"Kirchhofs Steuerplan ist reizvoll" Bouffier: Steuersenkung um fünf Milliarden Euro

(RP). Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im Gespräch mit unserer Redaktion über die leeren Kassen der Bundesländer, die neuesten Ideen für eine radikale Steuerreform, die Schulpolitik und die fehlende "Herzwärme" von Bundeskanzlerin und Parteichefin Angela Merkel.

Volker Bouffier - der schwarze Sheriff
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Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hat im Gespräch mit unserer Redaktion Steuersenkungen in einem Umfang von fünf Milliarden Euro ab 2013 in Aussicht gestellt, zugleich aber für eine schrittweise Umsetzung plädiert.

Herr Bouffier, was halten Sie von den Steuerplänen des früheren Finanzminister-Kandidaten der CDU, des Heidelberger Juristen Paul Kirchhof?

Bouffier Ich finde seine Vorschläge reizvoll, und wir sollten das Konzept nicht einfach beiseitelegen. Wir müssen das komplizierte, verkrustete deutsche Steuerrecht deutlich vereinfachen — früher oder später. Seit Jahrzehnten verspricht die Politik das, hat aber bisher keine wirklichen Erfolge präsentiert.

Wer traut sich denn in der Koalition überhaupt an eine Steuerreform ran?

Bouffier Einige. Wir müssen darauf achten, dass der Staat seine Bürger nicht enteignet. Dies passiert aber bei der kalten Progression im Steuerrecht. Die schleichenden Steuererhöhungen bei Lohnsteigerungen und Inflation sind leistungsfeindlich. Da müssen wir ran.

Der Staat nimmt den Bürgern über die "kalte Progression" jährlich etwa fünf Milliarden Euro. Ist das ein mögliches Volumen für Steuersenkungen?

Bouffier Das ist eine Größenordnung, die möglicherweise realistisch ist. Wir müssen aber bedenken, dass wir eine sehr hohe Staatsverschuldung haben. Die Schuldenbremse verpflichtet die Länder bis 2020 zu einem ausgeglichenen Haushalt. Wir können beim besten Willen nicht auf Einnahmen verzichten, wenn wir die Grundversorgung nicht gefährden wollen.

Also wie so oft: Der Bund soll zahlen, die Länder profitieren?

Bouffier Nein, das ist kein Verschiebebahnhof nach dem Motto: Wir sind dafür, aber andere zahlen. Es gibt einen sachlichen Unterschied. Der Großteil der Daseinsvorsorge wird von den Ländern und Kommunen getragen, vor allem die personalintensiven staatlichen Leistungen wie Polizei, Lehrer, Justiz. 40 bis 50 Prozent der Länderausgaben sind Personalkosten, beim Bund sind es acht Prozent.

Was heißt das konkret?

Bouffier Meiner Meinung nach können Steuersenkungen nur in Schritten umgesetzt werden. Wenn die Wirtschaft weiter so blüht und damit die Steuereinnahmen weiter so wachsen wie bisher, ist eine erste Korrektur bei der kalten Progression ab 2013 möglich. In den Folgejahren können schrittweise Erleichterungen vereinbart werden. Auf einen Schlag können die Länder eine bis zu sieben Milliarden Euro teure Steuerreform sicher nicht schultern. Eine Steuersenkung auf Pump machen wir nicht mit.

Und die Abschaffung des Soli?

Bouffier Der Solidaritätsbeitrag und der Solidarpakt laufen Ende des Jahrzehnts aus. Eine schnellere Rückführung dieser Leistungen halte ich für möglich, beispielsweise eine degressive Reduzierung, das heißt Schritt für Schritt. Davon profitieren ja auch die Bürger in den neuen Ländern. Man muss 20 Jahre nach der deutschen Einheit in der Lage sein, eine Situation neu zu bewerten, ohne dass wir dadurch sofort einen Ost-West-Konflikt heraufbeschwören.

Die Merkel-CDU hat zentrale Positionen aufgegeben: Wehrpflicht, Atomkraft, Hauptschule. Regiert die Kanzlerin ihre Partei schwindelig?

Bouffier Unbestritten haben wir einen gewaltigen Veränderungsstress, der die Gesellschaft, aber auch unsere Partei fordert. Aber Frau Merkel muss auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren, und das tut sie in einer pragmatischen, verantwortungsvollen Art. Die Abschaffung der Wehrpflicht wurde in der Partei breit diskutiert, und sie ist richtig. Der Atomausstieg war sicher eine rasche, schwierige Entscheidung. Ich habe das Moratorium mitgetragen, es aber nicht für klug gehalten, dass es einen vielstimmigen Chor gab, der das Ergebnis vorwegnehmen wollte. Jetzt sind wir die Partei, die den Ausstieg verantwortlich und mit wirtschaftlicher Vernunft vorantreibt. Kernpunkte sind für die CDU die Versorgungssicherheit und der Erhalt und der Ausbau von Arbeitsplätzen.

Die CDU hat doch einen Wettlauf um den besten Atomausstieg mitgemacht.

Bouffier Die Finanzierung der Risiken über die Kernbrennstoffsteuer und der massive Einstieg in die erneuerbaren Energien sind eine neue Qualität. Dazu war Rot-Grün nicht in der Lage. Fazit: Die Politik muss derzeit auf viele gesellschaftliche Umbrüche reagieren. Wichtig ist es, dass wir als CDU unsere Positionen immer wieder erklären.

Ein Auftrag für die Parteichefin?

Bouffier Auch. Aber nicht nur, das geht alle in der Führungsmannschaft an.

Und das Aus für die Hauptschule?

Bouffier Zunächst einmal hat das CDU-Präsidium einen Diskussionsentwurf vorgelegt, der auf dem Parteitag im November beraten wird. Wir schaffen die Haupt- und die Realschulen da, wo sie funktionieren, nicht ab. Es gibt aber Regionen, die aufgrund der schrumpfenden Bevölkerung ein dreigliedriges Schulsystem nicht mehr aufrechterhalten können. Wichtig ist, dass es weiterhin eine sehr berufsnahe schulische Ausbildung neben der gymnasialen Ausbildung und der Realschule gibt. Man kann die Hauptschule abschaffen, aber nicht die Hauptschüler.

Fassen wir zusammen: Atomausstieg richtig: Abschaffung der Wehrpflicht toll, Schulreform super. Wie ein Konservativer klingen Sie nicht.

Bouffier Das sind alles nur Begriffe und Bilder. Mir ist ein gesunder, vernünftiger Pragmatismus in der Politik lieber als ideologische Borniertheit. Eine moderne Gesellschaft, die sich so rasch wandelt, wäre doch töricht, wenn sie ein politisches Führungspersonal zuließe, das immer nur stur an alten Positionen festhält. Natürlich ist der Grad zwischen Pragmatismus und Beliebigkeit schmal, aber ich finde, die CDU meistert ihn gut.

Wo ist denn Kanzlerin Angela Merkel konservativ?

Bouffier Die Bundeskanzlerin ist pragmatisch, aber nicht grundsatzlos. Das Bekenntnis zu unserem Land, zu den bürgerlichen Traditionen und Werten kann ihr niemand absprechen. Sie ist weniger Herzwärmer der Republik, wie es Willy Brandt oder Helmut Kohl waren. Die würden in der heutigen Zeit aber auch so nicht mehr wirken können. Die Gesellschaft verändert sich. Und die Kanzlerin reagiert darauf mit kluger Politik. Sie wird international geschätzt. Auch die Deutschen können mit ihrer Regierungschefin zufrieden sein.

Michael Bröcker führte das Gespräch.

(RP)
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