Hessens Ministerpräsident Boris Rhein “Ich wundere mich über das Verhalten des Kanzlers“

Interview | Berlin · Ein Deutschlandpakt will Kanzler Olaf Scholz. Sollte die Begrenzung der Migration nicht enthalten sein, will der hessische Ministerpräsident Boris Rhein nicht mitmachen. Am 8. Oktober wird in Hessen gewählt. Rhein fordert ein „Konjunkturprogramm zum Nulltarif“ – und lobt einen anderen Ministerpräsidenten.

 Am 8. Oktober wählt Hessen. Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sieht seine SPD-Herausforderin, Innenministerin Nancy Faeser (SPD), in einer schwierigen Doppelrolle.

Am 8. Oktober wählt Hessen. Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sieht seine SPD-Herausforderin, Innenministerin Nancy Faeser (SPD), in einer schwierigen Doppelrolle.

Foto: dpa/Helmut Fricke

Herr Ministerpräsident, fühlen Sie sich vom Bundeskanzler unter Druck gesetzt?

Rhein Weswegen?

Olaf Scholz hat einen Deutschlandpakt vorgeschlagen. Angesichts der Lage des Landes kann man sich dem schlecht entziehen. Oder doch?

Rhein Ich wundere mich über das Verhalten des Bundeskanzlers. Wir Länder wollen zum Beispiel schon lange Großprojekte schneller planen und umsetzen. Das stand schon mehrfach auf der Tagesordnung. Auch über die Steuerung und Begrenzung von Migration haben wir schon sehr oft miteinander diskutiert.

Unter welchen Voraussetzungen würden Sie denn mitmachen?

Rhein Scholz muss erst mal klären, an wen er sich überhaupt wendet. Sollten wir Ministerpräsidenten gemeint sein, wäre der richtige Ort für seinen Vorstoß die Ministerpräsidentenkonferenz gewesen. Davor bräuchte er allerdings einen Deutschlandpakt in seiner Ampelkoalition. Die ist nämlich beim Großteil der Fragen zerstritten. Der Pakt ist ein PR-Gag.

Aber noch mal: Was muss Scholz auf den Tisch legen?

Rhein Wir brauchen einen Turbo für neues Wachstum und Wohlstand und ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif durch Bürokratieabbau. Das heißt, ein Moratorium für alles, was die Wirtschaft derzeit am meisten behindert. Dazu gehört das Lieferkettengesetz genauso wie die immer neuen Auflagen in allen Bereichen. Dieser Bürokratiewust kostet die Wirtschaft rund 17 Milliarden Euro, allein fast sechs Milliarden Euro durch die Dokumentationspflichten für den Mindestlohn. Dieser Aufwand muss weg. Deutschland braucht einen Pakt für Bürokratieabbau.

Ihrem Konjunkturprogramm zum Nulltarif setzt die Koalition das Wachstumschancengesetz entgegen.

Rhein Konjunkturpolitik ist Aufgabe des Bundes und kann nicht zu Lasten der Länderhaushalte gehen. Aber das ist bei den Plänen der Ampel oft der Fall. Wir werden uns das Gesetz im Bundesrat genau anschauen und für Änderungen sorgen. Klar muss sein, dass es keine weiteren, schuldenfinanzierten Programme geben kann. Das lehne ich ab. Sonst wird der Staat zum Treiber der Inflation und überbordender Zinskosten. Die Rekordschulden der Ampel kosten schon jetzt 40 Milliarden Euro im Jahr. Das ist mehr als ein ganzer Landeshaushalt in Hessen.

Wie wollen Sie die hohen Energiekosten senken?

Rhein Der Strompreis muss runter, für Bürger und Unternehmen. Deshalb brauchen wir eine Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß und die Halbierung der Netzentgelte. Außerdem müssen die

drei im April abgeschalteten Kernkraftwerke wieder ans Netz. Denn auch ein größeres Stromangebot senkt die Preise. Wir bieten dem Kanzler an, Hessen zu einem Leitstandort für laserbasierte Kernfusion zu machen. Diese Technologie kann ein Game-Changer werden.

Keine Chance, sagt der Kanzler. Und die Grünen sagen das sowieso.

Rhein Ich verstehe, dass die Grünen mit der Kernkraft ein Problem haben. Das ist Teil ihrer DNA. Aber Grüne in anderen europäischen Ländern haben sich anders entschieden. Sie bleiben bei der Kernkraft, um die Umwelt nicht mit dem Verfeuern von Kohle zu belasten. Diesen Weg müssen die deutschen Grünen auch gehen. Die Kernkraft ist kein totes Pferd. Jetzt ist noch die Gelegenheit, die drei verbliebenen Reaktoren wieder anzufahren.

Wie halten Sie es mit Industriestrompreis?

Rhein Beim Industriestrompreis stellt sich die Frage: Was ist eigentlich mit energieintensivem Mittelstand und Handwerk? Ich warne vor Wettbewerbsverzerrungen. Die Union schlägt als Ultima Ratio einen Brückenstrompreis vor. Das heißt, Hilfen für eine begrenzte Zeit, und auch erst dann, wenn die anderen Maßnahmen nicht wirken. Das ist der bessere Weg.

Gehört das Thema Flüchtlinge auch in einen Deutschlandpakt?

Rhein Ich bin nur dann bereit, einen Pakt für Deutschland zu schließen, wenn die Steuerung und Begrenzung der Migration aufgenommen wird. Darüber haben wir schon im Mai mit dem Bundeskanzler eine Vereinbarung getroffen, die bis jetzt nicht umgesetzt worden ist. Also: Es muss endlich lageangepasste Grenzkontrollen an den Binnengrenzen geben. Außerdem muss jetzt die Rückführungsoffensive kommen, die im Ampel-Koalitionsvertrag steht. Und: Algerien, Marokko, Tunesien und Indien sollten zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden – genauso wie alle Länder mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent.

Fordern Sie auch mehr Geld? Zusätzlich eine Milliarde Euro hat der Bund im Mai schon zugestanden.

Rhein Es braucht die Rückkehr zu einem atmenden System mit Pauschalen für Geflüchtete und flüchtlingsbezogene Zwecke sowie der Kostenübernahme für unbegleitete Minderjährige und die Unterbringung in der Erstaufnahme. Je mehr Menschen kommen, desto mehr muss der Bund zahlen. Anders geht es nicht. Das ist keine Verlagerung der Kosten, schließlich hat allein der Bund den Schlüssel für die Steuerung der Zuwanderung in der Hand. Bei der MPK im November unter hessischem Vorsitz werden wir die Finanzfrage wieder stellen.

Sind Sie eigentlich dankbar, dass ihre SPD-Herausforderin Nancy Faeser auch Innenministerin ist?

Rhein Die Entscheidung hat die SPD getroffen. Ich habe den Eindruck, ihre Doppelrolle als wahlkämpfende Innenministerin ist schwierig.

Aber derzeit fällt Faeser die Affäre um die Entlassung von BSI-Chef Schönbohm auf die Füße. Was sagen Sie dazu?

Rhein Der Sachverhalt sollte schleunigst aufgeklärt werden. An Frau Faesers Stelle würde ich in den zuständigen Gremien des Bundestages für Klarheit sorgen und alle Fragen beantworten.

Sie koalieren mit den Grünen, ihr Parteichef Merz hat die Partei im Bund zum Hauptgegner erkoren. Ist das sinnvoll?

Rhein Friedrich Merz meint ausschließlich die Bundesebene. Auf Landesebene führen wir eine erfolgreiche, pragmatische und vertrauensvolle Koalition mit den Grünen. Schwarz-Grün funktioniert auf Landesebene. Aber nur dann, wenn die Union die Führung innehat.

Im Osten steigen die Werte der AfD weiter. Auch in Hessen gehen die Umfragezahlen nach oben. Wie halten Sie es mit den Rechten?

Rhein Unsere Brandmauer zur AfD steht. Die Partei passt nicht zu den christdemokratischen Werten. Das muss jeder in der Union wissen und beherzigen. Die AfD wackelt in der Frage, wie mit Putin umgegangen werden muss. Und sie richtet sich gegen den Wohlstand und das Friedensprojekt Europa. Das ist für uns nicht verhandelbar. Gegen diese Protestpartei helfen nur gute Politik und eine klare Sprache in den Kernfeldern der Union. Das sind die Innere Sicherheit und die Migrationspolitik.

 ARCHIV - 09.09.2023, Hessen, Frankfurt/M.: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) spricht beim Wahlkampfauftakt der Hessen CDU in der Union Halle. Die Landtagswahl ist am 8. Oktober. Die CDU von Ministerpräsident Boris Rhein liegt in einer Umfrage klar in Führung. AfD, Freie Wähler und Grüne gewinnen an Zustimmung.(zu dpa "Umfrage: SPD und Grüne Kopf-an-Kopf im Rennen um zweiten Platz") Foto: Helmut Fricke/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

ARCHIV - 09.09.2023, Hessen, Frankfurt/M.: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) spricht beim Wahlkampfauftakt der Hessen CDU in der Union Halle. Die Landtagswahl ist am 8. Oktober. Die CDU von Ministerpräsident Boris Rhein liegt in einer Umfrage klar in Führung. AfD, Freie Wähler und Grüne gewinnen an Zustimmung.(zu dpa "Umfrage: SPD und Grüne Kopf-an-Kopf im Rennen um zweiten Platz") Foto: Helmut Fricke/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Helmut Fricke

Kürzlich waren Sie mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst wandern, jetzt gab es wieder gemeinsame Termine. Bildet sich da ein neues starkes Duo in der Union?

Rhein Hendrik Wüst und ich kennen uns seit der Jungen Union. Wir haben immer zusammengearbeitet, wir gehören einer Generation an, haben ein ähnliches Politikverständnis und führen beide eine schwarz-grüne Koalition an. Es ist gut für unsere Länder, wenn die Ministerpräsidenten miteinander können. Das ist aber auch gut für die Union.

(has)
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