen Bezieher mehr Aus- und Weiterbildungsangebote erhalten. Der Vermittlungsvorrang wird abgeschafft, die Job-Center sollen „auf Augenhöhe“ respektvoll mit den Beziehern umgehen. Während einer bis zu dreijährigen Berufsausbildung muss kein anderer Job mehr angenommen werden. Wer eine Weiterbildung macht, soll 150 Euro monatlich als Bonus erhalten.

Wie viel Sozialhilfe erhalten Bezieher in Großbritannien und Frankreich? Ein Empfänger des „Universal Credit“ in Großbritannien erhält einen Regelsatz von 334,91 Pfund oder 388 Euro im Monat. Wer über ein Vermögen von mehr als 16.000 Pfund oder 18.500 Euro verfügt, hat keinen Anspruch. Frankreich ist großzügiger: Wer das „Revenue de Solidarité Active“ (RSA) beantragt, bekommt als Single 598,54 Euro monatlich. Für Alleinerziehende mit einem Kind erhöht es sich auf 897,81 Euro, mit zwei Kindern auf 1077,37 Euro. Ein Paar erhält so viel wie Alleinerziehende mit Kind. Die Pariser Regierung will in einer Reform durchsetzen, dass Bezieher als Gegenleistung mindestens 15 bis 20 Stunden pro Woche arbeiten.

Wie bewertet der Steuerzahlerbund den Kompromiss? Steuerzahlerpräsident Reiner Holznagel warnt vor erheblichen Mehrbelastungen der Steuerzahler. „Das Bürgergeld wird so oder so teurer – schon allein durch die notwendige Anhebung der Regelsätze. Mehr noch: Aufgrund der Rahmenbedingungen, die beim Bürgergeld – im Vergleich zu Hartz IV – erweitert werden, ist eine Zunahme beim Empfängerkreis zu erwarten“, sagte Holznagel unserer Redaktion. „Auch dadurch, dass der ,Vermittlungsvorrang´ wegfällt, dürfte die durchschnittliche Verweildauer in der Grundsicherung zunehmen. Die Kosten des neuen Grundsicherungssystems werden wohl deutlich steigen und könnten mit Blick auf die weitgehende Übernahme von Miet- und vor allem der hohen Heizkosten für die Steuerzahler noch teure Überraschungen bergen“, warnte der Präsident der Steuerzahlerbundes.

„Der Kompromiss der Politik für das neue Bürgergeld birgt Sprengkraft für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, so Holznagel. „Die Folgekosten für die Steuerzahler dürfen nicht unterschätzt werden. Viele Bürger und Betriebe müssen sich derzeit deutlich einschränken – ob durch steigende Energiekosten, eine hohe Abgabenbelastung oder den zunehmenden Arbeitskräftemangel. Die wirtschaftliche Substanz Deutschlands ist deshalb an vielen Ecken und Enden bedroht, zugleich müssen Bürger und Betriebe immer mehr Staatsleistungen über ihr Steuergeld finanzieren“, sagte Holznagel. „Wir brauchen aber ein ausgewogenes und zielgenaues System von Geben und Nehmen, von Hilfe zur Selbsthilfe für Menschen in Not, um eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft zu schaffen“, forderte er.

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