Interview mit der CDU-Politikerin Klöckner "Breche nicht den Stab über Christian Wulff"
Düsseldorf · Julia Klöckner, CDU-Partei- und Fraktionschefin in Mainz, spricht im Interview mit unserer Redaktion über Ganztagsschulen, das Frauenbild des Islam, über den Konservativismus, aber auch über den Bundespräsidenten.
Angela Merkel hat die französische Familienpolitik gelobt. Was können, müssen wir von Frankreich lernen?
Klöckner Wir müssen Gas geben auch zu Gunsten von gut ausgebildeten jungen Frauen. Sie wünschen sich häufig Kinder, Familie und Beruf. Weil sie natürlich die gute Ausbildung auch anwenden möchten. Wir brauchen ein Klima, in dem Kinder willkommen sind und wo Familie, kombiniert mit Arbeitszeit, nicht als Hindernis, sondern als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird.
Brauchen wir Ganztagsschulen in ganz Deutschland?
Klöckner Ich setze auf Wahlfreiheit und möchte niemandem einen Lebensstil vorschreiben. Deshalb brauchen wir ein differenziertes Schulangebot. Dazu gehören auch Ganztagsschulen, und zwar mit einem richtigen schulischen Angebot — auch nachmittags. Allgemeine Betreuung am Nachmittag reicht da nicht aus.
Und das umstrittene Betreuungsgeld für Eltern, die ihr Kleinkind zu Hause betreuen, finden Sie in Ordnung?
Klöckner Das Betreuungsgeld darf nicht zu Lasten des Elterngeldes gehen. Ich würde eher denen, die in den ersten Lebensjahren ihres Kindes zu Hause bleiben — und das ist wahrhaftig auch Arbeit — eine höhere Renten-Anwartschaft einräumen.
Pochen wir genug darauf, dass fundamentalistische Migrantenfamilien die bei uns üblichen Regeln einhalten?
Klöckner Wo Freiheit und Gleichberechtigung des anderen berührt sind, darf es keine Toleranz geben. Bei uns gibt es das Recht auf Religionsfreiheit, es steht aber nicht über den Menschenrechten. Die Einführung von Scharia-Schiedsgerichten, wie sie der rheinland-pfälzische Justizminister Hartloff fordert, ist das falsche Signal. Gerade auch mit Blick auf das rückwärtsgewandte Frauenbild.
Berlins Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky hat gefordert, den Familien von Schulschwänzern das Kindergeld zu kürzen. Richtig so?
Klöckner (lacht) Das hätte bei einigen Familien bestimmt durchschlagenden Erfolg, ist aber rechtlich nicht umsetzbar. Dennoch: Wir sind nicht nur ein Angebots-Land, wir fordern zu Recht auch Verantwortung der Eltern ein. Zu vereinzelten Anordnungen in Schulen mit hohem muslimischem Anteil, wonach zum Beispiel der Hausmeister nicht in die Sporthalle darf, wenn Mädchen turnen, oder Schwimm-Burkas empfohlen werden, sage ich: Das fördert die Desintegration und nicht die Integration — bei allem Respekt vor den unterschiedlichen religiösen Hintergründen. Wir dürfen das, wofür unsere Mütter und Großmütter gekämpft haben, nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Rückwärtsgewandte Frauenbilder des Islam dürfen sich hier nicht ausbreiten. Dafür müssten sich eigentlich auch die Frauen von Rot und Grün stark machen. Stellen Sie sich mal vor, die katholische Kirche würde so etwas fordern: Dann hätten wir Lichterketten von hier nach Brüssel.
Der jetzt 80-jährige Künstler Gerhard Richter hat gesagt, er hoffe nicht, "dass der Wulff" zu seiner Ehrung erscheine. Das Staatsoberhaupt ist offenbar vielen peinlich. Ihnen auch?
Klöckner: Nein, da gibt's andere, für die man sich schämen könnte. Manches ist nicht glücklich gelaufen, aber ich breche nicht den Stab über Christian Wulff. Und entscheidend ist, dass wir seine Arbeit als Bundespräsident beurteilen.
Ein neuer Kreis in der CDU will deren konservatives Element stärken.
Klöckner Kreise an sich sind weder schlecht noch gut. Jeder kann an der Stärkung des konservativen Profils der Volkspartei CDU arbeiten. Ich bin konservativ, aber nicht strukturkonservativ, vielmehr wertkonservativ. Ich selbst benötige keinen extra konservativen Kreis.
Was heißt für Sie, konservativ zu sein?
Klöckner Nehmen Sie unseren Ausgangspunkt, die Familienpolitik. Das Ja zum Elterngeld sowie dazu, dass Männer und Frauen zu Hause bleiben oder im Beruf aktiv sind — das ist für mich kein Widerspruch zu konservativer Werthaltung. Im Gegenteil. Der Wert liegt in einer guten Erziehung und nicht darin, wer am längsten zu Hause geblieben ist.
Reinhold Michels führte das Interview