Vor der Landtagswahl 2019 Die CDU in Brandenburg setzt sich für ein offeneres Verhältnis zu Linken und AfD ein

Berlin · AfD und Linke könnten die CDU im Osten in die Zange nehmen. Brandenburgs CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben denkt quer. Es könnte eine Revolution werden.

 Der Landesvorsitzende der CDU Brandenburg, Ingo Senftleben.

Der Landesvorsitzende der CDU Brandenburg, Ingo Senftleben.

Foto: picture alliance / dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Der Fanclub-Ausweis liegt im Portemonnaie von Ingo Senftleben griffbereit gleich hinter seinem Personalausweis. Die Liebe des Brandenburgers zum 1.FC Köln - so kurios es sich anhören mag - hat etwas mit Heimatgefühl zu tun. Zu DDR-Zeiten lag oft etwas von diesem Fußballverein in Paketen der Westverwandten aus Nordrhein-Westfalen. Ein Wimpel, ein Schal - eine Verbundenheit über die Mauer hinweg. Er schwärme für den Verein, so lange er denken könne, sagt Senftleben, der am Freitag 44 Jahre alt wird.

Die Spieler seien „echte Typen“, früher die Torwartlegende Toni Schumacher und der Weltmeister Pierre Littbarski und später natürlich Weltmeister Lukas Podolski. Im Kühlschrank der CDU-Landtagsfraktion in Potsdam ist immer ein Kölsch und im Auto die CD der Kölner Band Höhner mit der Hymne auf den FC Kölle. Besonders praktisch: Wenn es nur nach den Farben Rot und Weiß geht, kann Senftleben seinen Schal auch tragen, wenn Energie Cottbus spielt. Manchmal fallen Grenzen im Sport eben leichter als in der Politik und der eigenen Partei.

Für seinen Vorstoß im Frühjahr, dass er nach der Landtagswahl 2019 sowohl mit der AfD als auch mit der Linken sprechen wolle, wurde Senftleben von vielen in der CDU, gelinde gesagt, schief angeguckt. Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte schnell, das sei nicht die Haltung des Konrad-Adenauer-Hauses und der anderen ostdeutschen Landesverbände  – was aber in dieser Absolutheit gar nicht stimmte.

Noch wagen sich zwar führende CDU-Politiker im Osten nach dem Anpfiff aus Berlin nicht aus der Deckung, aber Senftlebens Haltung ist ein Thema von Schwerin bis Erfurt. Denn die Sorge der CDU ist groß, dass bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst 2019 das eintreten könnte, was Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff 2016 nur mit Mühe verhindern konnte: Dass es gar keine Regierungsmehrheit gegen AfD oder Linke gibt. Die AfD kam damals mit 24,3 Prozent hinter der CDU und vor der Linken auf den zweiten Platz.

Haseloff bildete mit SPD und Grünen mit Ach und Krach eine Kenia-Koalition. Sonst hätte schon vor zwei Jahren die Frage aller Fragen beantwortet werden müssen: Wie hält es die CDU mit AfD und Linken? Senftleben sagt: „Wenn Westdeutsche versuchen, Ostdeutschen vorzuschreiben, was sie zu denken haben, reagieren wir sensibel.“ Die Denkvorgaben zu DDR-Zeiten sitzen tief. In Teilen der CDU im Osten ist die Linke der kleinere Schrecken. Das habe mit gemeinsamen Wurzeln von Mitgliedern und Wählern zu tun, heißt es etwa in Mecklenburg-Vorpommern.

In Brandenburg stellt die SPD seit der Wende den Ministerpräsidenten. Seit 2009 regiert dort die Linke mit. In Mecklenburg-Vorpommern kam die AfD bei der Landtagswahl 2016 hinter der SPD und vor der CDU auf Platz zwei. In Thüringen mit dem bisher einzigen Ministerpräsidenten der Linken, Bodo Ramelow, lag die CDU jüngst in jüngsten Umfragen vorn - gefolgt von der Linken und der AfD, in Brandenburg war die CDU gleichauf mit der SPD vor AfD und Linken, ähnlich im CDU-regierten Sachsen, nur dass dort die SPD lediglich einstellig ist. Jedenfalls nehmen die beiden Parteien links und rechts inzwischen breiten Raum im Osten ein.

„Mir sagen Menschen immer wieder, es ist mir vollkommen egal, wer regiert und wer in der Opposition ist, lösen Sie mein Problem, Sie sind Volksvertreter“, sagt Senftleben. Er wünsche sich, dass sich die Union mit der gleichen Intensität wie um die Flüchtlingspolitik nun um die Bildung kümmere. „Das ist die Zukunft des Landes.“ Und statt eines Dienstpflichtjahres sollte es Anreize geben für Engagement für das Land. „Das beschränkt sich nicht auf ein Jahr. Das geht über ein ganzes Leben. Wer sich für den Sport, die Feuerwehr, die Kirche, die Kommunalpolitik, für Vereine und vieles anderes mehr engagiert, sollte einen direkten Dank des Staates bekommen: freien Eintritt für die Familie ins Schwimmbad, in Museen, kostenlose Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr.“

Senftleben, der im Lager der Parteivorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel zu verorten ist, zeigt sich unbeeindruckt vom dem Druck von oben. „Ich will kein Tabubrecher oder Revolutionär sein. Aber auch wenn es auf CDU-Bundesebene Vereinbarungen gibt, dass wir weder mit der Linken noch mit der AfD reden, werde ich für Brandenburg diesen Weg gehen.“ Allerdings schloss er aus, dass er Koalitionsgespräche mit einer AfD unter Landeschef Andreas Kalbitz führen würde. Der habe eine „klare Nähe zu rechtsextremen Strukturen“. Was die Linke betrifft, zeigt sich Senftleben offener: „Wie lange wollen wir eigentlich noch nach dem Fall der Mauer beschließen, dass wir auf keinen Fall mit der Linken zusammenarbeiten können, 100 Jahre? Fast 30 sind schon um. Auf der kommunalen Ebene tun wir es längst.“ Auf Landesebene wäre es für die CDU aber eben doch - eine Revolution.

(kd)
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