EU-Kommission Brüsseler Beamte fordern Verheugens Rücktritt

Brüssel (RPO). Der Streit zwischen EU-Kommissar Günter Verheugen und den Mitarbeitern der Kommission spitzt sich weiter zu. Die Beamten haben Kommissionspräsident José Manuel Barroso indirekt aufgefordert, seinen Industriekommissar zum Rücktritt zu bewegen. Verheugen hatte kürzlich den Beamtenapparat scharf kritisiert.

"Wir Beamten können den Rücktritt von Herrn Verheugen nicht verlangen. Aber es gibt einen Verhaltenskodex für Kommissare. Ich denke deshalb, dass es an Barroso oder Verheugen ist, die Verantwortung zu übernehmen", sagte Personalvertreter Jean-Louis Blanc am Freitag in Brüssel.

In der Kommission herrscht große Unruhe über Verheugens Kritik an den seiner Ansicht nach zu mächtigen EU-Beamten. Zudem sieht sich Verheugen selbst mit dem Vorwurf der Günstlingswirtschaft konfrontiert, weil er im Frühjahr eine langjährige Mitarbeiterin zur Kabinettschefin beförderte, mit der er im Sommer in Litauen Urlaub machte. Der Industriekommissar hat dazu Anfang vergangener Woche gegenüber der "Bild"-Zeitung erklärt: "Wir werden mit eidesstattlichen Erklärungen beweisen, dass es zum Zeitpunkt der Berufung und heute keine über Freundschaft hinausgehende Beziehung gab."

Bei einem Treffen mit Barroso am Donnerstag habe die Personalvertretung den Kommissionspräsidenten gewarnt, dass der Fall der 1999 zurückgetretenen Kommission von Jacques Santer "auf die gleiche Weise" begonnen habe, sagte Blanc, der Vorsitzende des europäischen Beamtenbunds. "Es gab Kommunikationsprobleme, die nicht beherrscht wurden." Die Kommission stürzte damals über Vorwürfe der Günstlingswirtschaft gegen die französische Kommissarin Edith Cresson. Sie bezogen sich vor allem auf die Zahlung von rund 134.000 Euro an einen mit Cresson befreundeten Zahnarzt, der die vereinbarte wissenschaftliche Leistung nie erbrachte.

Anders als in diesem Fall handelt es sich bei Verheugens Kabinettschefin allerdings um eine langjährige und selbst nach Aussagen von Kritikern des Kommissars verdiente Mitarbeiterin, an deren fachlicher Eignung für den Posten bislang niemand Zweifel vorgebracht hat. Kommissionschef Barroso hat bereits erklärt, bei ihrer Berufung seien alle Regeln eingehalten worden.

Blanc kritisierte, Barroso habe Forderungen der Personalvertretung nach einem Ethik-Komitee für die Kommission abgelehnt. Die Beschäftigten wünschten ein unter anderem mit Gewerkschaftsvertretern besetztes Komitee, das über "die Einhaltung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und den Verhaltenskodex der Kommissare" wachen solle. Barroso habe diese Forderung mit dem Hinweis zurückgewiesen, diese Aufgabe erfülle bereits die Rechtsabteilung der Kommission.

Deren Pressestelle teilte zu dem Treffen am Donnerstag lediglich mit, Barroso sei auf Sorgen der Beschäftigten "bezüglich der Personalpolitik und des Rufs der Kommission sowie ihrer Mitarbeiter" eingegangen. Er habe zudem "das Engagement und die Exzellenz des Personals" betont.

Die "Financial Times Deutschland" (FTD) berichtete am Freitag, Vertreter aller EU-Beamtengewerkschaften und Personalräte der EU-Kommission forderten in einem offenen Brief, dass sich Verheugens Kollegen kollektiv von ihm distanzieren. Das Schreiben stelle den Verbleib Verheugens im Amt offen in Frage: "Es stellt sich die Frage, ob Herr Verheugen noch seinen Platz im Kollegium der Kommission hat", zitiert die "FTD" aus dem Brief.

(ap)
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