Unionsfraktion Ein Hauch von Anarchie in der Union

Berlin · Ralph Brinkhaus fängt in seiner ersten Sitzung als neuer Fraktionschef mit Veränderungen an. Kampfkandidaturen könnte es jetzt öfter geben.

 Ralph Brinkhaus läutet erstmals die Fraktionssitzung ein.

Ralph Brinkhaus läutet erstmals die Fraktionssitzung ein.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Es ist ein ungewohntes Bild. 13 Jahre lang hat Volker Kauder dienstags um 15 Uhr die große goldfarbene Glocke in die Hand genommen und geläutet, damit die CDU- und CSU-Bundestagsabgeordneten sich hinsetzen und die Journalisten den Saal verlassen mögen. Nun steht dort vorn neben Kanzlerin Angela Merkel der Westfale Ralph Brinkhaus, der dem Baden-Württemberger Kauder vor zwei Wochen in einer Kampfkandidatur überlegen war. Der 50-jährige Erneuerer und Brückenbauer anstelle des 69-jährigen Bewahrers und Merkel-Vertrauten.

Es ist bereis nach drei Uhr als Brinkhaus erstmals, fast ein wenig verschämt, aber doch lächelnd die Glocke läutet. CSU-Chef Horst Seehofer ist diesmal auch da. Es soll über die Ergebnisse des Koalitionsausschusses aus der Vorwoche berichtet werden. Der Bundesinnenminister referiert über die Vereinbarungen zum Fachkräftezuwanderungsgesetz. Abgeordnete lassen nach draußen durchsickern, endlich werde mal wieder diskutiert. Die Leute trauten sich, etwas zu sagen. Als wären sie von Kauder unterjocht worden.

Der alte Chef wird nicht gesehen. Er trage schwer an diesem tiefen Fall, heißt es. Man werde sehen, ob und wenn wie er Bundestagsabgeordneter bleibe. Manchen wünschen sich, er wäre jetzt da - um trotz allem ein Zeichen des Zusammenhalts zu setzen. Denn immerhin war er von fast der Hälfte der Abgeordneten gewählt worden.

Brinkhaus hat schon vor Sitzungsbeginn nach außen ein Signal der Veränderung gesendet. Die Tagesordnungen für die Sitzung sollen früher verschickt werden. Man glaubt es kaum, dass eine solche Formalie bereits als Aufbruch verstanden wird. Das wird aber einer der Hauptaufgaben der Fraktion unter Brinkhaus sein: Zuversicht nach außen zu versprühen, verlorenes Vertrauen durch die mühseligen Koalitionsverhandlungen zurückgewinnen. Zum Beispiel dadurch, dass sich die Abgeordneten öfter aus dem Hohen Haus hinausbewegen, um Botschaften vor Ort und nicht nur im Sitzungssaal zu platzieren, wie es heißt. Die Volksparteien seien in Gefahr. Sie müssten die Bürger wieder erreichen.

Brinkhaus gibt die Statements vor den Kameras auf der dritten Etage des Bundestags vor der Sitzung anders als Kauder nicht mehr allein, sondern mit einem seiner Stellvertreter. Es solle die Breite der Fraktion sichtbar werden, sagt er. Vize Hermann Gröhe berichtet über die Verbesserungen im Rentensystem, die gleich Thema seien.

Interessanter sind aber die Wahlen an diesem Nachmittag. Brinkhaus bisheriger Posten als Stellvertreter muss nachbesetzt werden. Schon wieder eine Kampfkandidatur, die bei CSU und CDU so selten ist. Es weht ein Hauch von Anarchie durch die Union. Aus Proporzgründen soll die CDU-Landesgruppe aus Baden-Württemberg den Posten bekommen. Deren Chef Andreas Jung wurde von der Landesgruppe nominiert. Doch es gibt einen Gegenkandidaten aus Karlsruhe: Der Finanzpolitiker Olav Gutting. Brinkhaus, selbst Finanzexperte, gibt kein Votum ab. Er positioniert sich nicht. Die Fraktion sei eben frei in ihrer Entscheidung. Den Sieg trägt Jung mit 76,7 Prozent davon.

Brinkhaus äußert sich nicht dazu, wie schwer es wiegen könnte, wenn die CSU an diesem Sonntag bei der Landtagswahl in Bayern schwere Verluste einfahre. Damit habe die Fraktion wenig zu tun, wiegelt er ab. Das könnte er anders sehen, wenn die Schuldzuweisungen von München gegen Berlin ab Montag erst richtig losgehen. Schließlich gehören von den 246 Abgeordneten 46 der CSU an.

Gegen CDU-Chefin Angela Merkel, die im Dezember nach fast 19 Jahren bei der Wahl zum Parteivorsitz wieder antritt, werden nach jetzigem Stand der Dinge gleich drei völlig unbekannte Mitglieder antreten. Bisher hatte sie nie einen Gegenkandidaten. Dass sich nun jeder zutraue, ein solches Amt zu übernehmen, entwerte den Vorsitz ein bisschen, klagen Mitglieder.

Zur Wahl stehen am Dienstag noch die Parlamentarischen Geschäftsführer (PGF). Sie waren nach der Erschütterung durch die Abwahl Kauders vor zwei Wochen nicht angetreten. Inzwischen hat Brinkhaus sie motiviert zu bleiben. Bei allem Wunsch nach Veränderung will er Kontinuität erhalten.

So tritt der erste PGF Michael Große-Brömer wieder an, obwohl er sich zuvor klar für Kauder ausgesprochen hatte. „Stabilität im parlamentarischen Alltagsgeschäft ist wichtig“, sagt der Niedersachse und erzählt von einer offenen und klaren Aussprache mit Brinkhaus. „Das Vertrauen muss wachsen“, sagt er. So wie er an dieser Aufgabe unter Kauder gewachsen sei, der ihm das Amt 2012 angetragen habe. Aus der Verbundenheit zu ihm hatte er sich auch Bedenkzeit erbeten. „Ich konnte nicht zickzack weitermachen. Ich brauchte die berühmte Nacht, über die man schläft.“ Er wird mit 87,9 Prozent wiedergewählt.

(kd)
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